Essen. Mit seiner Kolumne gratuliert Rainer Bonhorst zum Geburtstag der WAZ, für die er 30 Jahre tätig war, u.a. als Stellvertretender Chefredakteur.

Reporter: Frau Dr. Antonia Cervinski-Querenburg, finden Sie nicht auch, dass siebzig Jahre eine lange Zeit sind?
Antonia: Wat wollen Se mich denn dammit sagen?

Reporter: Ich meine nur . . .
Antonia: Meinen Se etwa, dat ich sippzig wär?

Reporter: Aber Frau Doktor, ich bitte Sie. Niemals würde ich Sie für siebzig halten. Sie sind doch höchstens . . .
Antonia: Ja, wat denn nu, Herr Reporter. Wat meinen Se denn, dat ich höchstens wär?

Reporter: Also, in meinen Augen sind Sie nicht älter als . . .
Antonia: Ach lassen Se ma, Herr Reporter. Egal wat Se sagen, is sowieso falsch. Weil wenn Se wat zu Altet übber mich sagen, dann denk ich mich: Wat is dat denn fürn Stoffel. Und wenn Se wat zu Junget sagen, dann sach ich für mich: Will der mich anne Wäsche oder wat is los? Also, sagen Se lieber gar nix.

Reporter: Danke, Frau Doktor.
Antonia: Gärne geschehn. Aber wat wollten Se eintlich mit Ihre sippzig Jahre?

Reporter: Etwas ganz anderes. Ich wollte Sie daran erinnern, dass das Ruhrgebiet 70 Jahre alt geworden ist.
Antonia: Dat Ruhrgebiet? Ärs sippzig? Wolln Se mich om Aam nehm?

Wer ist Dr. Antonia Cervinski-Querenburg?

Antonia Cervinski ist die einzige Tochter des fiktiven Bergmanns Cervinski. Ihren Vornamen verdankt sie ihrem Taufpaten, einem Kollegen ihres Vaters, der als „Kumpel Anton“ in die Geschichte des Ruhrgebiets eingegangen ist.

Kumpel Anton und sein Thekenfreund Cervinski trafen sich einmal in der Woche bei „Taumvatters Jupp“, einer von Bergleuten frequentierten Gaststätte in Bochum. Augen- und Ohrenzeuge ihrer alltagsphilosophischen Thekengespräche war Wilhelm Herbert Koch, der damalige Leiter der WAZ-Sportredaktion. Koch hat die Betrachtungen der beiden Kumpel über Jahre hinweg jeden Samstag in der WAZ veröffentlicht. Sie wurden ein Markenzeichen der Zeitung.

Nach Kochs Tod und infolge des Zechensterbens wurde es still Cervinski und seinen Kumpel Anton. Von der Öffentlichkeit unbemerkt hat derweil, durchaus im Sinne der Neuorientierung des einstigen Kohlereviers, Cervinskis Tochter Antonia an der Ruhr-Universität studiert und promoviert. Seither ist sie als Sprachsoziologin tätig. Schwerpunkt: das Ruhr-Idiom und seine Pflege. Ihren Bindestrich-Namen Querenburg verdankt Antonia ihrem Ehemann, der mehr oder weniger zufällig den gleichen Namen trägt wie der Standort der Ruhr-Universität.

H err Querenburg tritt in der Öffentlichkeit nicht auf. Anders Antonia Cervinski-Querenburg. Ihre in Interview-Form verfassten Betrachtungen zu Sprache und zur Alltagskultur des Ruhrgebiets sind – mit journalistischer Unterstützung des Redakteurs Rainer Bonhorst – regelmäßig in der WAZ erschienen.

Drei Bücher von und mit Antonia hat der Bottroper Verlag Henselowsky und Boschmann herausgebracht. Auch die Betrachtungen von Kumpel Anton und Cervinski gibt es, zuletzt erschienen bei Droste.

Reporter: Also gut: Eigentlich meine ich nicht das Ruhrgebiet als solches. Sondern die Einrichtung, die das Ruhrgebiet am besten beschreibt.
Antonia: Wat soll dat den für ne Einrichtung sein. So ne Aat Möbelhaus?

Reporter: Natürlich nicht. Ich meine die WAZ. Die ist siebzig.
Antonia: Ährlich? Und die WAZ soll so ne Aat Ässänz von dat Ruhrgebiet sein?

Reporter: Genau. Das hat damals die Ruhr-Uni herausgefunden.
Antonia: Jau, die in Querenburg waan schon immer sonne Schlaubergers.

Reporter: Stimmt, Frau Dr. Cervinski-Querenburg. Und diese Schlauberger haben herausgefunden, dass das Ruhrgebiet genau dem Verbreitungsgebiet der WAZ entspricht.
Antonia: Dat ham die aber prima rausgefunden. Dabei waa dat gaa nich so eimfach.

Reporter: Warum denn nicht?
Antonia: Wegen den ganzen Russ aufe Äppel im Gaaten und auf dat Neilonhemt.

Reporter: Wie bitte?
Antonia: Na, wegen die ganze Zechen und die Hochöfens und die ihrn Dreck. Konnze doch die Hand nich vorn Auge sehn.

Reporter: Sie sprechen vom alten Kohlenpott . . .
Antonia: Toll gemärkt, Herr Reporter. Von dat alte Ruhrgebiet. Dat mitti echte Maloche. Und dann hat den Willy Brandt dat Ruhrgebiet ein blauen Himmel versprochen und dann is der gekomm.

Reporter: Der Willy Brandt?
Antonia: Quatsch. Dem sein blauen Himmel is gekomm. Und dann konnze auf eima allet sehn. Wat da überall so los waa und wie dat aussah.

Reporter: Kein schöner Anblick.
Antonia: Ging so. Hat auch sein Reiz gehapt. Nur dat der nich so sauber waa. Aber dann fing se so rum am strukterieren. Da wat weck, und da wat hin. Un getz is allet grün wo et früher schwatt waa. Sind se sogaa Preise für am verleihen. Dafür dat dat Ruhrgebiet gaa nich mehr wie son Ruhrgebiet aussieht.

Reporter: Das ist doch eine schöne Geschichte.
Antonia: Is et, is et. Nur wat so en richtigen Berchmann is, der hätt auch gärne noch’n bissken wat Schwattet anne Backe, wenn er bei Taumvatters Jupp en Bierken süppelt.

Reporter: Nun ja . . .
Antonia: Aufe andere Seite: Son Prosecko is ja auch wat feinet. Is fast wie Bier, nut dat et nich so schmeckt.

Reporter: Mir schon.
Antonia: Is auch okeh. Wär ja blöd, wenne den Fortschritt aufhalten wollz. Allein schon wegen den Zahnaazt.

Reporter: Au Backe.

Der Autor

Rainer Bonhorst (75) war 30 Jahre als Redakteur für die WAZ tätig. Nach den Stationen Lokalredaktion Essen und Politik-Redaktion berichtete er von 1975 bis ‘84 als WAZ-Korrespondent in London aus Großbritannien und Irland. Anschließend ging er bis Ende 1988 als Korrespondent nach Washington.

Nach 14 Auslandsjahren kehrte Rainer Bonhorst als stellvertretender Chefredakteur in die WAZ-Zentralredaktion zurück. Damals entstand die Kolumne mit Dr. Antonia Cervinski-Querenburg, als Nachfolgerin der klassischen Kumpel-Anton-Kolumne von Wilhelm Herbert Koch.

1994 wurde Rainer Bonhorst Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen (bis 2009).

Antonia: Sippzich Jahre willze ja nich aufe Stelle treten. Hauptsache eins bleibt wie et is.

Reporter: Ja, was denn?
Antonia: Ja, wat wohl, Herr Reporter. Unser Ruhrdeutsch. Wennze weiter so reds wie wir dat tun, dann kannze nich meckern.

Reporter: Frau Dr. Antonia, da muss ich Sie recht geben

Redakteure erklären ihre Liebe zum Ruhrgebiet

 

Duisburg ist was für Macher, nicht für Erzähler! Es ist die Stadt des Wassers, der Maloche, der Natur, des Stahls, des Hafens –  und das Zuhause für Menschen aus über 170 Nationen.“ Thomas Richter, Redaktion Duisburg

 

Stehse auffem Gasometer im Sturmesbrausen und alles, watte siehst, is Oberhausen / zehntausend Plätze, um Bier zu konsumieren, und jede Menge Büsche, sein Herz zu verlieren. Am Sonntag im Kaisergarten sich küssen, bei den Hängebauchschweinen die Tiger vermissen, andere Städte haben auch einen Zoo, aber so wie bei uns issat nirgendwo (nirgendwoho) ...“Missfits, eingesendet von der Lokalredaktion Oberhausen

 

Mülheim hat die Ruhr, lebt an der Ruhr, liebt die Ruhr. Der Fluss ist die Lebensader, die die Menschen antreibt zu Aktivitäten, bürgerschaftlichem Engagement und Brückenbau. Die Perle des Ruhrgebiets glänzt viel Grün, nicht nur entlang des Blaus. In Mülheim leben alle Generationen gerne miteinander.“Katja Bauer, Redaktion Mülheim

 

Bodenständig, weil diese Stadt Heimat bietet. Offen, weil es sich damit am ehrlichsten lebt. Tolerant, weil das eine Tugend der Bergleute ist. Tatkräftig, weil Stillstand keinen Wandel erzeugt. Respektvoll, weil gute Nachbarschaft hier Tradition hat. Optimistisch, weil mit Innovation City Zukunft entsteht. Pragmatisch, weil Schwärmerei den Kumpels nie lag.Michael Friese, Reda

 

Grau, aber immerhin“. Der Spruch von Werbe-Altmeister Vilim Vasata ist immer noch einer der prägnantesten über Essen, weil er die immer etwas peinliche Feierlichkeit ironisch bricht und natürlich auch nicht wirklich stimmt. Aber es ist doch auch einiges Wahre dran.“Frank Stenglein, Redaktion Essen

 

 „Gelsenkirchen muss man nicht lieben, kann man aber. Wer Herkules hat und 60 Jahre keinen Titel und dabei nicht verzweifelt, wer Historie und Moderne verbindet, der zeigt Weitsicht, Wagemut, Ausdauer, Herz, Stolz, Liebe und Tatkraft – also alles, was eine Stadt braucht.“Jörn Stender, Redaktion Gelsenkirchen

 

Bochum, ich komm aus Dir: WAZ!“  (Die Zeitung wurde hier gegründet.)Die Lokalredaktion

 

Bei uns in Velbert gibt es ein Schloss und ganz viele Schlösser. Wir sind das Wanderparadies vor der Haustür.“Yvonne Szabo, Redaktion Velbert

 

Wir sind der Mittelpunkt des Reviers. Bei uns geht’s immer rund, nicht nur auf Crange. Wir sind grau und wir sind grün. In Herne wohn’ ich gerne.“Michael Muscheid, Redaktion Herne

 

Hattingen ist die Altstadt des Ruhrgebiets. Hattingen hat Industriekultur und Zukunftsvisonen. Hattingen hat Natur und Natürlichkeit. Hattingen ist lebens- und liebenswert. Hattingen ist Heimat.Michael Brandhoff, Redaktion Hattingen

 

Recklinghausen hat vielleicht das einzige Theater mit angegliedertem Zoo: Pfaue, Ziegen, Schafe, Affen. Manchmal ist man bei den Ruhrfestspielen nicht sicher, ob jemand den Käfig offen gelassen hat. Das ist wundervoll!“Lars von der Gönna, Kultur-Redaktion.

 

 „Wo früher Stahl geschmolzen wurde, liegen jetzt Segelboote im Hafen. In der alten Brauerei steckt Kunst. Statt Kohle werden nun kreative Typen gefördert. Und über allem schlägt ein großes schwarzgelbes Herz. Dortmund ist wie die gemischte Tüte von der Bude: von allem etwas und ganz schön lecker.“Kirsten Simon, Redakteurin aus Dortmund

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