Bergkamen. . 22 Millionen Mastschweine im Jahr werden bundesweit kastriert – ohne Betäubung. Das wird durch eine Ausnahme im deutschen Tierschutzgesetz legitimiert. Die EU fordert, diesem Leiden ein Ende zu setzen. Deswegen soll der chirurgische Eingriff ab 1. Januar nur noch unter Betäubung stattfinden. Viele betroffene Landwirte wehren sich dagegen. Auf wenigen Höfen in Westfalen jedoch werden die Tiere bereits seit Jahren betäubt.

22 Millionen Mastschweine im Jahr werden bundesweit kastriert – ohne Betäubung. Das wird durch eine Ausnahme im deutschen Tierschutzgesetz legitimiert. Die EU fordert, diesem Leiden ein Ende zu setzen. Deswegen soll der chirurgische Eingriff ab 1. Januar nur noch unter Betäubung stattfinden. Viele betroffene Landwirte wehren sich dagegen. Auf wenigen Höfen in Westfalen jedoch werden die Tiere bereits seit Jahren betäubt.

„Der Bauer schneidet ihnen die Hoden ab, dann zittern sie am ganzen Körper, Abszesse und Infektionen bilden sich, manchmal übergeben sich die Ferkel“, sagt Elke Deiniger von der Akademie für Tierschutz. Dabei seien diese Schmerzen unnötig, weil es inzwischen Methoden gibt, die Schweine zu betäuben. Dass die Tiere überhaupt kastriert werden, ist diskussionswürdig: Die männlichen Hormone eines geschlechtsreifen Ebers würden dem Fleisch eine strenge Note verleihen, die an Urin und Stall erinnert. Verbraucher lehnen das hierzulande als „ungenießbar“ ab.

Die EU-Verordnung schreibt vor, dass auf Biohöfen nur noch mit Betäubung kastriert werden soll, um das Leid der Tiere zu mindern. Vorreiter für eine Betäubung der Schweine ist die Schweiz. Dort hatte vor drei Jahren ein Volksentscheid für eine Betäubung gestimmt und die Debatte auch international ins Rollen gebracht. Doch selbst einige deutsche Biobauernverbände schildern, wie sie eine Betäubung der Tiere umgehen – trotz EU-Verordnung .

Ein zugrundeliegendes Problem der Debatte ist das Deutsche Tierschutzgesetz, welches diese Art der Tierquälerei ermöglicht. Dort heißt es zwar „an Wirbeltieren darf ohne Betäubung ein mit Schmerzen verbundener Eingriff nicht vorgenommen werden“ ( § 5 Abs. 1). Weiter steht jedoch geschrieben, eine Betäubung sei nicht erforderlich für das Kastrieren von männlichen Schweinen (§5 Abs. 3). Mit dieser Ausnahme spiele der Gesetzgeber allein den wirtschaftlichen Interessen der Agrarlobby in die Hände und lasse ethische Aspekte wegfallen, sagt Deiniger. Tierschützer fordern nun, das Tierschutzgesetz zu ändern. Die Kastration ohne Betäubung solle für alle Bauern in Deutschland verboten werden. „Wenn die Betäubungspflicht laut EU für Biobauern gilt, gibt es keinen Grund, dieses Gebot nicht auch für konventionelle Bauern auszusprechen“, sagt Deiniger.

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Das wünscht sich auch der westfälische Biobauer Harald Nutt aus dem Kreis Höxter. „Ich würde meine Tiere liebend gerne betäuben, doch der Markt lässt das nicht zu“, sagt der Landwirt. Bei den Kunden werde nicht danach gefragt, ob das Tier unter Schmerzen kastriert wurde oder nicht, erklärt Nutt. Deswegen umgeht der Biobauer die EU-Verordnung und betäubt seine Tiere nicht. Zwar würde sich der Preis pro Kilogramm Fleisch nur um wenige Cent erhöhen, doch das sei Grund genug, dass er weniger Abnehmer für sein Fleisch hätte, glaubt Landwirt Nutt. Die konventionellen Bauern müssten mitziehen, so Nutt weiter, dann stünde einer Betäubung der Tiere nichts mehr im Weg.

Doch die konventionelle Agrarlobby wehrt sich gegen die Betäubung: Dr. Bernhard Schlindwein vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband sagt, eine Betäubung sei nicht durchführbar, sie würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen und die Bauern zu viel kosten. Wie viel genau eine Betäubung kosten würde, kann Schlindwein jedoch nicht sagen. Zudem seien die Betäubungsmethoden noch nicht richtig erprobt, gibt Schlindwein zu bedenken. Tatsächlich dauert eine Kastration unter Betäubung zwei statt eine Minute pro Schwein.

In der Schweiz jedoch funktioniert das System der Betäubung. Dort betäuben die Bauern die Tiere vor der Kastration bereits seit zwei Jahren mit dem Narkosegas Isofluran. „Zur Verabreichung des Narkosegases an Schweinen wurden zahlreiche Zulassungsstudien geführt“, sagt Dr. Xavier Sidler, Abteilungsleiter für Schweinemedizin an der Universität in Zürich. Bisher sei alles reibungslos abgelaufen. Zudem würde es auf einem durchschnittlichen Hof in Westfalen mit ca. 800 Schweinen lediglich zu einer Preiserhöhung von 4 Cent pro Kilogramm Fleisch kommen, meint der Experte. Für größere Höfe werde es noch günstiger.

Zahlen, die auch Hugo Gödde nennt, Vorsitzender des Vereins Neuland. Halbieren könnten sich diese Kosten sogar, wenn der Bauer das Narkose-Gas selber verabreichen dürfte, wie es in der Schweiz der Fall ist. Dann würden sich mehr Bauern für diese Methode entscheiden. Dagegen stemme sich jedoch die Veterinärslobby, „Tierärzte wollen ihr Hoheitsrecht auf diesem Gebiet nicht an Bauern verlieren“, so Gödde.

Der Tierarzt Dr. Wilhelm Hemkemeyer aus dem westfälischen Harsewinkel weist jedoch darauf hin, „dass Isofluran ein gefährliches Gas ist, wenn es nicht professionell angewendet wird.“ Er führt die Narkosen auf zehn Biohöfen in Westfalen durch, die sich bereits trotz der Tierarztkosten und marktwirtschaftlicher Risiken für eine Betäubung mit Isofluran entschieden haben.

Einer davon ist der Biohof von Walter Höhne aus Bergkamen. Die Ferkel werden an die Maschine angeschlossen und schlafen ruhig ein. Von der Operation scheinen sie nichts zu spüren. „Es ist viel angenehmer, mit Betäubung zu kastrieren. Nicht nur für die Tiere, auch für mich“, sagt Höhne.