Ruhrgebiet.. Elektrofahrräder und Pedelecs sind im Trend. Doch das Unfallrisiko ist enorm, behauptet der Automobilclub ACE. Experten weisen das zurück. Was stimmt?
Die Berge hinauf ohne ins Schnaufen, zur Arbeit und zurück ohne ins Schwitzen zu geraten; radeln ohne sich abzustrampeln: Mehr als jedes zehnte Fahrrad, das im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft wurde, war ein E-Bike oder Pedelec – eines mit Motor-Unterstützung beim In-die-Pedale-treten. „Und in diesem Jahr sind sie noch begehrter“, sagt Emre Yildirim vom Bochumer Fahrradladen „Balance“. Eine schlechte Neuigkeit für den Automobilclub ACE. Er legte jüngst eine Statistik zur Gefährlichkeit des Radfahrens mit Elektro-Hilfe vor.
Im Jahr 2014 waren laut ACE-Statistik Pedelec-Fahrer an 3700 Unfällen beteiligt – mit 59 Toten und 1178 Schwerverletzten. Das Risiko, bei einem Pedelec-Unfall ums Leben zu kommen, sei viermal höher als bei Unfällen mit anderen Rädern, behauptete ACE-Sprecher Constantin Hack.
Allein 714 Unfälle mit Elektro-Fahrrädern in NRW
„Unfug“, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer. Fazit einer eigenen Studie: „Pedelec-Nutzer unterliegen (...) keinem erhöhten Risiko, in eine kritische Situation verwickelt zu werden.“ Tatsächlich unterlief dem ACE bei der Analyse der Zahlen des Statistischen Amtes ein Fehler, wie der Sprecher des Verbandes in NRW, Christoph Birnstein, gesteht: Nicht 59 Pedelec-Fahrer starben 2014, sondern 40.
Immer noch zu viele, betont er jedoch. Zumal „der sprunghafte Anstieg der Unfallzahlen in NRW“ – 2012 verunglückten hier 322 Pedelec-Nutzer, 2014 waren es bereits 714 – nicht allein dadurch zu erklären sei, dass mehr dieser Räder als früher unterwegs seien. Pedelecs und E-Bikes hätten „ein anderes Fahrverhalten.“ Und viele, die eines kauften, wenig Erfahrung auf zwei Rädern. „Mangels Übung und Routine“ käme es zu Fahrfehlern. Dass die schweren Räder schneller als andere sind, sähen ihnen Autofahrer darüber hinaus nicht an.
„So schnell sind die gar nicht“, sagt Stephan Behrendt, Leiter des Fachausschusses Technik beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) in NRW. Er überhole oft „Stromradler“. „Das Problem ist, dass die meisten Pedelec-Nutzer älter sind, Unfälle für sie schlimmere Folgen haben.“ Unfallforscher Brockmann sieht das genauso, er spricht vom „Preis der gewonnenen Mobilität“. Das fange mit Brille und steifem Nacken an, die dem Radler den Blick über die Schulter erschwerten, oder nachlassendem Hör-und Reaktionsvermögen, ergänzt Christoph Birnstein vom ACE. „Trifft letztendlich jeden, schlägt in Kombination auf dem Pedelec aber verstärkt durch“.
„Unsere Radwege sind zu schmal“
Problematisch, so ADFC und Unfallforscher, sei zudem die Verkehrsinfrastruktur. „Unsere Radwege sind zu schmal und zu unsicher“, erklärt Stephan Behrendt. Tödliche Unfälle passierten meist im Kreuzungsbereich, wo der Radweg auf die Fahrbahn münde. Die Städte seien hier gefragt, glaubt Siegfried Brockmann, Investitionen dringend nötig. 1,50 Meter Radwegbreite sei viel zu wenig – wenn sich dort Radler mit völlig unterschiedlichem Tempo, mit und ohne Anhänger begegnen müssten. Radwege gehörten auf die Fahrbahn, mit ausreichendem Abstand sowohl zu geparkten wie zu fahrenden Kraftfahrzeugen.
Der ADFC empfiehlt darüber hinaus Tempo 30 als innerstädtische Regelgeschwindigkeit. „Die Diskrepanz, mit der sich Auto- und Radfahrer bewegen, ist dann kleiner, der Bremsweg kürzer und die Aufprallgeschwindigkeit geringer. Das macht den Verkehr sicherer“, erklärt Experte Stephan Behrendt.
E-Bikes als „Spaßgerät“ sieht der ADFC-Mann im Übrigen durchaus kritisch. „Wo ich ein Auto damit ersetze, okay. Wenn Post und Paketdienste sie als Lastentransport einsetzten, prima. Aber wenn damit Ungeübte Berge rauf fahren, die sie sonst nicht rauf kämen, halte ich E-Bikes nicht für sinnvoll.“
Experte warnt vor "E-Bike-Tuning"
Unfallforscher Brockmann warnt vor allem vor „E-Bike-Tuning“. Er wisse, dass viele ihr Pedelec „aufrüsten“, damit es schneller ist. Nicht nur versicherungstechnisch werde das „noch spannend“.
Die Polizei vor Ort findet E-Bikes & Co. bisher: eher unspannend. Sie seien nicht häufiger als normale Fahrräder in Unfälle verwickelt, heißt es auf Nachfrage in der Kreispolizeibehörde Dortmund. In Essen/Mülheim zählte man in den letzten anderthalb Jahren gerade zehn Fälle. „Das ist im Rahmen, nicht besorgniserregend“, erklärt Ulrich Faßbender, Sprecher der Essener Behörde.
Der 57-Jährige ist tatsächlich seit einer Woche selbst mit dem E-Bike unterwegs – und findet es „wunderbar“. Nicht gefährlicher als normales Radfahren, aber „gewöhnungsbedürftiger“. Er empfehle: „Helm tragen und die erste Runde auf dem Verkehrsübungsplatz drehen!“