Bielefeld. Mehrere tausend Jesiden haben am Samstag in Bielefeld gegen die Taten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) im Nordirak demonstriert. Ohnmächtige Wut, Trauer, Verzweiflung: Die Tragödie der verfolgten Jesiden und Christen treibt die Demonstranten an den Rand der Selbstbeherrschung.

Der Zahnarzt Ali Khalaf hat seine Praxis in den vergangenen Tagen kaum gesehen. Der Jeside hat sich ganz der Hilfe für seine Glaubensgemeinschaft im Irak verschrieben, er sammelt Spenden und organisiert Proteste.

Gleich wird Khalaf auf der Abschlusskundgebung in Bielefeld seine Rede halten, nervös blättert er in seinem Manuskript. "Hier geht es um die Vernichtung unserer Religion", sagt er düster. Vor der improvisierten Bühne skandiert die Menge auf Kurdisch "Stoppt den Terror, stoppt IS." Ältere Frauen heben die Arme zum Himmel und weinen.

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IS - das ist die terroristische Islamistenmiliz, die inzwischen weite Teile des Iraks und Syriens in ihre Gewalt gebracht hat. Nach zahlreichen Berichten gehen sie äußerst brutal mit ihren Gegnern um, erbarmungslos vor allem mit Jesiden und Christen. Tausende sollen in den Bergen von den IS-Kämpfern eingeschlossen sein, ohne Wasser und ohne Nahrung.

"Das ist kein Krieg, sondern Völkermord", steht in Bielefeld auf einem Banner. Auf einem anderen sind angeblich IS-Kämpfer zu sehen, die vor frisch abgeschnittenen Menschenköpfen posieren. Khalaf hält den Kontakt zu Jesiden im mehr als 3000 Kilometer entfernten Irak. "Eine Frau aus Singal hat mir berichtet, dass sie zusehen muss, wie ihre Kinder in der Hitze verdursten."

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Auch Christen, Aleviten und Muslime sind gekommen

Zwischen den kurdischen und jesidischen Fahnen schwenkt ein junger Mann die Fahne der Christen im Irak. David Kulan (22) aus Bad Oeynhausen in Ostwestfalen trägt einen Kampfanzug, der "Stärke demonstrieren" soll. Auch er sorgt sich um seine Glaubensbrüder im Irak.

Telim Tolan, der Vorsitzende des Zentralrats der Jesiden in Deutschland, ist zufrieden mit der Demonstration. "Es sind viele gekommen, nicht nur Jesiden, sondern auch Christen, Aleviten und Muslime." Das zeige, in welchem Ausnahmezustand sich alle befänden.

Jesiden demonstrieren in Essen

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    Zehra Saymann schwenkt eine einsame US-Flagge. "Die USA sind das einzige Land, das uns hilft", ruft sie. Auf ihrem selbstgenähten Stirnband steht "Singal" - die Stadt im Irak, die von IS-Kämpfern eingenommen wurde. Die Frau aus Hannover berichtet, dass ihr auf dem Weg nach Bielefeld mehrere Männer mit einem Messer gedroht hätten.

    Auch die junge Kader aus Bocholt fühlt sich als Jesidin hierzulande zunehmend bedroht. Nicht weit von Bocholt entfernt liegt Dinslaken, das als Hochburg der Salafisten gelte. Rojda (20) aus Emmerich im Kreis Kleve ist enttäuscht. "Bei der WM haben wir mit Deutschland gefiebert. Wir fühlen uns als Deutsche. Und jetzt hilft man uns nicht."

    Der Jeside Ali Erkis, seit 40 Jahren in Deutschland, empört sich: "Die Deutschen liefern Waffen an Saudi-Arabien, und die geben sie der IS." Er ist zusammen mit einem Freund gekommen, der ist Muslim. "Aber zuerst bin ich Kurde", sagt der Mann. Und "Jesiden sind genauso Kurden wie ich. Darum bin ich hier."