An Rhein und Ruhr. Nicht immer lohnt sich ein Studium finanziell. Eine neue Statistik zeigt, in welchen Handwerksberufen sogar Gehälter über Tarif bezahlt werden.

Handwerkerinnen und Handwerker, die einen Meisterbrief in der Tasche haben, beziehen im Schnitt höhere Gehälter als Absolventen eines Bachelor-Studiengangs. Das ist das Ergebnis eines Gehaltsvergleichs des Statistischen Bundesamtes mit Daten April 2022. Demnach verdienten Meisterinnen, Techniker und Fachschulabsolventen in Deutschland durchschnittlich 4826 Euro brutto, für Berufstätige mit Bachelorabschluss lag der Wert bei 4551 Euro. Nur für Arbeitnehmer mit einem Master (6188 Euro) lohnt sich das Studienzeugnis im Schnitt mehr als der Meisterbrief. Handwerksverbände aus Nordrhein-Westfalen beklagen jedoch, dass diese Entwicklung in den Köpfen vieler Menschen noch nicht angekommen sei.

Der Präsident des Unternehmerverbands Handwerk NRW, Rüdiger Otto, sieht etwa Lücken im Wissen über die Reize von körperlicher Arbeit sowohl in Schulen als auch bei einigen Eltern. Dadurch würden Talente im handwerklichen Bereich oftmals nicht erkannt oder sogar verweigert, bedauert Otto. „Die berufliche und die akademische Bildung sollten politisch gleich behandelt und von der Öffentlichkeit gleich angesehen werden.“ Dafür müssten die Vorzüge des Handwerks noch stärker in den Vordergrund gerückt werden. Otto vermutet, dass die Verdienstmöglichkeiten im Handwerk wegen des Mangels an qualifizierten Kräften und der großen Nachfrage nach Terminen noch größer werden. „Die marktwirtschaftliche Situation führt schon jetzt dazu, dass Beschäftigte in den Bereichen Sanitär, Heizung, Lüftung, Elektro und Bauwesen sogar mehr Geld als im Tarif festgelegt verdienen.“

Handwerk in NRW sucht Nachwuchs: Bafög und Meisterprämie verbreiten Hoffnung

Ein Grund dafür liegt in der Altersstruktur der Selbstständigen. Wie die Handwerkskammer Düsseldorf mitteilt, steht jeder fünfte Handwerksbetrieb zurzeit vor der Entscheidung, ob eine Übergabe oder die Schließung ansteht, da die Inhaber älter als 60 Jahre sind. Kammerpräsident Andreas Ehlert betont, dass sich die Zahl der Meisterinnen und Meister, die sich beruflich unabhängig machen wollen, „tendenziell verdoppeln“ müsste, um den künftigen Bedarf der Betriebe zu decken.

Neue politische Anreize sollen helfen, diese Lücke zu schließen. Bislang bestand eine Hürde darin, dass angehende Meister für Lehrgangs- und Prüfungsgebühren zahlen mussten. Seit dem vergangenen Jahr können sie diese Kosten durch das aufgestockte Meister-Bafög mit bis zu 15.000 Euro fördern lassen, davon 40 Prozent als Zuschuss. Dazu kommt ab August die Meisterprämie in Höhe von 2500 Euro pro erfolgreicher Prüfung. Elf Millionen Euro investiert das Land Nordrhein-Westfalen jährlich. Kammer und Verband stimmt diese Entwicklung zuversichtlich. Rüdiger Otto: „Die berufliche Leidenschaft darf nicht am Geld scheitern.“

Handwerk in NRW: Bäcker, Köche und Friseure verdienen am schlechtesten

Das Image der „Drecksarbeit mit schlechten Arbeitsbedingungen“ trifft schon lange nicht mehr auf die Berufe des Handwerks zu, ist der Präsident des Unternehmerverbandes Handwerk NRW, Rüdiger Otto, überzeugt. Mittlerweile sind, wie berichtet, die Verdienstmöglichkeiten für Meisterinnen und Meister im Schnitt sogar besser als für Bachelorabsolventen. Trotzdem gibt es zwischen den Berufsgruppen noch große Unterschiede. Während sich Heizungsinstallateure oder Dachdeckerinnen kaum vor Aufträgen retten können und zum Teil über Tarif verdienen, ist die Lage der Dienstleister schwieriger. Das bestätigt eine neue Auswertung des Statistischen Bundesamtes. Bäckerinnen (2738 Euro), Köche (2590) und Friseure (1778) verdienen demnach weiterhin deutlich weniger als das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt, das die Statistikbehörde auf 4105 Euro beziffert.

Rüdiger Otto kennt die Gründe. „Diese Branchen leiden besonders stark unter dem Fachkräftemangel. Durch die hohen Betriebskosten und den zunehmenden Druck von Ketten wirken diese Berufe weniger attraktiv.“ Auch die Nachfolgersuche werde für Inhaberinnen und Inhaber zunehmend zum Problem. Doch der Mangel an handwerklich begabtem und interessiertem Nachwuchs beschäftigt das gesamte Handwerk. Der Verbandspräsident rührt die Werbetrommel: „Die Nachfrage nach Aufträgen und die Jobsicherheit sind im Handwerk riesengroß. Es ist reizvoll, bei der energetischen, robotischen und digitalen Veränderung der Welt mitzumachen. Klar ist auch: Die Energiewende kann ohne das Handwerk nicht zustandekommen.“ Wer eine Karriere als Meisterin oder Meister anstrebt, sollte nicht nur Talent mitbringen, sondern auch für den Beruf „brennen“, rät Otto.

Studium nach Meister – Präsident von Unternehmerverband Handwerk: „Riesenvorteil“

Dazu braucht es eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegen die Risiken der Selbstständigkeit. Dieser Schritt macht sich in der Regel aber bewährt, wie eine Auswertung der Handwerkskammer Düsseldorf zeigt. Demnach haben sich rund zwei Drittel aller Existenzgründungen von Meisterinnen und Meistern aus dem Jahr 2017 auf dem Markt behauptet. Zum Vergleich: Bei den Neugründungen der übrigen Wirtschaft, den sogenannten Start-ups, scheitern mehr als 80 Prozent bereits binnen drei Jahren, wie die Kammer mitteilt.

Die Entscheidung für eine berufliche Ausbildung im jungen Alter kann zudem eine gute Grundlage für den späteren Weg an eine Universität legen, etwa bei einem Studium im Bereich Ingenieurwesen. Wer schon praktische Erfahrung im Umgang mit Materialien mitbringt, habe dort einen „Riesenvorteil gegenüber denjenigen, die direkt vom Gymnasium an die Uni gehen“, meint Rüdiger Otto.