Essen. Man nennt sie augenzwinkernd die „Alpen des Ruhrgebiets“: Nun soll die touristische Haldenlandschaft um 20 weitere Attraktionen reicher werden.
Dass das Ruhrgebiet viel grüner ist als sein Ruf, gehört zu den scheinbar unauflöslichen Widersprüchen, mit denen die Region leben muss. Wer von Essen zur Halde Haniel nach Bottrop aufbricht oder umgekehrt, dem bietet sich jedenfalls genügend Anschauungsmaterial. So viel Straßenbegleitgrün wie entlang dieser tief durchs Revier führenden Strecke muss man in anderen Großstadtregionen erst einmal finden. Auch von der Halde selbst, die sich auf dem Gelände der stillgelegten Zeche Prosper Haniel 126 Meter in die Höhe erhebt, blickt man auf ein Ruhrgebietspanorama, das seinesgleichen sucht. Grün soweit das Auge reicht.
Unterhalt kostet jährlich 1,4 Millionen Euro
https://www.waz.de/wochenende/halden-huegel-hopping-ungewoehnliche-wandertouren-durchs-ruhrgebiet-id11105598.htmlNoch steht die Halde unter Bergaufsicht. Trotz Stelen-Wald, Amphi-Theater und ein paar versprengten Wanderern und Mountain-Bikern, die hier ihre Runde drehen, ist der aus 120 Millionen Tonnen Bergematerial gebildete Hügel reinstes Industriegebiet und darf eigentlich nur unter Aufsicht betreten werden. Doch das soll sich bald schon ändern. Die Halde im Grenzgebiet zwischen Bottrop und Oberhausen gehört zu einem ganzen Paket von Bergehalden, das der Regionalverband Ruhr der RAG abgekauft hat.
Der jetzt besiegelte Vertrag zwischen dem Regionalverband und dem Bergbau-Unternehmen macht den RVR auf einen Schlag zum wahrscheinlich größten Haldenbesitzer der Welt: Zusätzlich zu seinen bereits 37 Halden im eigenen Besitz übernimmt der Verband weitere 20 der für das Ruhrgebiet so charakteristischen „Landschaftsbauwerke“.
Übergabe erfolgt bis 2035
Die Übergabe erfolgt Stück für Stück bis 2035. Die Vertragsverhandlungen zogen sich über drei Jahre hin, auch weil es um komplizierte Haftungsfragen ging. Und am Ende wohl auch ums Geld. Denn Halden sind nicht einfach simple Grundstücke, sondern „prägende Zeitzeugen des Ruhrbergbaus“, wie RVR-Umweltdezernentin Nina Frense betonte. Heißt: Selbst ungenutzt müssen Halden dauerhaft gesichert und gepflegt werden. Immerhin geht es um gigantische Gebiete. Allein die Halde Haniel ist am Sockel so groß wie 500 Fußballfelder. Insgesamt erwirbt der RVR mit dem Haldenkauf eine Fläche, in die die Essener Innenstadt zwölfmal hineinpassen würde.
Gutachter taxieren den finanziellen Aufwand für die Pflege von Landschaft und Wegesystemen der 20 Halden auf jährlich 1,4 Millionen Euro. Viel Geld für einen Kommunalverband, dessen Mitgliedskommunen nicht gerade zu den Begüterten unter den deutschen Städten zählen. Der Kaufvertrag legt nun fest: Die RAG übernimmt über 20 Jahre die Hälfte der Bewirtschaftungskosten und zahlt dem RVR zudem noch eine Abstandssumme in Höhe von zehn Millionen Euro. Der Verband muss also nicht einmal eigenes Geld in die Hand nehmen, sondern bekommt als Käufer noch einen Millionenbetrag obendrauf.
Die RAG ist zufrieden
Klingt nach einem guten Deal für den RVR. Doch auch die RAG zeigt sich zufrieden. „Für uns ist das billiger, als die Halden selbst erhalten zu müssen“, sagte RAG-Vorstandschef Peter Schrimpf beim offiziellen Übergabetermin am Mittwoch. RAG-Flächen könnten dazu beitragen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und das Revier attraktiver zu machen, betonte Schrimpf. Um die Halden der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sei der RVR aber der weitaus bessere Akteur.
Was soll nun auf den Halden geschehen? Einige der Neuerwerbungen sind bereits öffentlich zugänglich und werden als Freizeit- und Tourismuszwecken, zur Naherholung oder Energiegewinnung genutzt. Die übrigen sollen als Erholungs- und Freizeitfläche entwickelt werden. Dafür müssen Wegesysteme gebaut und eine Art Zugangsportal geschaffen werden. Auch an den Aufbau einer Ladeinfrastruktur für E-Bikes wird gedacht. Haus Aden (Bergkamen), Lohberg Nord (Dinslaken), Mottbruch (Gladbeck) und Brinkfortsheide (Marl) sollen Teil der für 2027 im Ruhrgebiet geplanten Internationalen Gartenausstellung werden. Auch als Standorte für Windkraft- und Solaranlagen kommen einige Halden in Betracht. Finanziert werden soll der Umbau überwiegend über Förderprogramme des Landes und der EU.
Auch die IGA 2027 spielt eine Rolle
https://www.waz.de/thema/leben-im-revier/haldenkult/Die ersten neun Halden mit einer Fläche von 380 Hektar wechseln bereits im kommenden Jahr den Besitzer. Das sind die Halden Lohberg Nord, Scholver Feld (Gelsenkirchen), Rungenberg (Gelsenkirchen), Mottbruch, Graf Moltke 2 (Gladbeck), Elsa-Brändström-Straße (Lünen/Dortmund), Blumenthal 8 (Oer-Erkenschwick), Humbert (Hamm) und Groppenbruch (Dortmund).
Die restlichen elf Halden sollen bis 2035 aus der Bergaufsicht entlassen werden und innerhalb der nächsten 15 Jahre in RVR-Besitz übergehen. Neben Haniel sind das die Halden Kanalband/Haus Aden (Bergkamen), Brinkfortsheide (Marl), Lohberg Nord Erweiterung (Hünxe), Sundern (Hamm), Radbod (Hamm), Scholven (Gelsenkirchen), Kohlenhuck (Moers), Graf Moltke 1 (Gladbeck), Wehofen Ost (Dinslaken/Duisburg) und Rossenray (Kamp-Lintfort).