Duisburg. In der Gruppe Nebelhorn werden Menschen mit und ohne Behinderungen kreativ. Ihre Arbeiten sind nun in der Cubus Kunsthalle zu sehen.

Rot-weißes Absperrband führt mitten durchs Bild, trennt die eine von der anderen Person. Die Grenzen sind klar abgesteckt! Maria Bojert hat mit ihrer Arbeit „Begegnung“ jedoch nicht etwa die Isolation in der Pandemie künstlerisch verarbeitet, vielmehr ging es ihr allgemein um das Thema „Grenzüberschreitungen“. Und damit hat sie sich schon vor Corona intensiv beschäftigt, ebenso wie die anderen Mitglieder der Gruppe Nebelhorn aus Schermbeck. Ihre unterschiedlichen Ergebnisse – Bilder, Fotos, Videos, Skulpturen, Installationen – sind nun in der Cubus Kunsthalle in Duisburg zu sehen.

Aber jetzt mal ehrlich, vielleicht war Maria Bojerts Kunstwerk ja doch eine Vorahnung? Das will der künstlerische Leiter Raúl Avellaneda einfach mal so stehen lassen… Zumindest aber passt es zu dem Projekt von und für Menschen mit und ohne Behinderung, das eigentlich bereits 2020 in einer Ausstellung münden sollte – bis es „wegen grenzüberschreitendem Coronavirus abgesagt“ wurde. So steht es auf einem Plakat, das, natürlich, umrandet wird von rot-weißem Absperrband. Ja, es war keine einfache Zeit für die Gruppe Nebelhorn, die sich schon bald fragte: Wie machen wir weiter?

Kunstquartier in Berlin

Denn es waren zwar schon einige Werke entstanden, unter anderem auch im offenen Kunstquartier Bethanien in Berlin, doch angesichts der neuen Ereignisse erhielt das Thema eine noch aktuellere Dimension. Ärgerlich nur, dass sich die Gruppe Nebelhorn, die aus Menschen mit und ohne Behinderung besteht, nicht mehr treffen und sich darüber austauschen konnte. „Viele waren geradezu eingesperrt in ihre Wohnungen und die Wohnheime“, erzählt Raúl Avellaneda. Eine echte Belastung, denn einige kommen bereits seit 1995 wöchentlich nach Schermbeck.

Die Gruppe Nebelhorn aus Schermbeck hat während der Pandemie eine Whats App-Gruppe gegründet, in der sie sich kreativ ausgetauscht haben. Die Ergebnisse sind nun in der Cubus Kunsthalle in Duisburg zu sehen.
Die Gruppe Nebelhorn aus Schermbeck hat während der Pandemie eine Whats App-Gruppe gegründet, in der sie sich kreativ ausgetauscht haben. Die Ergebnisse sind nun in der Cubus Kunsthalle in Duisburg zu sehen. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Nun ist die Gruppe Nebelhorn dafür bekannt, schnelle Lösungen für so ziemlich jedes Problem zu finden, wie der Leiter selbst erklärt. Konkret bedeutet das: „Wir gründen eine Whats App-Gruppe, in die jeder etwas schickt und darauf reagieren dann die anderen.“ Gesagt, getan. Der eine postete ein Selfie im Zahnarztstuhl, das im nächsten Schritt mit grinsenden Mündern im Hintergrund versehen wurde, bevor die andere mit ebenjenem grinsenden Mund ein neues Selfie bearbeitete. Und am Ende schaute Donald Trump grimmig in die Kamera…

Analoge Whats App-Gruppe

Die geballte Kreativität hängt an seidenen Fäden. Fotos unter Fotos unter Fotos erzählen Geschichten aus der Pandemie, zeigen die künstlerische Sicht auf den neuen, eingeschränkten Alltag. „Corona-Raum“ nennt Raúl Avellaneda den Teil der Ausstellung, der seit März 2020 entstanden ist. Wie genau, zeigen auch Videos auf dem Fernseher, den eine gesichtslose Figur an einem offenen Grab hält. „Mit den Filmen hier in der Ausstellung könnte man sich monatelang beschäftigen“, sagt er. Aber Vorsicht, es gibt noch viel mehr zu entdecken!

Raúl Avellaneda blättert in den Skizzenbüchern, die Mitglieder der Gruppe Nebelhorn während des Lockdowns kreativ befüllt haben.
Raúl Avellaneda blättert in den Skizzenbüchern, die Mitglieder der Gruppe Nebelhorn während des Lockdowns kreativ befüllt haben. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Dazu einfach mal ein paar Schritte weiter gehen, um an einem langen Regal die dicken Skizzenbücher durchzublättern. Genau, anfassen ist ausdrücklich erlaubt! Mehr noch, wer Lust hat, darf sich auch selbst künstlerisch austoben. So wie es jene Mitglieder getan haben, die kein Handy benutzen können und eine analoge Whats App-Gruppe eröffnet haben. „Ein Fahrdienst ist mit den Zeichenbüchern zu den Wohnheimen gekommen, um sie dort abzugeben und später wieder abzuholen“, erzählt Raúl Avellaneda. Die Gruppe Nebelhorn findet eben immer eine Lösung…

Vom Opfer zur Täterin

Auf eine bunte Eule folgt ein kurzes Gedicht von Petra, dann schreibt jemand: „Ich vermisse Nebelhorn.“ Wie wichtig das offene Atelier für viele Mitglieder ist, weiß der künstlerische Leiter nur allzu gut. Denn bei ihnen darf jeder und jede so arbeiten, wie er oder sie möchte. Dadurch entstanden auch mal Kunstwerke, die für Außenstehende alles andere als leicht verdaulich sind. So wie das Bild von einem König mit goldener Krone auf dem Kopf und spitzem Messer in der Hand, der über sieben Patienten in den Krankenbetten „herrscht“.

In der Cubus Kunsthalle in Duisburg beschäftigt sich die Gruppe Nebelhorn aus Schermbeck in einem Raum auch mit dem Thema „Sehnsucht“.
In der Cubus Kunsthalle in Duisburg beschäftigt sich die Gruppe Nebelhorn aus Schermbeck in einem Raum auch mit dem Thema „Sehnsucht“. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Doch die Künstlerin, die selbst eine Behinderung hat, wollte ihre grenzüberschreitenden Erfahrungen in Kliniken nicht nur aufmalen, sondern noch eindrücklicher zeigen. Also schlüpfte sie für eine Performance in die Rolle des Königs, wurde dadurch vom Opfer zur Täterin. „Wenn ich das sehe, kriege ich direkt Angst“, beschreibt Raúl Avellaneda die Wirkkraft der Arbeit, von der eine Dokumentation in der Ausstellung zu sehen ist. Allerdings, das sagt er auch: „Manchmal muss man sich eben auskotzen und das stinkt, aber danach geht’s einem besser.“

Extrem authentisch

Ja, die Kunstwerke verschrecken, berühren und stimmen immer wieder nachdenklich. Weil sie extrem, aber vor allem authentisch sind, wie der künstlerische Leiter betont. Das ist natürlich auch wieder das Ziel für die nächste Ausstellung, die unter dem Titel „Sehnsucht“ steht. Und einen kleinen Ausschnitt gibt’s schon jetzt in der Cubus Kunsthalle zu sehen – dazu einfach mal um die Ecke schauen…

>>> Die Gruppe Nebelhorn aus Schermbeck

Raúl Avellaneda hat 1995 die Gruppe Nebelhorn als offenes Atelier gegründet, damit Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam kreativ arbeiten können. „Gerade im Kreativen werden die Schwächeren stärker und die Starken schwächer“, erklärt er. Weil Menschen mit Behinderung häufig einen anderen Blick auf Dinge haben, „können Menschen ohne Behinderung von ihnen profitieren.“

Da auch Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Suchterkrankungen willkommen sind, ist es dem künstlerischen Leiter wichtig, das Atelier am Wochenende und den „einsamen Stunden“ zu öffnen. Interessierte treffen sich daher mittwochs und donnerstags von 18 bis 22 Uhr, freitags von 18 bis 24 Uhr sowie samstags von 15 bis 24 Uhr im Weseler Wald. Weitere Infos: www.nebelhorn.org

Die Ausstellung „Grenzüberschreitungen“ in der Cubus Kunsthalle ist mittwochs bis sonntags von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Immer sonntags können Interessierte gemeinsam mit Raúl Avellaneda und anderen Mitgliedern der Gruppe Nebelhorn in einem Raum der Ausstellung zum Thema „Sehnsucht“ arbeiten.