Bochum. Talente gibt’s im Revier reichlich. Man muss sie nur entdecken. Ein Bochumer Berufskolleg und der Initiativkreis Ruhr wissen, wie es geht.

„Alice Salomon, hieß es früher, nimmt jeden. Und das war nicht nett gemeint“, sagt Johannes Kohtz-Cavlak, Leiter des Alice-Salomon-Berufskollegs in Bochum. Er machte aus dem Vorwurf einen Slogan, sein Programm. Heute ist die berufsbildende Schule für Ernährung, Erziehung und Gesundheit eine der ersten 35 Talentschulen des Landes NRW. Und Gastgeber für die Talentmetropole Ruhr, die hier am Mittwoch das Programm der diesjährigen „Talenttage Ruhr“ vorstellte.

Mit köstlichen Smoothies werden die Gäste in der quirligen, übervollen Pausenhalle der Schule empfangen. Gemixt von den Auszubildenden des Berufskollegs, auch für ihre Mitschüler. An verschiedenen Tischen ist Infomaterial ausgelegt, und Bärbel Bergerhoff-Wodopia, Bildungsbeauftragte des Initiativkreises Ruhr, wird sich später freuen, dass die Talenttage-Programm-Broschüren genauso schnell vergriffen sind wie die Smoothies. Iman Chazhmuradova weiß warum. Sie hat jedem ihrer Mitschüler einen Besuch der Talenttage „dringend“ empfohlen. Sie selbst hat im vergangenen Jahr das Angebot des Uniklinikums Essens wahrgenommen und sich auf dessen Kardiologie „Die vielen Gesichter der Pflege“ angeschaut. „Ein tolles Erlebnis“, erinnert sich die 19-Jährige, die vor zwölf Jahren aus Tschetschenien nach Deutschland kam. „Vor allem, weil nicht nur die Großen redeten. Die Auszubildenden haben unsere Fragen beantwortet, von ihrem Alltag erzählt.“ Nun will sie selbst Krankenschwester werden („und vielleicht danach Lehrerin im Gesundheitswesen!“). Nach dem Abi im nächsten Jahr wird sie sich bewerben: an der Essener Uniklinik.

240 Veranstaltungen in 33 Revierstädten: Zum sechsten Mal Talenttage Ruhr

Es sind dutzende solcher Geschichten, hunderte vielleicht, die die Talenttage erzählen können – ein bundesweit einzigartiges Erfolgsprojekt. 33 Revierstädte sind bei der sechsten Auflage vom 18. bis 28. September mit 240 Veranstaltungen beteiligt, 30.000 Besucher werden erwartet. Beim Start im Jahr 2014 waren es sechs Städte und 20 Veranstaltungen, erklärt Christian Icking, Sprecher des Initiativkreises Ruhr, dessen „Talentmetropole Ruhr“ Träger der „Bildungsreihe“ ist. Elf Tage lang können junge Talente auf „Entdeckungsreise“ gehen, ihre Interessen und Fähigkeiten entdecken. Banken, Bäcker, Büchereien und Baumärkte laden ein, Handwerkskammern und Einzelhandel, Industrie und Wissenschaft, aber auch ein Mehrgenerationenhaus und die Alte Synagoge in Essen, der Duisburger Hafen, die Folkwang Musikschule und das Finanzamt Hamm. ThyssenKrupp Steel stellt – wie immer – „Ausbildungsberufe von A-Z“ vor, und Rewe den des Fleischers. Es gibt Workshops zu Selbstmotivation, Ehrenamt, Weltfrieden und der Frage „Wie finanziere ich Ausbildung oder Studium“, eine „Einführung in die politische Kommunikation“ und ein „Bewegtes Fußballquiz für Kids“.

In der Küche die Auszubildenden der Berufsschule, angehende Köche, das Mittagsmahl für die Gäste vor: Fisch mit Gemüse in Backpapier.
In der Küche die Auszubildenden der Berufsschule, angehende Köche, das Mittagsmahl für die Gäste vor: Fisch mit Gemüse in Backpapier. © FUNKE Foto Services | Ulrich Hufnagel

Viele Unternehmen, sagt Bärbel Bergerhoff-Wodopia, beteiligten sich längst „nicht ganz uneigennützig“. „Sie haben erkannt, dass es in Zeiten des Fachkräftemangels sehr sinnvoll ist, schon Schüler anzusprechen.“ Und während sie in „Alices Restaurant“ von diesem „wunderbaren Projekt“ schwärmt, schnibbeln Schüler des Alice-Salomon-Berufskollegs in der „Kitchen“ nebenan Gemüse fürs Mittagessen. Mediterranen Fisch „en papillote“, gedünstet in Backpapier, werden angehende Restaurantfachkräfte den Gästen servieren. Formvollendet. Doch noch enthäuten Ibrahima Diallu (22) und Mamadou Barry (20) Forellenfilets – mit beeindruckender Geschwindigkeit und Raffinesse. „Ein scharfes Messer ist der ganze Trick“, verraten die beiden angehenden Köche bescheiden. Und man merkt ihnen an, wie stolz sie auf ihre Arbeit sind.

Für Talentschulen gibt es mehr Lehrer, mehr Geld, mehr Computer – hoffentlich

„Talente gibt es genug. Schwierig ist nur sie zu entdecken“, sagt Schulleiter Kohtz-Cavlak. Er freut sich darum umso mehr, dass sein Engagement mit dem Titel „Talentschule“ gewürdigt wird. Das Land fördert insgesamt 35 Schulen in sozialen Brennpunkten – um soziale Herkunft und Bildungserfolg zu entkoppeln, wie Schulministerin Yvonne Gebauer bei der Vorstellung des Programms erklärte.

Die 2500 Schüler des Bochumer Berufskollegs kommen aus 60 verschiedenen Nationen; 750 von ihnen besuchen die ausbildungsvorbereitenden Klassen oder die der Berufsvorschule. Sie streben den Hauptschulabschluss an, viele kamen von Förderschulen, galten als schwierig, erzählt der Schulleiter. Dass man nun Talentschule sei, bedeute zunächst: mehr Lehrer, mehr Geld, mehr Internet. Hoffentlich. Vier neue Kollegen hat Kohtz-Cavlak bereits eingestellt, auf zwei, drei weitere hofft er. Teamcoaching führte er neu ein und die Klassen machte er kleiner. 2500 Euro gibt’s nun jährlich extra für die Fortbildung, und bei der lange versprochenen Digitalisierung habe die Stadt Alice Salomon nun oberste Priorität eingeräumt, so Kohtz-Cavlak. „Endlich. Noch gibt’s hier nicht einmal WLan.“

Ja, wir sind bunt. Und wir genießen es !“

Johannes Kohtz-Caviak leitet das Alice Salomon Berufskolleg in Bochum seit 2015. Er ist Pädagoge, Gesundheitswissenschaftler – und Talentsucher. Jetzt erhielt seine Schule als eine von nur dreien in Bochum das Prädikat „Talentschule“.
Johannes Kohtz-Caviak leitet das Alice Salomon Berufskolleg in Bochum seit 2015. Er ist Pädagoge, Gesundheitswissenschaftler – und Talentsucher. Jetzt erhielt seine Schule als eine von nur dreien in Bochum das Prädikat „Talentschule“. © FUNKE Foto Services | Ulrich Hufnagel

Am meisten freut ihn jedoch, dass sich die Auszeichnung schon jetzt im Kollegium „spiegelt“. „Wir arbeiten hier mit soviel Herzblut, der Titel setzt ein Siegel drauf. Das macht alle stolz“, erklärt er. Dass mancher den Stempel womöglich als Stigma „Achtung, schwierige Schule“ versteht, glaubt er nicht. Und wenn ihm doch mal jemand komisch kommt, ihn auf den Migrantenanteil von 80 Prozent und die vielen „schwierigen“ Schüler anspricht, entgegnet er gern: „Ja, wir sind bunt. Und wir genießen es!“

Iman Chazhmuradova, die Schülerin der 12. Klasse, die bald Krankenschwester sein wird, empfiehlt deshalb nicht nur die Talenttage. Sondern auch ihre Talentschule. „Hier wird man nicht allein gelassen. Hier findet sich für alles und alle eine Lösung“.

Info zum Programm und: www.talenttaqeruhr.de

>>>>INFO: Talentmetropole Ruhr

Als Tochter des Initiativkreises Ruhr hat es sich die gemeinnützige Stiftung zum Ziel gesetzt, jungen Menschen zu helfen, ihre Begabungen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft bestmöglich zu entwickeln.

Einmal im Jahr vergibt die Talentmetropole Ruhr auch den „Talent Award , eine Auszeichnung für hervorragende Talentförderer. Bislang war die Preisvergabe Abschluss-Höhepunkt der Talenttage. In diesem Jahr findet sie am 7. November statt.