Aus den Niederlanden. Die Niederlande ziehen nicht mehr die Anzahl der Neuinfektionen für Entscheidungen über Corona-Regeln heran - sondern schauen auf Krankenhäuser.

Die Niederlande ändern ihre Herangehensweise bei der Pandemiebekämpfung: Ab dem 25. September sollen die Aufnahmen in Krankenhäuser und auf Intensivstationen für die Einführung oder Lockerungen neuer Corona-Maßnahmen entscheidend sein und nicht - wie zuvor - die Infektionszahlen. Das berichtet der niederländische Sender NOS mit Verweis auf den jüngsten Kammerbrief von Gesundheitsminister Hugo de Jonge.

Bislang orientieren sich die Niederlande bei der Bewertung der Coronalage – und der Lockerungen oder Verschärfung der damit verbundenen Maßnahmen – an der Hospitalisierungsrate wie auch an der Sieben-Tage-Inzidenz. Letztere spielte aber schon seit Beginn der Pandemie eine geringere Rolle als in Deutschland. So kam es dazu, dass in den Niederlanden auch bei Inzidenzen gelockert wurde, bei denen in Deutschland noch an Maßnahmen festgehalten wurde.

Niederlande: Hospitalisierungsrate statt Inzidenz ausschlaggebend

Auch in Deutschland wird die Aussagekraft der Neuinfektionen inzwischen anders bewertet als in den ersten eineinhalb Jahren der Pandemie, in denen noch kein oder kaum Impfstoff zur Verfügung stand. Die niederländische Regierung begründet ihr neues Vorgehen damit, dass durch die Impfquote deutlich mehr Menschen gegen schwere Verläufe geschützt seien und das Krankenhaussystem dadurch weniger stark belastet. Laut Europäischem Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) liegt die Impfquote im Nachbarland unter den vollständig geimpften Erwachsenen bei 77,5 Prozent.

Das neue Vorgehen der niederländischen Regierung ist konkret an der Bewertung der Corona-Lage im Land abzulesen: Prinzipiell wird nach drei Risikoniveaus waakzaam (wachsam), zorgelijk (besorgniserregend) und ernstig (ernst) unterschieden, bei denen nur noch die Hospitalisierungsrate und die Belegung der Intensivbetten als Indikatoren genannt werden. Die Sieben-Tage-Inzidenz für Neuinfektionen kommt nicht mehr als Grenzwert vor. Das geht aus dem von der Regierung veröffentlichten Dokument „Strategie Herbst“ hervor.

NRW: Neuinfektionen nicht mehr alleiniges Kriterium für Maßnahmen

Einen vergleichbaren „Abschied“ von der Neuinfektionsinzidenz gibt es hierzulande noch nicht. In NRW müssen sich die Schutzmaßnahmen laut überarbeiteter Corona-Schutzverordnung aber neben der Sieben-Tage-Inzidenz nun auch insbesondere an der Hospitalisierungsrate orientieren.

Über diese beiden Werte hinaus sollen unter anderem folgende Faktoren berücksichtigt werden: die verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten, die Anzahl der gegen COVID-19 geimpften Personen, die Zahl der Todesfälle, die Altersstruktur der Infizierten sowie die Entwicklung des R-Wertes. Wie genau diese Werte zusammenwirken und ab wann neue Maßnahmen ergriffen werden, geht aus der Schutzverordnung nicht hervor.

Bedenken an der neuen Risikobewertung in den Niederlanden

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In den Niederlanden sind unterdessen feste Werte der Hospitalisierungsrate und Intensivbettenbelegung vorgegeben, nach deren Überschreitung neue Maßnahmen ergriffen werden sollen. Unumstritten ist die neue Risikoeinteilung ohne Blick auf die Inzidenzen dabei nicht, erste Bedenken werden laut.

„Es ist logisch, dass in dieser Phase der Pandemie erneut geschaut wird, wann die Regierung etwas unternehmen muss“, sagte die Nimweger Epidemiologin Alma Tostmann dem niederländischen Sender NOS. „Es ist nur die Frage, wann genau mit Maßnahmen eingegriffen wird. Passiert das erst, wenn die Krankenhausaufnahmen schon hoch sind, ist es zu spät. Dann muss man Wochen auf eine Erholung warten.“

Auch Alexander Friedrich, Professor für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Groningen, spricht sich dafür aus, die Inzidenzen noch nicht ganz aus der Risikobewertung zu verbannen. „Aus meiner Sicht müssen wir bis April 2022 die Inzidenz weiter im Auge behalten, weil wir ansonsten vor allem die Ausbreitung neuer Varianten nicht früh genug erkennen werden“, so Friedrich. „Danach werden wir sowieso viel weniger testen und dann sind die Inzidenzen auch nicht mehr so entscheidend. Möglicherweise nur noch in den künftigen Wintermonaten.“