Bonn. Die salafistische Szene hat großen Zulauf. Experten sind in Sorge, weil sich vor allem junge Leute radikalisieren lassen. Im Extremfall landen sie in Syrien, als Kanonenfutter von Dschihadisten. Wer ködert sie mit welchen Methoden? Wie kann man junge Leute schützen?

Die meisten sind jung, auf der Suche, manche fühlen sich ausgegrenzt. Für die Rekrutierungsversuche radikal-islamistischer Salafisten sind Heranwachsende ein attraktives Ziel. Denn sie sind besonders empfänglich für deren Propaganda. Die vermeintlich einfachen Antworten ziehen sie nach Experten-Beobachtung ebenso an wie das Versprechen, zu einer auserwählten Gemeinschaft zu gehören. Die Szene wächst. Und damit der Druck, Jugendliche über Prävention zu schützen. Eine Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung gab vor kurzem Aufschluss.

Teile des Salafismus sind extremistisch und demokratiefeindlich - einige Anhänger lehnen Gewalt ab, andere verherrlichen den Dschihad und üben sogar selbst Gewalt aus. Die Zahl der Prediger nimmt in Deutschland seit einigen Jahren zu.

Attraktiv als "perfektes Protestinstrument"

Und sie gehen immer geschickter vor, wie der Islamwissenschaftler Guido Steinberg jüngst bei einer Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn berichtete. Der Salafismus sei für Heranwachsende auch attraktiv als "perfektes Protestinstrument". Also gut, um endlich volle Aufmerksamkeit von Eltern, Lehrern oder Mitschülern zu bekommen, um zu provozieren.

Vor "geistigen Brandstiftern" warnt Claudia Dantschke vom Zentrum Demokratische Kultur Berlin. Die Rekrutierten seien meistens zwischen 15 und 28 Jahre alt. "Den Jugendlichen hämmern sie das Feindbild ein: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." Die simple wie gefährliche Formel im militanten Milieu laute: Was nicht von Allah komme, dürfe man hassen, auch Menschen.

Verfassungsschutz schätzt 6000 Salafisten

Der Verfassungsschutz spricht von rund 6000 Salafisten, davon 850 Anhängern im militanten Spektrum. Tendenz schnell steigend. Dantschke geht von einer höheren Zahl aus, besonders in Bezug auf das sympathisierende Umfeld. 

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Salafisten schicken Jugendliche mit Flyern in die Schulen, verteilen deutschsprachige Koranausgaben auf den Straßen, werben im Internet, laden in die Moschee, zu Grillfesten, wo Prediger-Größen auftreten. Manche Gruppierungen arbeiten Dantschke zufolge mit verteilten Rollen, weshalb sie schwer zu fassen sind: Wer unter den jungen Leuten richtig angebissen hat, dem wird "im Hinterzimmer radikal-salafistisches und dschihadistisches Gedankengut verpasst". Mehr als 20 junge Anhänger aus Deutschland sind bereits in Syrien im Dschihad gestorben.

Furcht vor einem Tod als Sünder

Eine große Rolle spiele "Angstpädagogik" - gerne auch per Video verbreitet: Wer nicht strikt alles im Islam so praktiziere, wie von dieser Szene vorgegeben, sterbe als Sünder und lande in der Hölle. Nur die absolut Folgsamen erwarte das wahre Leben im Jenseits, das Paradies - so die infame Botschaft, stets einfach formuliert, gerne mit Elementen der Popkultur serviert. Empfänglich seien "religiöse Analphabeten", erklärt Dantschke. Also junge Leute aus muslimischen oder auch christlichen Familien, die aber nur oberflächlich mit Religion konfrontiert sind - und die den radikalen, angeblich religiösen Thesen kein Wissen entgegensetzen können. 

Bei labilen Heranwachsenden haben die Salafisten ein leichteres Spiel, wie die Expertin erklärt: "Plötzlich sind sie die Starken, stehen auf der richtigen Seite" - so der Trugschluss. Angezogen fühlten sich Jugendliche, denen Vorbilder fehlten. Der charismatische Prediger könne da als Autorität umso schneller landen.

Radikalisierte fühlen sich nicht anerkannt

Nordrhein-Westfalens Verfassungsschutz-Präsident Burkhard Freier sorgt sich, weil manche noch im Schulalter sind, wenn sie sich Richtung Dschihad aufmachen. Zu 90 Prozent seien die Radikalisierten männlich, hätten großteils einen deutschen Pass und einen Migrationshintergrund und fühlen sich nicht anerkannt, schildert er bei der Tagung. In Syrien würden sie kurz für den Terror ausgebildet, dann als "Kanonenfutter missbraucht".

Prävention ist angelaufen - etwa in NRW das Programm "Wegweiser" mit vielen Akteuren. Ein noch zartes Pflänzchen ist es, Imame zu Demokratiebotschaftern auszubilden. Einigen Imamen sei eine Radikalisierung mancher junger Gemeindemitglieder aufgefallen. Das sei Anstoß gewesen, erste Imame in der Extremismus-Prävention fit zu machen, erzählt Polizeihauptkommissar Dirk Sauerborn.

Schüler sollen lernen, sich zu wehren

Wichtig sind die Schulen. Islamischer Religionsunterricht könne ein guter Weg sein, glauben manche. Auch Trainings und spezielles Konfliktmanagement für Lehrer gibt es bereits. Und Schüler sollen lernen, wie sie sich vor radikalisierten Klassenkameraden wehren können.

Jochen Müller, der im Verein ufuq.de Pädagogen, Sozial- und Jugendarbeiter schult, gibt zu bedenken: Junge Muslime hätten oft Diskriminierung erlebt, was sie öffne für die Angebote der Salafisten. "Schon wenn man offen-zugewandt mit ihnen spricht, sie ernst nimmt, nicht abwertet, könnte man viele vor einem Abgleiten in die Szene bewahren." (dpa)