Essen. Heiko Sakurai karikiert für die WAZ seit dem Herbst 2000 das Weltgeschehen. Hier gibt er Einblicke in den Beruf des Zeitungs-Karikaturisten.
„Schreiben Sie nichts in Ihre Karikaturen, ich zeichne ja auch nichts in meine Leitartikel“, lautete der Tipp meines Chefredakteurs, als ich zum ersten Mal eine Karikatur mit Blasentext vorlegte. Das zeigte zweierlei: In der WAZ herrschte ein stilistisch eher konservatives Karikaturen-Konzept vor - und der Karikatur wurde Bedeutung zugemessen. Dementsprechend war ihre Platzierung im Blatt: prominent auf Seite zwei, zusammen mit den Kommentaren – so ist es bis heute geblieben.
Jahrzehntelang prägte Klaus Pielert die WAZ, einer der bekanntesten politischen Zeichner der Bundesrepublik. Ich selbst bin als gebürtiger Recklinghäuser mit seinen Zeichnungen groß geworden, ich schaute sie mir täglich an. Und so war es für mich, mit damals knapp 30 Jahren ganz frisch im Zeichner-Geschäft, eine große Auszeichnung, als man mir im Herbst 2000 anbot, Pielerts Nachfolge anzutreten. Zusammen mit dem Erfurter Karikaturisten Nel, der seither ebenfalls regelmäßig in der WAZ erscheint. Dritter im Bunde war damals Waldemar Mandzel, inzwischen abgelöst von Berndt A. Skott.
Ludwig Erhard als Wahllokomotive
Klaus Pielert, Jahrgang 1922 und 2015 verstorben, kam in seinen Zeichnungen tatsächlich meist ohne Text aus – so wie Blasentexte in den deutschen Karikaturen der 50er, 60er, 70er Jahre ohnehin Seltenheit hatten. Dominierend waren vor allem symbolische Bilder, beispielsweise Ludwig Erhard als Wahllokomotive.
Erst in den 80er und 90er Jahren zogen mit einer jüngeren Zeichner-Generation wie Klaus Stuttmann, Thomas Plaßmann oder Greser&Lenz auch Blasentexte in die Karikaturen ein und sind inzwischen ein allgemein akzeptiertes Stilmittel. Hier spielen sicherlich die Einflüsse des Comics, aber auch der großartigen Karikaturisten und Cartoonisten des französisch- und englischsprachigen Raumes eine große Rolle.
Ein nicht einfacher Lernprozess bei der WAZ
Für mich begann bei der WAZ ein Lernprozess, der nicht ganz einfach war, von dem ich aber als Berufsneuling profitierte.
Mit dem für das Blattmachen verantwortlichen Redakteur sprach ich das Thema ab, zeichnete dann Skizzen und faxte sie (ja, so lang ist das her!) in die Redaktion. Dann telefonierten wir wieder, meist war der Redakteur zufrieden; war er es nicht, so zeichnete und faxte ich weiter, bis er es abnickte.
Ich erinnere mich, wie ich das Gesicht des damaligen Stasi-Aktenbeauftragten Joachim Gauck sechs oder sieben Mal zeichnen musste: „Herr Kollege, tut mir Leid, so sieht er nicht aus, ich habe ihn überall herumgezeigt, keiner erkennt ihn!“
Der Arbeitsalltag eines Karikaturisten
Mein Arbeitsalltag hat sich seit damals in den wichtigen Punkten kaum geändert: Morgens lese ich mehrere Zeitungen, vor allem Kommentare und Hintergrundberichte. Danach informiere ich mich im Internet über die aktuellen Meldungen, höre Radio und schaue Phoenix, falls es Bundestagsdebatten, Pressekonferenzen oder sonstige Politikerauftritte gibt. Auf diese Weise verschaffe ich mir einen Überblick und konzentriere mich dann auf die zwei bis drei Themen, die mir am wichtigsten erscheinen – und die es bis zum Erscheinen der Zeitung am nächsten Morgen hoffentlich auch bleiben.
Gegen 11 Uhr beginne ich mit der entscheidenden Arbeit des Tages: Meine Meinung zu den Nachrichten in ein passendes Bild zu verwandeln, das möglichst auch eine Pointe enthält. Denn nichts anderes ist ja eine Karikatur – eine unbedingt subjektive Stellungnahme zum aktuellen Geschehen. Diese inhaltliche Seite ist für mich wesentlich mühevoller als der zeichnerische Aspekt: Kanzlerin Merkel (bei der ich stets mit der Nase und ihren ein bisschen träumend wirkenden halb geschlossenen Augen beginne) beherrscht man irgendwann (zu zeichnen, natürlich). Aber an jedem Tag eine originelle, sinnvolle und sogar lustige Idee zu finden, ist schon eine Herausforderung – die mal besser, mal schlechter gelingt.
„Ins Reine zeichne ich auf dem Tablet“
Habe ich eine Idee, so skizziere ich sie mit Bleistift auf Papier. Bis spätestens 14 Uhr schicke ich drei oder vier Skizzen per Mail an die Redaktion und erhalte dann Meldung, welcher Entwurf gewünscht ist. Parallel halte ich die aktuelle Nachrichtenentwicklung im Blick, denn die Rücktritte wichtiger Minister sind leider auch dann karikaturenrelevant, wenn sie nach 15 Uhr passieren. Ins Reine zeichne ich auf dem Tablet, dort koloriere ich auch. Gegen 16 Uhr schicke ich das Bild an die Redaktion. Fertig.
Dass die Gegenwart besonders durcheinander und instabil erscheint (Stichworte Trump oder deutsche Regierungsbildung), findet ihren Niederschlag auch in den Karikaturen. Unruhige Zeiten gab es freilich auch schon früher, denken wir nur an den CDU-Spendenskandal 1999/2000 oder die monatelangen Turbulenzen, nachdem Kanzler Schröder 2005 vorgezogene Neuwahlen ausgerufen hatte.
Der 11. September hinterließ seine Spuren
Manche Tage und Ereignisse haften besonders im Gedächtnis, meist leider die traurigen und dramatischen. Für mich persönlich ist es der 11. September 2001, der den tiefsten Einschnitt bedeutete: Am Tag selbst, einem Dienstag, musste ich nicht zeichnen (es erschien eine vor dem Anschlag abgesprochene Karikatur des Kollegen Nel zur Haushaltsdebatte im Bundestag), wohl aber am Folgetag, als Ausmaß und Hintergründe immer klarer wurden.
Dass die WAZ-Redaktion selbstverständlich auch dieses so schwere Thema durch eine Karikatur kommentieren ließ, zeigt, wie ernst die Karikatur als eigenständiges Medium genommen wurde. Allerdings verpflichtete die Redaktion mich, eine angemessene Bildsprache zu finden, die fern sein musste von Pointe oder Witz. Ich zeichnete eine am Herzen getroffene Freiheitsstatue, realistisch, ohne comichafte Übertreibung.
Im elften September bündelte sich erstmals in extremer Form, was uns Karikaturisten seither vor die größten Schwierigkeiten stellt: Wie geht man angemessen mit Themen wie Terror oder religiösem Extremismus um, die im schlimmsten Fall die Zeichner selbst (wie die französischen Kollegen von Charlie Hebdo) treffen können?
Diese dunklen Aspekte sollen aber nicht überlagern, was Karikaturen im Idealfall leisten können: Trockenen Nachrichtenstoff unterhaltsam aufbereiten, Missstände und Politikerversagen humorvoll und möglichst nicht moralinsauer beleuchten und Brioni tragende Kanzler oder Kanzlerinnen mit in Rautenform ruhenden Händen von ihren Sockeln zu holen. Das Übergangszeiten wie jetzt, in denen man sich auch rein zeichnerisch an neues politisches Spitzenpersonal gewöhnen muss, eine besondere Herausforderung darstellen und dass der Abschied von Birne oder Mutti beruflich schwer fallen kann: Das ist ein Thema für sich und sollte beim nächsten Zeitungsjubiläum der WAZ eingehender erörtert werden.