Psychologe: "Andere mit in Tod nehmen gehört zur Erkrankung"
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Essen. . Menschen, die andere mit in den Tod reißen, leiden oft an einer bipolaren Störung. Der Münchner Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer glaubt, der Tat ging eine Kette von Ereignissen voraus.
Weder Vorgesetzte noch Mediziner können Selbstmordabsichten immer erkennen, sagt der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer. Er schrieb das Buch „Die Psychologie des Terrors.“ Im Interview erklärt er, warum Dritte psychische Störungen nicht immer erkennen.
Was steckt hinter diesem Verhalten, wenn ein junger Co-Pilot Selbstmord begeht und dabei 150 Menschen mit in den Tod reißt?
Wolfgang Schmidbauer: Es handelt sich hier wohl um einen kranken Menschen mit einer sogenannten bipolaren Störung. Diese Menschen sind begabt, leistungsfähig und gewinnend, wenn es ihnen gut geht. Sie sind aber auch verletzlich und können gefährlich werden, indem sie und Aggressionen gegen sich und andere richten.
Kommt das oft vor?
Germanwings-AbsturzSchmidbauer: Es gibt viele depressive Menschen, und fast alle sind harmlos. Man muss sich wundern, wie wenig da eigentlich in der modernen Gesellschaft passiert. Auch die meisten Selbstmorde sind unspektakulär - traurige Ereignisse mit einem einzigen Opfer. Bereits der erweiterte Selbstmord mit einem zusätzlichen Opfer – etwa einem eigenen Kind – ist extrem selten. Aber der Gedanke, andere Menschen mit in den Tod zu nehmen, gehört zur depressiven Erkrankung; er akzentuiert ihre aggressive, mörderische Komponente.
Gibt es Beispiele?
Schmidbauer: Die sind in ihrem Ausmaß nicht vergleichbar. Aber da ist der suizid-entschlossene Autofahrer, der in den Gegenverkehr rast. Vor jedem Suizid wird das Erleben so eingeengt, dass die Einfühlung verloren geht. Denken Sie an den Nationaltorhüter Enke, der sich vor den Zug wirft und weder an das Leid seiner Familie noch des Lokführers denkt.
Spielt der Pilotenberuf eine Rolle?
Schmidbauer: Jeder Pilot fühlt sich stark mit dem Flugzeug verschmolzen. Ein Flugzeug ist etwas Großartiges, und es ist sozusagen sein Kind; den Suizid um das Flugzeug zu erweitern und nicht an die vielen Menschen zu denken, die dabei umkommen, das fügt sich durchaus in eine solche seelische Störung. Wenn der Betroffene das Leben nicht mehr auf die Reihe kriegt, nicht mehr schlafen kann, die Beziehungen nicht gelingen und er am Ende entschlossen zum Selbstmord ist, dann ist die Versuchung da, in einer grandiosen Szene abzutreten. Das passt in eine Gesellschaft, die nach Aufmerksamkeit hungert, wie auch bei den Amokläufern in Schulen oder dem Geltungswahn als Retter des Abendlandes bei Breivik in Norwegen. Solche Täter - es sind meist Männer - gehen nicht in einen Winkel, um sich mit Medikamenten zu vergiften.
Ist ein Auslöser für die Tat nötig?
Schmidbauer: Sie ist das Ergebnis einer ganzen Kette von Ereignissen. Unmittelbarer Anlass war wohl die günstige Gelegenheit. Wenn der Kapitän nicht rausgegangen oder jemand anders im Cockpit geblieben wäre, hätte er es wohl nicht getan.
Können Vorgesetzte, Mediziner oder Nahestehende zum Suizid entschlossene Menschen erkennen und sie abhalten?
Schmidbauer: Niemand kann einen Suizid verhindern, wenn ein intelligenter Kranker entschlossen ist, seinen Plan zu verheimlichen. Depressiven geht es oft direkt vor dem Suizid besser. Sie wirken entspannter. Die Leute denken also, die Gefahr ist vorbei. Und dann bringen sie sich um.
Durfte die Fluggesellschaft diesen Mann ins Cockpit lassen, obwohl ihr bekannt war, das er psychisch erkrankt sein könnte?
Schmidbauer: Nachher sind alle klüger. Aber dieser Pilot wollte fliegen und er wollte seine Krankheit verheimlichen. Wenn Sie alle Menschen, die Depressionen oder Alkoholprobleme verbergen, mit einem Schlag aus dem Verkehr ziehen, bricht vermutlich die Gesellschaft zusammen.
Zur Person: Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker und Autor in München. Sein Buch zum Thema erschien 2009 im Gütersloher Verlag: Die Psychologie des Terrors.
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