Berlin. Die Bundesregierung will den USA die Zusage abtrotzen, künftig auf Spionage zu verzichten. Die Gespräche über ein No-Spy-Abkommen machen wohl kleine Fortschritte. Viel hängt aber davon ab, wie Deutschland es mit einer möglichen Aufnahme des US-Informanten Snowden hält.
Die USA bewegen sich bei Verhandlungen über ein Anti-Spionage-Abkommen nach "Spiegel"-Informationen auf die deutsche Seite zu. Die Amerikaner seien bereit, auf Industriespionage zu verzichten und dies in der Vereinbarung schriftlich festzuhalten, berichtet das Magazin. Wesentliche Forderungen Berlins an Washington - auf deutschem Boden keine technische Aufklärung zu betreiben und den Regierungschef nicht zu überwachen - seien aber noch ungeklärt. Der Fortgang dürfte auch davon abhängen, wie die Bundesregierung mit dem US-Geheimdienstenthüller Edward Snowden umgehen wird.
Die Forderung des Informanten und vieler Unterstützer lautet, ihn in Deutschland aufzunehmen. Die Regierung scheut sich jedoch. Snowden hatte vor Monaten geheime Dokumente zu weit reichenden Spähaktionen des US-Geheimdienstes NSA an die Öffentlichkeit gebracht. Die Amerikaner sollen jahrelang auch das Handy von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgehört haben. NSA-Chef Keith Alexander hat dies laut "Spiegel" mit den Worten eingestanden, es geschehe "nicht mehr".
Die Bundesregierung will mit dem Abkommen eine solche Überwachung künftig verhindern. Spitzenbeamte aus dem Kanzleramt hatten vorige Woche mit Vertretern des Weißen Hauses verhandelt. In mehreren Medienberichten hieß es, bis Jahresbeginn 2014 solle die Arbeit daran erledigt sein. Geplant seien ein Regierungsabkommen und parallel dazu ein Geheimdienstabkommen. Die Chefs von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz, Gerhard Schindler und Hans-Georg Maaßen, wollen darüber am Montag in den USA mit Geheimdienstvertretern sprechen.
USA haben deutsche Debatte über Snowden im Auge
Die Bundesregierung wollte sich am Wochenende auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa nicht zum Stand der Verhandlungen äußern. Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, Caitlin Hayden, sagte zu dem "Spiegel"-Bericht nur, die USA seien offen für Diskussionen mit engen Partnern über eine bessere Koordination der Geheimdienstarbeit.
Aufmerksam dürften die USA dabei die Debatte über Snowden in Deutschland verfolgen. Der 30-Jährige hat befristet bis Sommer 2014 in Russland Asyl. Beim Treffen mit dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele in Moskau hatte er seine grundsätzliche Bereitschaft erklärt, in Deutschland zur NSA-Affäre auszusagen, dies aber an Sicherheitsgarantien geknüpft: Deutschland müsse ihm sicheren Aufenthalt gewähren. Die USA würden dies als Affront verstehen. Sie fordern die Auslieferung Snowdens.
Die Bundesregierung zeigt Interesse an den Informationen des Ex-Geheimdienstmitarbeiters - angesichts komplizierter Rechtsfragen denkt sie aber eher an eine Vernehmung in Moskau. Ströbele sagte dazu am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt": "Es ist rechtlich möglich (...): Entweder Asyl oder eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland." Der als Innenminister gehandelte SPD-Politiker Thomas Oppermann schränkte in der Sendung hinsichtlich der US-Reaktionen ein: "Ich bin nicht sicher, ob wir stark genug sind, diesen Konflikt bis in die letzte Konsequenz auszuhalten."
Friedrich plädiert für IT-Sicherheitsgesetz
Der Kreml würde sich einer Vernehmung vor Ort nicht in den Weg stellen. Snowden befinde sich auf russischem Territorium und habe vorläufiges Asyl. Er sei "deshalb frei, sich mit irgendjemandem zu treffen", sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin der Zeitung "Kommersant". "Wir können ihn daran nicht hindern." Snowden selbst hat aber große Vorbehalte gegen eine Vernehmung in Moskau. Zahlreiche Politiker von SPD, Linken und Grünen forderten, ihm dauerhaft Schutz in Deutschland zu gewähren. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe schloss eine Befragung hierzulande nicht grundsätzlich aus. Er sagte der Zeitung "Die Welt", bei der Prüfung dieser Frage gehe es "auch um die Verhandlungen mit den USA in Sachen Datenschutz".
Der amtierende Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) plädierte angesichts der Spähaffäre dafür, Internetanbieter künftig in einem IT-Sicherheitsgesetz zu verpflichten, Datenverkehr in Europa ausschließlich über europäische Netze zu leiten. Das Gesetz solle in den Koalitionsvertrag aufgenommen werde, sagte er der "Welt am Sonntag". Das Thema solle am Mittwoch in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD auf den Tisch kommen.
Snowdens "Manifest für die Wahrheit"
Snowden warnte erneut vor den Gefahren unkontrollierter Überwachung für demokratische Gesellschaften. Anfangs habe die internationale Öffentlichkeit den Nutzen seiner Enthüllungen nicht erkannt und auf die Regierungen vertraut, klagte er in einem vom "Spiegel" veröffentlichten "Manifest für die Wahrheit". Inzwischen werde aber weltweit über notwendige Reformen diskutiert. "Wir haben die moralische Pflicht, dafür zu sorgen, dass unsere Gesetze und Werte Überwachungsprogramme begrenzen und Menschenrechte schützen."
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff forderte die UN auf, der Diskussion über mehr Datenschutz im Internet Priorität einzuräumen. "Wir sehen den Schutz der Privatsphäre im Internet als Teil der Menschenrechte, und deren Verteidigung sollte bei den Diskussionen der UN vorrangig behandelt werden", schrieb Rousseff in einem Twitter-Eintrag, auf den am Sonntag die amtliche Nachrichtenagentur Agência Brasil hinwies. "Das Recht auf Privatsphäre kann nicht willkürlichen Einmischungen unterworfen werden, wie die Anzeichen auf Spionage in Ländern wie Brasilien und Deutschland zeigen."