Aus den Niederlanden. Am Mittwoch ist Wahltag in den Niederlanden. Was fordern die Wähler von einer neuen Regierung? Ein Stimmungsbild aus Friesland und Amsterdam.

In Lioessens im Nordosten der Niederlande scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Das kleine Dorf in Friesland mit 380 Einwohnenden und zwei Kirchen ist von Feldern und grünen Weiden umgeben, die Häuser haben gepflegte Vorgärten. Ehepaar Smidsknechts besucht jeden Sonntag den Gottesdienst. Wie sie bei den Neuwahlen am kommenden Mittwoch stimmen wollen, wissen sie noch nicht. „Wir haben das Vertrauen in die Politik etwas verloren. Aber wir haben zuletzt meistens christlich gewählt.‘‘

Bei den anstehenden Wahlen sei neben christlichen Themen auch das Thema Migration ausschlaggebend. „Es sollte strengere Regeln für Asylsuchende geben. So wie jetzt mit dem Thema umgegangen wird, verlieren noch mehr Menschen das Vertrauen in die Politik“, sagt der 76-jährige Herr Smidsknecht. Seine 75-jährige Frau sorgt sich um steigende Kriminalität. „Ich denke, das hängt auch damit zusammen, dass die Leute heutzutage weniger gläubig sind und sich weniger an den christlichen Werten orientieren.‘‘

Fragt man die Menschen hier nach ihrer Hoffnung für das Land, hört man vor allem einen Wunsch: Dass ihr Lioessens so bleibt, wie es ist. „Es ist ein guter Ort zum Leben. Es ist ruhig, aber es passiert trotzdem genug, damit es nicht langweilig ist”, sagen die Smidsknechts. Damit meint sie zum Beispiel auch die besondere Tradition des Ortes: das Eierwerfen.

Viele Bewohner und Bewohnerinnen geben an, dass sie wohl den NSC, die neue Partei von Pieter Omtzigt wählen wollen. „Er ist ein ehrlicher Mann”, sagt beispielsweise Frau Dijkestra, die bislang meistens für den Christen-Democratisch Appèl (CDA) gestimmt hat. Bislang sehen die jüngsten Umfragen für Omtzigt gut aus: Er liegt mit 16 bis 18 Prozent fast gleichauf mit der Regierungspartei VVD (17 bis 18 Prozent), hatte sie in vorherigen Umfragen sogar überholen können. Die christdemokratischen Parteien, aktuell noch in der Regierung, haben unterdessen stark an Zustimmung eingebüßt.

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GroenLinks-PvdA'-Spitze Frans Timmermans (links), VVD-Frontfrau Dilan Yesilgoz (Mitte) und NSC-Gründer Pieter Omtzigt bei einer TV-Debatte.
Von Madeleine Hesse, Michelle Kox, Tatjana Tempel

Der Abgang des aktuellen VVD-Premiers Mark Rutte spielt für Dijkestra keine Rolle mehr, sie ist froh über eine Veränderung: „Wir haben so lange dasselbe gehabt. Ich hoffe, dass es nun anders wird. Wir haben so viele Probleme mit der Migration zum Beispiel.” Zudem sorgt sich die 63-Jährigen wegen des wachsenden Unterschieds zwischen Arm und Reich: „Jeder sollte gut leben können.” Für das Dorf wünscht sie sich eine bessere Busverbindung.“ Ohne Auto kommt man hier nicht weg.”

Jacob Jungeling wohnt zwei Straßen weiter und will so wählen wie beim letzten Mal – welche Partei, möchte er allerdings nicht sagen. Der 31-Jährige hat eine Frau und zwei kleine Kinder. Die Familie wohnt mit ihrem Hund in einem Haus mit Garten. Nach Meinung des Schreiners hätten es große Betriebe viel einfacher. „Sie kriegen höhere Steuererleichterungen und haben mehr Vorteile.” Was ihn noch umtreibt: die angespannte Wohnungssituation. Noch habe hier fast jeder ein eigenes Haus oder eine Wohnung. Doch würden sich viele Sorgen machen, wie die Zukunft ihrer Kinder und Enkel aussehen soll.

So wollen Menschen in Amsterdam wählen

Ganz anders ist die Atmosphäre nicht mal 200 Kilometer von Lioessens entfernt: In der Innenstadt von Amsterdam, der bevölkerungsreichste Stadt der Niederlande, ist an sieben Tagen die Woche immer etwas los. Auf mehr als 900.000 Einwohner treffen jährlich rund 20 Millionen Gäste aus aller Welt. Fragt man die Menschen hier, was sie sich von den kommenden Wahlen erhoffen, fallen viele verschiedene Begriffe: Wohnungsnot, Klimawandel und soziale Ungerechtigkeit. Aber vor allem ein großes Wort: Veränderung.

Die 30-Jährige Nikkie Menting aus Haarlem findet in ihrer Heimat keine bezahlbare Wohnung und lebt deshalb noch bei ihren Eltern. 
Die 30-Jährige Nikkie Menting aus Haarlem findet in ihrer Heimat keine bezahlbare Wohnung und lebt deshalb noch bei ihren Eltern.  © NRZ | Michelle Kox

Viele Menschen zeigen eine klare politische Haltung. In einigen Wohnzimmerfenstern im Stadtteil West hängen Wahlplakate der linken Liste „PvdA/GroenLinks“ und der niederländischen Tierpartei. Auch bei einer Klimademonstration am 12. November wurde mit über 85.000 Teilnehmern deutlich, dass vielen Menschen Umwelt- und Tierschutz am Herzen liegen.

Linke Parteien fallen zurück

Doch nicht allen fällt auch die Entscheidung leicht, für welche Partei gestimmt werden soll. „Ich war immer schon sehr linksorientiert“, sagt der Amsterdamer Maarten Heijblok (61). Doch von der Partei „GroenLinks“, die für mehr Schlagkraft erst vor kurzem ein Bündnis mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei „PvdA“ geschlossen hat, habe er die Nase schon lange voll. In den jüngsten Umfragen liegt die linke Liste aktuell auf Platz drei. Auch wenn sie mit 14 bis 16 Prozent nicht allzu weit hinter VVD und NSC zurückfällt, werden ihr kaum Chancen für ein linkes Comeback zugerechnet – stattdessen sind die Potenziale für eine Mitte-Rechtskoalition deutlich größer.

„Ich finde es enttäuschend, dass sie am Ende doch immer wieder probieren, mit anderen Parteien mitzuhalten, anstatt ihren eigenen Werten, die sie in ihren Wahlprogrammen präsentieren, treu zu bleiben“, sagt Heijblok zu GroenLinks. „Sie möchten zum Beispiel, dass die Städte grüner werden und trotzdem noch mehr Geld in die Industrie investieren. Das passt für mich nicht zusammen.“ Für wen er am 22. November sein Häkchen setzen wird, wisse er jetzt noch nicht.

Wohnungsnot in den Niederlanden

Das hippe Amsterdam gilt als die mit Abstand teuerste Stadt in den Niederlanden. Für eine Einzimmerwohnung von 40 Quadratmetern bezahlt man im Durchschnitt eine Monatsmiete von rund 1.000 Euro, auch die umliegenden Städte sind teuer. Nikkie Menting kommt aus dem angrenzenden Haarlem und wohnt immer noch bei ihren Eltern. „Ich bin 30 Jahre alt, habe studiert, arbeite freiberuflich als Niederländisch-Lehrerin und kann mir eine eigene Wohnung in Haarlem einfach nicht leisten“, beklagt sie.

Die Eheleute Susanne und Roger Moonen aus Alkmaar führen einen eigenen Supermarkt und wünschen sich weniger Bürokratie und eine Steuersenkung für Unternehmer. 
Die Eheleute Susanne und Roger Moonen aus Alkmaar führen einen eigenen Supermarkt und wünschen sich weniger Bürokratie und eine Steuersenkung für Unternehmer.  © FFS | Michelle Kox

„Meine Kinder standen über drei Jahre auf etlichen Wartelisten von Wohnungsbaugesellschaften, bis sie endlich ausziehen konnten“, sagt auch der 59-Jährige Robert Handgraaf. Er meint: Geflüchtete bekämen immer sofort eine Wohnung. „Das ist nicht gerecht. Die Regierung lässt ihre eigenen Leute im Stich.“ Wählen will er dieses Mal nicht. „Es ändert sich sowieso nichts.“ Bei jeder Wahl habe es immer eine Partei gegeben, bei der er dachte, dass sie die Probleme lösen könne. Jedes Mal sei er enttäuscht worden.

Ein paar Meter weiter spaziert der 60-Jährige Roger Moonen mit seiner Frau Susanne durch den Westerpark. Als Betreiber eines Spa-Supermarkts beklagen sie zunehmende Bürokratie und fordern Steuersenkungen für Unternehmen. Roger Moonen wünscht sich eine kritischere Haltung gegenüber Klimaausgaben und legt große Hoffnungen in Pieter Omtzigt. Es brauche mehr Zeit, man könne nicht verlangen, dass sich von einem auf den anderen Tag alles ändere. „Omtzigt ist ein Rationalist“, so Moonen. „Er ist ehrlich, macht keine leeren Versprechen.“ Mark Rutte habe viele Probleme zu lange ignoriert und das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zerstört.