Berlin/Moskau. Der Streit über Asyl für den US-Geheimdienstenthüller Snowden in Deutschland geht weiter. Die Linke schlägt vor, den Bundestag als Druckmittel gegen die Regierung einzusetzen und Snowdens Aussage in der NSA-Bespitzelungsaffäre zu erzwingen. Kanzlerin Merkel warnt vor einem Zerwürfnis mit den USA.
In der Debatte über eine Befragung des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden warnt Kanzlerin Angela Merkel vor einem Zerwürfnis im deutsch-amerikanischen Verhältnis. "Das transatlantische Bündnis bleibt für uns Deutsche von überragender Bedeutung", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Die Bundeskanzlerin sehe sich dem Schutz der Daten und der Privatsphäre der Bürger vor unerlaubten Zugriffen verpflichtet. "Bei alledem geht es aber auch immer um unsere Sicherheits- und unsere Bündnisinteressen." Kaum ein Land habe wie Deutschland von der Freundschaft zu den USA profitiert. Dies sei von großer Bedeutung bei allen Entscheidungen der Bundesregierung.
Seibert warnte damit indirekt vor möglichen Konsequenzen, die eine Befragung Snowdens in Deutschland mit sich bringen könnte. Die Entscheidung, ob der 30-Jährige vor einem Ausschuss des Parlaments aussagen solle, treffen letztlich aber der Bundestag und dessen Gremien. Sowohl bei Union wie SPD werden die Stimmen lauter, Snowden im Moskauer Asyl zu vernehmen. Grüne und Linke fordern für den Ex-NSA-Mitarbeiter dagegen freies Geleit und eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Zwischen Deutschland und USA besteht ein Auslieferungsabkommen, so dass Snowden eigentlich auf deutschem Boden festgenommen werden müsste.
In der Debatte um eine mögliche Aufnahme des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden in Deutschland sieht die Bundesregierung keinen Grund, Möglichkeiten oder Voraussetzungen dafür erneut zu prüfen. Bereits im Juli seien Auswärtiges Amt und Bundesinnenministerium zu der Auffassung gelangt, "dass die Voraussetzungen für eine Aufnahme nicht vorliegen", sagte Seibert. Die Bundesregierung habe "keine Veranlassung, sich mit der Angelegenheit erneut zu befassen".
Linken-Chef will Snowden-Aussage in Deutschland erzwingen
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte, wenn eine Befragung in Moskau möglich sei und Snowden dies wolle, "dann sollten wir das schnell machen". Nicht ausgeschlossen sei aber auch, dass Snowden in Deutschland vernommen werde. Es müsse aber eine humanitäre Lösung für den Ex-NSA-Mitarbeiter gefunden werden und die deutsch-amerikanischen Beziehungen müssten intakt bleiben, sagte er am Sonntagabend in der ARD. Seibert verwies zugleich darauf, das Außen- und das Innenressort seien bereits im Juli zu dem Ergebnis gelangt, dass bei Snowden die Voraussetzung für Asyl nicht gegeben seien.
Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, will die Regierung per Bundestagsbeschluss zwingen, mit dem Geheimdienstenthüller Edward Snowden zu sprechen und ihm Asyl zu gewähren. "Es gibt einen gangbaren juristischen Weg, um Snowden sicher nach Deutschland zu holen und ihn vor einer Auslieferung an die Amerikaner zu schützen", sagte er der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" (Online-Ausgabe). "Dieser Bundesregierung fehlt aber offenkundig der politische Wille. Im Bundestag ist der politische Wille klar."
Das Parlament müsse "der Bundesregierung auf die Sprünge helfen und sie per Beschluss dazu zwingen, Snowden Asyl und Gelegenheit zu einer Zeugenaussage zu geben". Im Bundestag stehe es "320 zu 311 für eine Aufnahme Snowdens. Drei von vier Parteien sind dafür", sagte Riexinger der Zeitung.
Snowden muss ab Sommer 2014 eine neue Bleibe suchen
Der 30-jährige frühere Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA hat befristet bis Sommer 2014 in Russland Asyl. Beim Treffen mit dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele in Moskau hatte Snowden vorige Woche seine Bereitschaft erklärt, in Deutschland zur NSA-Abhöraffäre auszusagen, dies aber an Sicherheitsgarantien geknüpft: Deutschland müsse ihm sicheren Aufenthalt gewähren. Die USA würden dies als Affront verstehen. Sie fordern die Auslieferung Snowdens.
Auch der ehemalige Spitzenkandidat der Grünen, Jürgen Trittin, forderte Asyl für den Ex-Geheimdienstmitarbeiter. "Edward Snowden hat mit seinen Enthüllungen einen ungeheuren Abhörskandal aufgedeckt. Er ist alles andere als ein Verbrecher und hat einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland verdient", sagte Trittin zu "Spiegel Online". Er forderte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, sich einzuschalten. "Spätestens seitdem klar ist, dass er zu einer Aussage in Deutschland bereit ist, müsste auch die Bundesregierung alles daran setzen, Snowden nach Deutschland zu holen."
Einen Schaden der Beziehungen zwischen Berlin und Washington fürchte er dadurch nicht, sagte Trittin. "Belastet werden die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht durch ein freies Geleit und einen sicheren Aufenthalt für Edward Snowden, sondern durch die skandalöse Schnüffelpraxis der NSA."
Hans-Peter Uhl, der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, warnte in der "Passauer Neuen Presse" (Montag) davor, "übers Ziel hinauszuschießen". Er fügte hinzu: "Um Licht ins Dunkel der amerikanischen Spionage zu bringen, ist es nicht zwingend notwendig, Edward Snowden nach Deutschland zu holen." Denn die Beziehungen zu den USA seien "nicht unbegrenzt belastbar". Eine Aufnahme Snowdens in Deutschland würde nach Uhls Ansicht "eine dauerhafte, schwere Belastung" für das transatlantische Verhältnis bedeuten.
Führende US-Politiker lehnen Milde für Snowden ab
Der CSU-Politiker sagte: "Wenn wir mit voller Absicht hinters Licht geführt worden sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als Snowden zu befragen." Es biete sich an, dass Vertreter der Bundesanwaltschaft den US-Amerikaner in Moskau befragen. Als zweite Möglichkeit nannte Uhl die Vernehmung durch einen Beauftragten oder mehrere Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags.
Zwei führende Kongress-Abgeordnete in den USA haben sich gegen Milde für den früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden ausgesprochen. Senatorin Dianne Feinstein von den Demokraten sagte am Sonntag dem Fernsehsender CBS, Snowden hätte die Gelegenheit gehabt, seine Erkenntnisse in der Späh-Affäre um den Geheimdienst NSA mit dem Geheimdienstausschuss des Senats und dem Abgeordnetenhaus zu teilen.
"Hören Sie, ich besitze Informationen, die Sie prüfen müssen", hätte Snowden sagen können, sagte Feinstein. "Das hat nicht stattgefunden und jetzt hat er unserem Land diesen enormen Schaden zugefügt", sagte die einflussreiche Geheimdienst-Koordinatorin des US-Senats. "Ich denke die Antwort ist: keine Milde."
Auch der Republikaner Mike Rogers sah "keinen Grund" für Nachsicht mit Snowden. Wenn sich Snowden in den USA seiner Verantwortung für das Stehlen von Informationen, den Bruch seines Eids und die Enthüllung geheimer Dokumente stellen wolle, würde er gerne eine Diskussion darüber mit ihm führen, sagte Rogers dem Sender CBS. Aber Snowden müsse "eingestehen", was er getan habe.
Versöhnungstour nach Europa geplant
Andererseits planen die USA angesichts der Empörung über die Ausspähungen des US-Geheimdienstes NSA bei europäischen Partnern offenbar eine groß angelegte Versöhnungstour - auch nach Deutschland. Die europäischen Verbündeten hätten "berechtigte Sorgen über Ausmaß und Ausgestaltung einiger US-Überwachungsprogramme vorgebracht", sagte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im US-Senat, Chris Murphy, am Montag "Spiegel Online". Eine Gruppe ranghoher US-Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses wolle auf der Reise deshalb einen "Prozess" diskutieren, mit dem sichergestellt werde, dass auch die Überwachung von Nicht-US-Bürgern auf das notwendige Maß beschränkt bleibe.
Murphy räumte gegenüber "Spiegel Online" ein, dass die Überwachungsprogramme "teilweise nicht mit der angemessenen Zurückhaltung durchgeführt worden sind, sowohl in den Vereinigten Staaten von Amerika als auch in Europa". Allerdings müssten auch die Europäer ihren Bürgern offen sagen, dass nicht nur die USA Spionageprogramme betrieben.
Zeitplan, Teilnehmer und Stationen der Reise sind dem Bericht zufolge noch nicht geklärt. Erwartet wird demnach, dass die US-Politiker in jedem Fall nach Berlin kommen, wohl auch nach Paris und Madrid. Ein Abstecher nach Brüssel sei ebenfalls denkbar. (dpa/afp/rtr)