Ungewöhnliche Wander-Touren auf den Halden im Ruhrgebiet
•
Lesezeit: 6 Minuten
Gelsenkirchen. . “Halden-Hügel-Hopping“ ist ein ungewöhnliches Wanderkonzept mit zwölf Themenrouten. Wir stellen Ihnen einige der Routen vor.
„Scharf links“, befiehlt das Navi. Nun, man würde auch ganz schön tief den Hang runterpurzeln, wenn man rechts oder weiter geradeaus ginge. Aber ein Navi ist eben ein Navi und kein Mensch, der sich zwar gerne mal eine Abkürzung sucht – wie man an den vielen Trampelpfaden erkennen kann –, aber doch selten den freien Fall. Ein Mensch wie Arno Straßmann sagt nicht, wo es langgeht. Er geht einfach. Und die Wanderer folgen ihm gern über die Halde Rungenberg in Gelsenkirchen. Er macht damit das Gleiche wie das Navi, das man sich kostenlos als App aufs Smartphone laden kann: Wanderer führen. Und doch ist es nicht dasselbe.
Eine App zeigt ebenfalls den Weg
Beide Wanderführer – Navi-App und Mensch – vertreten das Konzept „Halden-Hügel-Hopping“ (HHH): Zwölf spannende Themenrouten werden dort seit 2015 angeboten, eine beginnt am „Rungenberg“. Ausgeschildert sind die Wege nicht. „Zu viel Vandalismus“, erklärt Sven Ahrens vom Kreis Recklinghausen. Der HHH-Projektleiter zeigt auf ein zerbrochenes Schild am Wegesrand, das eigentlich mal Nordic Walker leiten sollte. Mit der App können die Halden auch alleine bestiegen werden. Praktisch. Wo geht es lang? Kein GPS-Signal – das Navi will gerade nicht. Arno Straßmann schon.
Der Vorsitzende des Vereins „Naturparkführer Hohe Mark“ hat die Route ausgearbeitet. Erst geht es gemächlich zwischen Bäumen und Sträuchern hinauf – über die „Bermen“: Das sind lange, parallel geführte Strecken, die den Hang und die Böschung sichern. „Das haben schon die alten Ägypter so gemacht“, erzählt Straßmann. Nicht ganz so schön ist der Autolärm, der die A2 erahnen lässt. Doch wenig später eröffnet sich die erste atemberaubende Sicht über das Ruhrgebiet. Da kann man mit den Augen über die Halden hoppen: dort das Horizontobservatorium auf der Halde Hoheward. Im Westen: der Tetraeder in Bottrop.
Es geht weiter über einen engen Pfad – „mit Abenteuercharakter“, sagt Straßmann lachend. Eine Machete braucht man in diesem „Dschungel“ noch nicht, aber man muss sich schon unter so einigen Ästen bücken. Danach wieder: Weite. Und Wind, der die Wiesen bewegt. „Wie auf einer bewaldeten Alm“, schwärmt Straßmann.
In der Dunkelheit leuchten auf den zwei Gipfeln die Nachtzeichen
Er führt vorbei an dem „Schienenplateau“ – ein Kunstwerk von Hermann EsRichter und Klaus Noculak. Allerdings hat sich der „Beifuß“ hier breitgemacht. Die alten verbauten Zechenschienen – 5500 Meter – sind unter der Pflanze von Weitem kaum zu erkennen. Dafür das für die Halde typische Werk der beiden Künstler: die „Nachtzeichen“.
Auf zwei dunklen Kegelhalden, die auf die eigentliche Halde gesetzt wurden, thronen die Leuchtkanonen. Ihre Lichtstrahlen treffen sich im Dunkeln und bilden so eine Pyramide. Tagsüber ist dieses Kunstwerk nicht so beeindruckend. Die rostige Haut ist mit Graffiti beschmiert. Mit Edding hat jemand „Schalke“ draufgeschrieben. Und da ist sie schon: die Arena. Überhaupt die Aussicht! Da kann das Navi noch so oft sagen: „Gehen Sie weiter geradeaus.“ Man muss einfach stehen bleiben und genießen. Dort: Der Nordsternpark mit Lüpertz’ Herkules, der von den beiden Haldengipfeln wie ein Wicht wirkt. Von der Zeche Hugo, deren Abraum einst den künstlichen Hügel schuf, ist nicht mehr viel übrig. Straßmann zeigt auf eine einsame Gasanlage.
Die Geschichten am Rande erzählt nur der menschliche Wanderführer
Die App liefert ebenfalls Wissenswertes zur Entstehung von Halde und Kunstwerk und zeigt zudem schöne Bilder, darunter auch historische Aufnahmen. Was sie aber natürlich nicht kennt, sind die kleinen Geschichten am Rande, wie sie Arno Straßmann erzählt. Dass er sich darüber freut, wie sich das Ruhrgebiet gewandelt hat. Wenn er sich an seine Kindheit erinnert! „Wegen des Smogs konnte ich die spielenden Kinder im Nachbarsgarten nicht sehen.“
Halden-Hügel-Hopping
1/41
Der Abstieg: Stufe für Stufe – insgesamt 300 – wird der Lärm von der A2 leiser. Am Fuß der Halde liegt die Schüngelbergsiedlung. Die roten Dächer zeigen den alten, die grauen den modernen Teil. Damit ist die rund fünfstündige Wanderung, die auch den Vestischen Höhenweg quert, aber noch lange nicht beendet: „Edle Schlösser und stolze Zechen“ heißt schließlich Straßmanns Route. So geht es weiter, dem Berger See in Buer entlang. „Das da hinten könnten Nilgänse sein“, sagt er im Park des spätbarocken, dreiflügeligen Schlosses „Haus Berge“. Nein, das sind wohl Enten. Doch ein Schloss weiter, das des Grafen Westerholt in Herten, stolzieren sie zwischen den Golfern über den Parkplatz. Gut zu erkennen an den roten Augen – die Gänse, nicht die Golfer. Ein kleiner Rundgang durch das „Alte Dorf“ mit seinen etwa 60 sehr gut erhaltenen Fachwerkhäusern ist ein Muss, bevor man schließlich zur Zeche Westerholt gelangt.
Der Halden-Hügel-Navi
Auf solche Sehenswürdigkeiten verweist auch das Halden-Hügel-Navi. Allerdings erst, wenn man wirklich davor steht. „Man kann den Weg nicht vom Sofa aus abgehen,“ sagt Ahrens. Wer eine Pause braucht, nutzt die in der App genannten Einkehrmöglichkeiten. Und wie es sich für die Region gehört, erfährt der Wanderer dort auch, wo er den nächsten Kiosk oder die nächste Trinkhalle findet. Und was sagt das Navi, wenn das Streckenende erreicht ist? Natürlich: „Sie haben Ihr Ziel erreicht“. Dabei weiß doch eigentlich jeder Wanderer: Der Weg ist das Ziel.
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.