Kreis Kleve. Der Reichwald im Kreis Kleve könnte zum Nationalpark erklärt werden. Dietrich Cerff vom Nabu erklärt, welche Vorteile die Auszeichnung hätte.
Der Startschuss für die Suche nach einem zweiten Nationalpark in Nordrhein-Westfalen ist gefallen. Die Diskussion darüber nimmt immer mehr Fahrt auf. Seit Anfang September können Kreise und Regionen, Vereine, Verbände, aber auch Bürgerinnen und Bürger ihr Interesse bekunden und ihre Meinung äußern. Sechs große Gebiete in NRW wären dafür von der Fläche her denkbar. Weil NRW-Umweltminister Oliver Krischer auch den mit gut 5100 Hektar eher kleinen Reichswald ins Spiel gebracht hat, laufen die Gespräche dazu im Kreis Kleve auf Hochtouren. Für eine Ausweisung des Waldgebiets als Nationalpark bewerben kann sich bis zum Ende des ersten Quartals 2024 dann der Kreis Kleve. Wir haben uns für die Sicht des Nabu im Kreis Kleve interessiert, der sich gemeinsam mit Heimatvereinen für die Ausweisung des Reichswaldes als Nationalpark einsetzt. Ein Gespräch mit Dietrich Cerff, Vorstandsvorsitzender der Nabu-Naturschutzstation Niederrhein, für den der Wald „schon immer mein Ding“ war.
Herr Cerff, was sind Ihre Argumente pro Nationalpark?
Ich finde Wildnis im Wald eine tolle Sache. Ich kenne einige der Wälder in Deutschland. Ihr Artenreichtum ist fantastisch. Guckt man auf das Flachland in Westdeutschland, so ist der Reichswald die einzige Fläche, die sich zum Nationalpark eignet. Im Vergleich zur Eifel (dem bislang einzigen Nationalpark in NRW. Anm. d. Red.) ist der Reichswald ein sehr gemischter Wald, ein Mosaik aus verschiedenen Ausgangssituationen, aus denen sehr schnell ein artenreicher Wald entstehen kann.
Wenn es dann noch gelänge, die niederländischen Waldeigentümer zu gewinnen, einen gemeinsamen Park aufzumachen und eine Brücke über die Grenze zu schlagen, wäre das fantastisch. Es hätte diesen Aspekt der Völkerverständigung und wir mehr Gewicht gegenüber den Mittelgebirgsflächen. Beteiligen könnten sich daran möglicherweise vier niederländische Kommunen. Erste Signale aus dem Nachbarland gibt es schon.
Was kann der Reichswald denn schon, um Nationalpark zu sein?
Der Wald hat als Lebensraum seine Qualität. So sind seine alten Laubholzkerne bedeutsam. Hier leben außergewöhnlich viele Greifvögel, die ihre Horste im Reichswald bauen. Er ist wichtiger Lebensraum für Fledermäuse. Würde man dem Wald erlauben ungestört alt zu werden, entstünde weiterer Lebensraum etwa für Spechte oder Insektenarten.
Was müsste passieren, damit er’s am Ende auch ist?
Es macht Sinn, Waldbestände wie zum Beispiel die Nadelholzbestände umzubauen. Die Maßnahmen würden dafür sorgen, in der nächsten Waldgeneration einen Mischwald entstehen zu lassen. Man bräuchte ein Wege- und Besucherkonzept, Infozentren und Lehrpfade. Der Bildungsaspekt ist wichtig, ebenso ökologische Forschung. Natürlich wäre der Reichswald ein kleiner Park, der Bayerische Wald zum Vergleich hat 35 Hektar. Wenn jedoch die Niederländer dazukämen, die noch eine Reihe naturnaher Flächen beitragen könnten, wären weitere 3000 bis 4000 Hektar denkbar.
Wie sieht es denn mit dem Menschen bei diesen Plänen aus?
Es wird Waldwege geben. Man kann auch zukünftig im Reichswald reiten oder Rad fahren. Vermutlich wird man das Wegenetz klüger ausrichten als jetzt – orientiert eher am Menschen und der Natur als an Lkw, die Holz aus dem Wald holen. Wichtigstes Ziel des Parks ist es, den Menschen den Wald zu zeigen. Er wird als Nationalpark für sie besser erlebbar sein. Für die Forstwirtschaft allerdings würde der Nationalpark im Lauf der nächsten Jahre das Aus bedeuten, und auch die Jagd müsste sich den Zielstellungen der natürlichen Waldentwicklung unterordnen.
Windkraft im Wald wird vielerorts diskutiert.
Naturschutzargumente sind da inzwischen deutlich nachrangig. Es gibt aber ein paar Tabuzonen. FFH-, Naturschutz- und Vogelschutzgebiete gehören dazu – und ein Nationalpark. Käme er, wäre die Windkraft raus.
Hätte das Konzept des Nationalparks Auswirkungen auf Biodiversität, Widerstandsfähigkeit etwa gegen Borkenkäfer oder Stürme?
Ja, auf jeden Fall. Kiefern- oder Douglasienbestände bringen in der Regel keine Artenvielfalt, sind dafür aber empfindlich gegen Störungen von außen. Ich denke, die Entwicklung wird Richtung Laubwald gehen. Naturwälder haben sehr viel mehr Holzmasse als Wirtschaftswälder und speichern mehr Kohlendioxid.
Was bedeutet es für Sie persönlich, wenn der Nationalpark käme?
Ich würde mich freuen und wäre gespannt auf die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte. Ich hoffe, dass es eine Bewerbung gibt.
Würde sich Ihre und die Arbeit des Nabu verändern?
Ich könnte mir vorstellen, dass sich im Bereich Umweltbildung etwas tut.
Wenn die Entscheidung für den Nationalpark fällt, wie ginge es dann weiter?
Der Landesbetrieb Wald und Holz spielt dann eine wichtige Rolle bei der Einrichtung, außerdem das Umweltministerium, das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz und mit Sicherheit die Kommunen. Eine große Rolle wünsche ich mir auch für die Zivilgesellschaft. Der Nationalpark wäre zudem eine Chance für die Gründung kleinerer Unternehmen im touristischen und im Bildungsbereich.
>>> Über Dietrich Cerff
Dietrich Cerff ist Diplom-Biologe mit Schwerpunkt Botanik und seit 20 Jahren beim Nabu beschäftigt. Seit 2003 ist der Naturreferent Vorstandsvorsitzender der Naturschutzstation Niederrhein in Kleve.
Der Wald war sein Lieblingsthema, schon als er Student war. Aktuell ist Cerff zudem Beauftragter des Nabu-Kreisverbandes Kleve für den Nationalpark.