An Rhein und Ruhr. Fehlendes Personal, Baustellen und veraltete Infrastruktur machen den Bahnunternehmen zu schaffen. Verbesserungen gibt es allenfalls langfristig.
Der Bilanztrick geht folgendermaßen: Ein ausgefallener Zug kann sich nicht verspäten. Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die Pünktlichkeitsquote der Züge in NRW sich 2023 marginal verbessert hat: Von 77,9 auf 78,1 Prozent. Mit anderen Worten: Mehr als jeder fünfte Zug passierte einen der Messpunkte an den Strecken mit mehr als vier Minuten Verspätung (NRW ist da immerhin um eine Minute kritischer als die Deutsche Bahn im Fernverkehr, bei der zählen Züge erst ab fünf Minuten als verspätet).
Allerdings, so der Qualitätsbericht, der im Auftrag des Landesverkehrsministeriums vom Kompetenzcenter Integraler Taktfahrplan (KC IFT NRW) erstellt wurde, ist die Zahl der Zugausfälle auf ein Rekordniveau gestiegen. Etwa jeder siebte Zug kam erst gar nicht. 16,3 Millionen Zugkilometer der 116,4 Millionen, die im Fahrplan stehen, wurden gar nicht erst gefahren. 2022 fiel „nur“ knapp jeder zehnte Zug aus.
Dabei unterscheiden die Statistiker zwischen vorhersehbaren und unvorhersehbaren Ausfällen. Und vor allem die vorhersehbaren Ausfälle stiegen um rund ein Drittel. Diese geplanten Ausfälle sind zumeist in Baustellen begründet oder in so langfristigem Personalmangel, dass von vornherein nur ein eingeschränkter Fahrplan angeboten wird, wie beispielsweise derzeit beim RE11 von Düsseldorf nach Kassel. Auch die S68, ältere Bahnnutzer erinnern sich, die eigentlich zwischen Langenfeld und Ratingen Ost verkehren soll, ist wegen fehlendem Personal in 2023 quasi nie gefahren.
Zwei Drittel der spontanen Zugausfälle, die um rund 15 Prozent anstiegen, sind auf erkranktes Personal zurückzuführen, Mängel an der Strecke haben etwa ein Sechstel der Ausfälle ausgelöst, in jedem zehnten Fall versagte der Zug. Der Rest fällt unter „externe Einflüsse“, also Streckensperrungen, weil Leute oder Gegenstände auf den Gleisen sind oder ein anderer Zug defekt im Weg stand.
Was die Verspätungen angeht, schwächelt vor allem die S-Bahn, die 2019 noch immerhin neun von zehn Zügen pünktlich über die Strecke brachte. Mittlerweile sind weniger als acht von zehn S-Bahnen pünktlich. Kaum besser sind – allerdings traditionell – die Regionalbahnen, der klassische Bummelzug. Bei den RRX- und RE-Linien sind nur gut sieben von zehn Zügen im Fahrplan.
Trauriger Spitzenreiter bei den Verspätungen ist der Rhein-Express, RRX5, der zwischen Koblenz und Wesel verkehrt. Nicht einmal jeder zweite Zug ist pünktlich. Kaum besser sieht es beim RE 2 (Düsseldorf-Essen-Münster), beim RE7 (Rheine-Hamm-Wuppertal-Düsseldorf-Krefeld) aus. Und auch auf den beiden Hauptrouten im Revier, auf denen der RE 1 (Aachen-Köln-Duisburg-Dortmund-Hamm) und der RE 6 (Köln/Bonn-Flughafen-Neuss-Düsseldorf-Essen-Dortmund-Minden) verkehren, ist jeder dritte Zug zu spät.
In den Keller gegangen sind die Pünktlichkeitswerte in den letzten Jahren vor allem auf der S9 (Recklinghausen/Haltern-Bottrop-Essen-Langenberg-Wuppertal-Hagen). Hier kam jede dritte S-Bahn zu spät. Auf der S1 (Solingen-Düsseldorf-Duisburg-Essen-Dortmund) jede Vierte. Ebenfalls abgestürzt ist die S28 (Wuppertal-Mettmann-Düsseldorf-Kaarst), die mittlerweile ihrenBetrieb wegen Fahrzeugmangel auf ein Minimum reduziert hat. Erreichte sie 2020 noch 95 Prozent Pünktlichkeit, so waren es 2023 nur noch 60 Prozent.
Wenn vor allem Bahnpendler dies noch anders und drastischer erleben, muss man sich klarmachen, dass die Werte dadurch verzerrt sind, dass gerade in den Hauptverkehrszeiten mit vielen Reisenden die Pünktlichkeitsquoten noch weiter im Keller sind. Mitgewertet werden ja auch die Züge frühmorgens, spätabends und an Wochenenden, wo die Überlastung der Stationen und Strecken etwas weniger ins Gewicht fällt.
Was gibt Hoffnung? „Gemeinsames Ziel aller Beteiligten ist es (...) , kurzfristig mehr Verlässlichkeit für die Reisenden zu schaffen und Reiseketten wieder planbar zu machen“, verspricht der Qualitätsbericht. Und das bedeutet im Zweifel: Lieber weniger Züge fahren lassen, dafür aber zuverlässiger. „Die Vergangenheit hat bereits aufgezeigt, dass die Akzeptanz für angepasste Fahrpläne steigt, sofern damit eine gestiegene Zuverlässigkeit einhergeht. Nach den bisherigen Erfahrungen stellen sich Reisende auf veränderte Situationen ein, wenn sie frühzeitig bekannt, verlässlich und beständig sind.“
„Kurzfristig wird zum Beispiel die Personaleinsatzplanung angepasst: Dienstpläne und Einsatzorte werden durch leicht angepasste Fahrpläne optimiert, um bspw. aufgeteilte Dienste, sehr lange Dienstpausen oder nächtliche Leerfahrten zu reduzieren“, so eine Idee. Und es soll Ersatzpläne geben für ein reduziertes Angebot. „In der Konsequenz entsteht ein robuster Fahrplan mit einem temporär angepassten Angebot, das den Betrieb stabilisiert und für Reisende mehr Verlässlichkeit bringt.“
Wenn möglich, sollten die verbleibenden Züge mit mehr Sitzplätzen fahren, um zumindest einen gewissen Ausgleich zu schaffen. Aber auch den Autoren des Qualitätsberichts ist klar, dass dies nicht nach Verkehrswende klingt: Mit Einschränkungen verbundene Umstellungen sollen stets nur eine Übergangslösung sein; auch, um Zeit zur Rekrutierung zusätzlichen Personals zu gewinnen.
Der Zustand der Infrastruktur, die vielen Extrembaustellen, die beispielsweise zu monatelangen Sperrungen zwischen Emmerich und Oberhausen und in 2025 und 2026 zwischen Troisdorf und Koblenz, Düsseldorf und Hagen führen werden, sind damit allerdings auch noch nicht aus dem Weg geräumt, genauso wenig wie die jahrelange Sperrung der S6 wegen eines Bergrutsches bei Hösel.