Duisburg. . Eine bewegende Zeremonie zum achten Jahrestag der Loveparade-Katastrophe. 100 Trauernde versammelten sich in der Gluthitze der Gedenkstätte.
Paco Zapater nimmt sich noch drei weiße Rosen aus der voluminösen Vase. Dann bahnt er sich den Weg durch ein Meer aus Blumen und Kerzen, das sich fast über die gesamte Gedenkstätte ausdehnt, bis hin zu jener schmalen Treppe. Am Tag der Loveparade-Katastrophe schien sie der einzige Ausweg aus dem panischen Gedränge zu sein. An ihrem Fuße fanden die meisten der insgesamt 21 Opfer dann statt der erhofften Rettung den Tod.
Heute stehen 21 Holzkreuze auf den schmalen Stufen, jedes mit dem Namen eines Verstorbenen gekennzeichnet. Paco Zapater kraxelt am Ende der gestrigen Gedenkfeier anlässlich des achten Jahrestages der Katastrophe die Treppe hinauf, bis er das Kreuz seiner Tochter Clara erreicht hat. Sie zählte zu jenen, die am 24. Juli 2010 in Duisburg gestorben sind. Behutsam legt er die Blumen nieder, hält kurz inne, ehe er tief bewegt wieder hinuntersteigt. Es sind Momente wie diese, die auch acht Jahre nach der Tragödie einen Kloß im Hals erzeugen.
Verschmolzene Kerzen als Symbol
Die gnadenlose Juli-Sonne hatte den gesamten Dienstag mit ihrer geballten Kraft einen Hitzeschleier auf die Gedenkstätte im Karl-Lehr-Tunnel gelegt. Mit sichtbaren Folgen: Die 21 weißen Kerzen, die die Hinterbliebenen am Abend zuvor bei einer Andacht in der Salvatorkirche angezündet und später bei der „Nacht der 1000 Lichter“ am Unglücksort aufgestellt hatten, waren durch die extreme Wärme miteinander verschmolzen. Sie lagen dadurch zur Seite gekippt, kreuz und quer auf- und übereinander.
„Das erinnert mich an die Bilder der Menschenmassen, die damals hier aufeinander lagen. Symbolischer geht’s ja kaum.“ Der Mann, der da die Bilder in seinem Kopf beschreibt, ist Klaus-Peter Mogendorf. Er und seine Frau Stefanie hatten ihren damals 21-jährigen Sohn Eike bei der Loveparade-Katastrophe verloren. In den vergangenen zwei Jahren waren sie der Gedenkveranstaltung im Tunnel fern geblieben. Diesmal wollten sie wieder teilhaben. „Für uns ist aber die Andacht am Abend zuvor der wichtigste Teil des Wiedersehens, weil wir Hinterbliebenen dort unter uns sind“, so Mogendorf.
Diese Gedenkfeier am Tunnel ist hingegen öffentlich. Es sind rund 100 Trauernde, die sich da am frühen Dienstagabend versammeln. Sie lauschen gemeinsam den eröffnenden Klängen des Musikers Okko Herlyn, der mit seiner Gesangspartnerin Pia Kehl den Sting-Song „Fragile“ neu interpretiert. Sie lauschen den Worten von Dr. Jürgen Thiesbonenkamp. Der Pfarrer und Sprecher des Kuratoriums der Stiftung „Duisburg 24.7.2010“ weiß, wie schwer diese Minuten für jeden der Hinterblieben sein müssen. „Gemeinsam wollen wir diesen Moment aushalten“, sagt Thiesbonenkamp. Und die Gruppe tut dies. Schweigend. In sich versunken. Zu Boden blickend. Und doch miteinander verbunden als vom Schicksal geschmiedete Gemeinschaft.
Eine Lücke als Verbindung
Der Schmerz des unfassbaren Verlustes steht fast allen ins Gesicht geschrieben. „Es gibt nichts, das uns die Abwesenheit eines geliebten Menschen ersetzen kann“, weiß Thiesbonenkamp. Und dennoch versucht er zu trösten, indem er sagt, dass es eben jene gerissene Rieselücke sei, die alle Hinterbliebenen auf Dauer in Verbindung mit den Verstorbenen halten würde.
Es ist 17.15 Uhr, als dann die Glocke geschlagen wird. Das hat bei der Gedenkfeier inzwischen Tradition. 22 Mall erschallt der metallene Klang. 21 Mal für jedes der Todesopfer, ein Mal für alle Verletzten und Traumatisieren. Knapp zwei Minuten dauert das – eindringliche Momente auch dies.
Und wie lange soll der Toten hier noch gedacht werden? Thiesbonenkamp weiß, dass es Menschen in dieser Stadt gibt, die sich nach einer Art Schlussstrich sehnen. Es brauche aber noch Zeit, bis die offene Wunde, die diese Katastrophe in der Stadt und in so vielen Menschen gerissen hat, vernarben kann. Wichtig sei es allen Hinterbliebenen, so der Pfarrer, dass andere Organisatoren von Großveranstaltungen aus den Planungsfehlern lernen. „Denn dann würden wir nicht nur ihr Andenken bewahren“, sagte Thiesbonenkamp, „sondern dann wäre ihr Tod auch nicht sinnlos gewesen.“