Ruhrgebiet. . Mehr als drei Jahrzehnte arbeitete sie als Verkäuferin in dem von Krisen geschüttelten Konzern. Nun drohen wieder Kündigungen und Sparpläne.
Montag, 18.15 Uhr. Mit einem tiefen Seufzer lässt sich Gabriele Küst* auf den Stuhl sinken. Feierabend! Ihr Blick geht nach draußen, auf die Straße, wo der Strom der Kunden erst in ein paar Stunden versiegen wird. Genau hier begann vor mehr als drei Jahrzehnten ihr Berufsleben. Genau hier, mitten im Ruhrgebiet, mitten in dieser Großstadt. Verkäuferin, das war ihr Traum. Nun ist Gabriele Küst 50, und Karstadt, „mein Karstadt“, wie sie ist nennt, hat lange schon seinen guten Klang verloren. Ausgeträumt.
Der erschöpfte Seufzer täuscht. Denn ihre Beine mögen vom vielen Stehen müde sein, sie selbst ist hellwach. „Warenserviceteams! Wer soll denn da rein?“, fragt sie und erwartet natürlich keine Antwort. Die Angst geht um bei Karstadt, unter den Mitarbeitern, seit bekannt wurde, dass bald weit über 1000 Stellen wegfallen, dass Personal „abgruppiert“, schlechter bezahlt werden soll. Karstadt geht es nicht gut. Mal wieder. Seit zehn Jahren taumelt der Konzern von einer Krise zur nächsten. Von drohender Insolvenz zum ersten vielversprechenden Investor und von dem zum nächsten. Immer dabei, so lange es noch geht, das Personal.
Das Personal wird weiter ausgedünnt
Etwa 45 der Verkäufer ihrer Filliale werden dieses Mal gehen müssen, dazu drei Abteilungsleiter. Ende März sollen die Kündigungen verschickt werden. „Es wird immer weiter ausgedünnt. Demnächst wird eine Verkäuferin für 2000 Quadratmeter Fläche zuständig sein“, erklärt Gabriele Küst. Dabei arbeiteten schon jetzt nur noch fünf Kollegen dort, wo vor ein paar Jahren noch über zehn waren. Waren einräumen, auszeichnen, reduzieren, und natürlich beraten.
„Früher stand der Kunde an erster Stelle - so wie’s sein soll. Heute steht er an letzter“, sagt die Verkäuferin resigniert. Künftig müssten ihre Stammkunden, die sie aus der Schuhabteilung kennen, sie wohl häufiger in der Miederwaren-Abteilung suchen.
16 Jahre jung war Gabriele Küst, als sie bei Karstadt anfing. Als Lehrling, wie man damals noch sagte. Zwei Jahre Ausbildung, dann die Festanstellung. Gleich in der Schuhabteilung, wo sie bis heute blieb. „Mein Karstadt, unser Karstadt“, das war für die patente Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt auch so etwas wie Familie. Für die ging sie früher „aus der Pause“, später nach Hause, wann immer sie gebraucht wurde. „Ich bin immer gerne arbeiten gegangen!“, sagt sie.
Viele werden krank, viele haben Burnout
Doch die Arbeit, sie wurde immer mehr, der Druck größer. Die Sorgen und Ängste wuchsen. „Viele werden krank, viele haben Burnout“, sagt die Verkäuferin. Auch sie selbst fiel für Monate aus. War depressiv, litt unter Kopfschmerzen, mochte nicht mehr zur Arbeit gehen. Doch nach Reha und Kur war sie wieder zur Stelle. Sie erlebte den wie einen Popstar gefeierten Investor Nicolas Berggrün, „ohne den es Karstadt vermutlich heute nicht mehr gäbe“. Sie lernte den neuen Geschäftsführer Andrew Jennings kennen, „der sich weigerte, die Belegschaft auf Deutsch anzusprechen“. Sie sah Eva-Lotta Sjöstedt, die Karstadt-Chefin für nur fünf Monate, mit „ihrer großen Aktentasche die Karstadt-Häuser besuchen“.
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Sie alle sind nicht mehr da, sind Vergangenheit. Gabriele Küst jedoch überlebte eine Krise nach der anderen. Bis jetzt. Ihr Alltag, das ist die Sechstagewoche, das sind zwei Schichten bis 18 oder bis 20 Uhr. Drei Samstage im Monat Dienst, am ersten Freitag im Monat sogar bis 24 Uhr. „Am Samstag danach bin ich immer tot!“, sagt sie.
Um Karstadt zu retten, verzichtete Gabriele Küst wie ihre Kollegen jahrelang auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. 650 Millionen Euro soll das dem Konzern eingebracht haben. Geld, das den Mitarbeitern fehlt. Weitere Einschränkungen täten weh, wie etwa der nun geplante Einsatz von reinen Regaleinräumerin, die monatlich 300 Euro weniger erhalten sollen. Küst: „Ich verdiene 1500 Euro netto. Meine Rente habe ich mir ausgerechnet, die läge bei 900 Euro. Also habe ich Sparverträge für später abgeschlossen. Die könnte ich mir dann nicht mehr leisten“.
Ein Rest von Hoffnung
Die Stimmung bei Karstadt ist am Boden. Wieder einmal. Die Leute haben „große Angst, ganz schrecklich“, erzählt die Karstadt-Frau. „Ich sag immer: Ihr wisst doch gar nicht, ob ihr dabei seid, ob ihr zu denen gehört, die gekündigt werden“. Viele Kollegen, ergänzt sie, hätten resigniert. Was bleibt, ist ein Rest von Hoffnung. Dass man nicht gekündigt wird . . ., dass es eine Auffanggesellschaft geben wird . . ., dass man umschulen kann . . .
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Gabriele Küst lächelt tapfer. Nicht mehr zu arbeiten, kann sie sich nicht vorstellen. Und so reagiert sie auch manchmal etwas trotzig, wenn die Kunden ihr „Toi, toi, toi!“ wünschen und vorsichtig fragen, wann dieser Laden denn geschlossen werde. „20 Uhr!“, antwortet Küst dann, wohlwissend, wie ihre Kunden es eigentlich gemeint haben.
* Name geändert