Essen. In der Essener Uniklinik kämpfen Ärzte und Pfleger um das Leben von Patienten. Sie warnen eindringlich. Eine Reportage von der Intensivstation.

Vor wenigen Tagen hatten Pfleger Markus Wecking und sein Team wieder ein Erfolgserlebnis. Ein Patient konnte verlegt werden, er war der zweite Corona-Erkrankte auf ihrer Intensivstation gewesen. Zehn Wochen lag der Mann bei ihnen. Als der Mittsiebziger verlegt wurde, konnte er dem Team zuwinken. „So etwas ist die Krönung, dafür arbeiten wir hier“, sagt Wecking. Er weiß: Von den zwölf Corona-Patienten, die sie derzeit noch hier haben, werden es vielleicht nicht alle schaffen.

Uniklinik Essen, anästhesiologische Intensivstation. Während draußen über Lockerungen diskutiert wird, darüber, ob, wann und wie Schulen, Kitas, Geschäfte oder Restaurants wieder geöffnet werden können, versorgen die Mediziner und die Pflegenden hier drinnen schwer kranke Corona-Patienten, so wie es sie schon seit mehr als zwei Monaten machen. 60 bislang, darunter nur zwei Frauen. Ein Drittel ist gestorben, der jüngste Tote war gerade einmal 26 Jahre.

Gesichtsvisier, Atemmaske, Handschuhe, Schürze

Seit die Station auf Corona-Betrieb umgestellt wurde, herrscht in den Patientenzimmern Unterdruck. „Damit die Viren nicht rauskönnen“, erklärt Oberarzt Dr. Frank Herbstreit. In einem der Zimmer kümmern sich drei Pflegerinnen um einen Patienten Anfang 50. Elf Pflegende arbeiten hier pro Schicht, dazu tagsüber vier Ärzte.

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Geschützt mit Gesichtsvisier, Atemmaske, Handschuhen, grünem OP-Kittel über dem Blauzeug und einer Plastikschürze arbeiten die drei Frauen konzentriert, kontrollieren die Werte des Mannes, überprüfen die Perfusoren und Infusionen, über die er mit Medikamenten, Nährstoffen und Flüssigkeit versorgt wird.

Das Maximum an Intensivtherapie

Der Patient hat schwere Vorerkrankungen, er wird über eine externe Lunge beatmet, ist zudem an die Dialyse angeschlossen. Ein Leben an Schläuchen, überwacht von Monitoren. „Das ist das Maximum an Intensivtherapie“, sagt Dr. Herbstreit. Die Pflegerinnen lagern den Mann mit routinierten Handgriffen, wer im künstlichen Koma liegt wie er, kann sich nicht bewegen und liegt sich schnell wund.

Eine Stunde brauchen die Pflegerinnen für die Versorgung des Patienten, manchmal dauert es länger. „Bei einer Neuaufnahme benötigen wir sechs, sieben, manchmal sogar acht Stunden“, sagt Markus Wecking, der Chef des Pflegepersonals.

Pflegeteam-Leiter Markus Wecking (li) und Oberarzt Dr. Frank Herbstreit auf dem Flur der Intensivstation.
Pflegeteam-Leiter Markus Wecking (li) und Oberarzt Dr. Frank Herbstreit auf dem Flur der Intensivstation. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Auf der Station haben sie schon vor Corona eine Menge Erfahrungen mit Lungenerkrankungen, hatten einige Patienten mit hochansteckender Tuberkulose, haben sich mit SARS und der Schweinegrippe auseinandergesetzt. Deswegen habe das Personal auch keine Angst gehabt, als die Station die ersten Corona-Patienten aufnahm, sagt Wecking. „Es gab keinen, der woanders arbeiten wollte.“

Bundesweit haben sich bislang rund 10.000 Ärzte und Pflegende mit dem Virus infiziert. Auf der Essener Intensivstation hat sich bislang keine Kollegin und kein Kollege angesteckt.

Aber Corona ist noch immer medizinisches Neuland. Sie tasten sich hier Tag für Tag vor. Wann muss ein Patient beatmet werden? Welche medikamentöse Therapie ist erfolgversprechend? „Wir überdenken jede Woche unser Management, nehmen immer wieder Strategiewechsel vor. Das erfordert viel Flexibilität“, berichtet Dr. Herbstreit.

Covid 19 könnte mehr als eine Lungenerkrankung sein

Die Behandlung der Patienten in Zusammenarbeit mit den Virologen und Infektiologen der Uniklinik ist aus medizinischer Sicht auch spannend, räumt der Oberarzt ein. So gebe es Hinweise, dass Covid 19, die Corona-Erkrankung, mehr sein könnte, als eine Lungenerkrankung. „Sie kann sich auf die Blutgerinnung auswirken, Lungenembolien oder Thrombosen verursachen.“ Dr. Herbstreit hält deswegen Nachuntersuchungen genesener Patienten für wichtig.

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Noch vor einigen Wochen hatten Mediziner eindringlich vor einer großen Anzahl schwer erkrankter Corona-Patienten gewarnt, von einem drohenden „Tsunami“ war die Rede. Fieberhaft hatten Krankenhäuser in ganz Deutschland ihre Intensivkapazitäten ausgebaut. „Wir haben über Zwölf-Stunden-Schichten nachgedacht“, erzählt Pfleger Wecking. Richtig vollgelaufen ist die Station nie, von den 22 Betten waren in der Spitze 16 mit Corona-Patienten belegt. Der Sturm ist ausgeblieben, vorerst jedenfalls.

Oberarzt: Wer weiß, was passiert, wenn der Winter kommt

„Die Erleichterung war sehr, sehr groß“, sagt Wecking. Entspannt sind sie trotzdem nicht. Man müsse wachsam bleiben, mahnt Dr. Herbstreit. Eine Kollegin ist nach Italien gegangen, um dort auszuhelfen, und die Berichte von ihr haben sie hier in Essen schaudern lassen. „Wer weiß, was passiert, wenn der Winter kommt.“

An diesem Dienstag konnten sie wieder einen Patienten entlassen, einen 82-jährigen Franzosen, der Ende März zusammen mit sieben anderen Erkrankten aus dem Nachbarland eingeflogen worden war und in Essen behandelt wurde. Insgesamt fünf dieser Patienten konnten jetzt zurück in die Heimat. Einer wird noch behandelt. Zwei starben in der Uniklinik. Zwischen Leid und Freude ist hier auf der Intensivstation nur ein sehr schmaler Grat.