Ruhrgebiet. . Jeder dritte Bürger setzt sich für andere ein. Dabei sind die meisten Engagierten schon beruflich gut ausgelastet. Ein Überblick über das Ehrenamt.

Fünf Millionen Menschen im Land engagieren sich ehrenamtlich, bundesweit sind es 23 Millionen – jeder Dritte über 14! Mütter backen Torten fürs Schul-Café, pflanzen Bäume für Umwelt-Initiativen, Väter streichen Kita-Wände, prüfen die Kasse im Gesangsverein; Teenager betreuen Firmlinge, Großeltern Nachbarn. Tierfreunde kämpfen für sibirische Tiger, Freiheitsliebende für politische Gefangene. Firmenchefs gehen als Freiwillige zur Feuerwehr, Angestellte als Schöffen zum Gericht. Gesunde kümmern sich um Kranke, pensionierte Lehrer geben Nachhilfe, Computer-Nerds erklären Senioren den PC. Fünf Millionen NRW-Bürger also sind ehrenamtlich aktiv. Alles Menschen mit Helfersyndrom und viel Zeit?

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Eher: gut ausgelastete, berufstätige Menschen aus der Mittelschicht, mehr Männer als Frauen, die meisten zwischen 31 und 45 Jahren alt. So zumindest kann man es dem „Freiwilligensurvey“ entnehmen, der zuletzt für das Jahr 2009 Daten und Fakten rund ums Ehrenamt sammelte. Wobei sich der hohe Männer-Anteil dadurch erklären lässt, dass Frauen eher in der Nachbarschaft, im Kleinen aktiv sind und Männer in Ämtern oder Kammern – was leichter zu erfassen ist. Und dass es die Mittelschicht ist, die sich kümmert, hat damit zu tun, dass „die oberen Zehntausend“ lieber spenden – und sozial Schwächere schwieriger zu motivieren seien, wie Andrea Hankeln erklärt, Fachfrau im Landesfamilienministerium. Sie leitet das Referat „Bürgerschaftliches Engagement“.

Eisbecher, Blumenstrauß und eine Karte als „Belohnung“

Bevorzugte Bereiche des Einsatzes sind der Studie zufolge Sport, Religion/Kirche und Kindergarten/Schule. Und die Motivation für ein oft jahrelanges Engagement? „Die meisten wollen die Welt ein Stückchen besser machen und fangen in ihrem lokalen Umfeld damit an“, sagt Hankeln. Sie wollen helfen im Kleinen, um das Große und Ganze zu gestalten. Bei der Flüchtlingshilfe ziehe vor allem dieses Motiv. Andere Beweggründe sind weniger uneigennützig: Älteren, die sich engagieren, geht es auch um soziale Kontakte; Jüngeren oft um eine zusätzliche Qualifikation. Im Lebenslauf einer Bewerbung macht sich ein Ehrenamt gut.

Das Land bestätigt Aktiven darum per „Engagementnachweis“ gern, was für einen Job sie machen. Und dafür, dass sie ihn gut machen, erfand es die „Ehrenamtskarte“ – ein Zeichen der Anerkennung des Staates für seine freiwilligen Helfer, die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft jüngst die „wahren Heldinnen und Helden unserer Zeit“ nannte. Verliehen wird die Auszeichnung in den 206 beteiligten Kommunen vom Bürgermeister persönlich. Wer im Besitz der Karte ist, kommt umsonst ins Museum oder erhält andere Vergünstigungen. In Wetter schuf eine Eisdiele sogar einen „Ehrenamtsbecher“, in Hilchenbach verschickt ein Blumenhändler Geburtstagssträuße.

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Doch mancher findet das gar nicht gut. Claudia Pinl etwa kritisiert in ihrem Buch „Freiwillig zu Diensten?“ die gezielte Förderung der Ehrenamtlichkeit massiv. Denn die sei nur Folge einer verfehlten neoliberalen Umgestaltung des Staates. „Die Not – die Löcher in den finanziellen Netzen, die finanzielle Austrocknung der Kommunen – wird so zur gleichermaßen verwaltungstechnischen wie demokratischen Tugend umgedeutet“, schreibt die Kölner Politologin. Ehrenamtliche Arbeit gerade im sozialen oder pflegerischen Bereich bedeute zudem eine „Abqualifizierung aller einschlägig Erwerbstätigen, die diese Berufe ja auch einmal gewählt haben, um mit Menschen zu tun zu haben, die aber die Unverfrorenheit besitzen, für ihre Arbeit die Zahlung eines Gehaltes zu erwarten“.

„Der Staat darf niemals sagen: Ihr müsst das machen!“

Das dürfe „so nicht sein“, betont Andrea Hankeln, die Referatsleiterin. Ehrenamt soll „nur ergänzend, verstärkend sein, niemals verdrängend“. Aber es gebe Graubereiche. „Da muss man aufmerksam sein, genau hinschauen, im Bereich der Altenpflege und bei Urlaubsvertretungen etwa.“ Oder wenn Bibliotheken und Bäder nur mit Hilfe von Ehrenamtlern betrieben werden könnten. „Der Staat darf niemals sagen, ihr müsst das machen, sonst schließen wir.“

Tatsächlich zeigt eine Studie aus den 60er-Jahren: Drückt sich der Staat um die von ihm erwartete Leistung, drücken sich auch die Bürger. Je wohltätiger, je sozialer ein Staat ist, desto höher die Bereitschaft, sich zu engagieren. „Was ist schlecht daran, ein guter Mensch zu sein?“, fragt mancher, den man Gutmensch schimpft. Für Andrea Hankeln jedenfalls ist eine Gesellschaft ohne Ehrenamt „unvorstellbar“. War es übrigens schon in der Antike: Die alten Griechen nannten Bürger, die sich nicht fürs Gemeinwohl interessierten, „Idiótes“.