Dortmund. Schüler aus ganz Deutschland treffen sich in Dortmund, um die Schulstreiks von Fridays For Future neu zu denken - während der Ferien.
„Wie schafft ihr es eigentlich, optimistisch zu bleiben?“, fragt Jason in der Schlange zur Anmeldung. Im Hintergrund läuft „Hurra, die Welt geht unter“, der ironische Soundtrack zum Sommerkongress der Friday-for-Future-Bewegung in Dortmund. „Ich resigniere gerade ein bisschen“, sagt der 14-Jährige aus Oberhausen. „Es wird nicht genug getan.“ Stella Eick aus Groß-Gerau steht zufällig neben ihm. „Ich verstehe, was du meinst“, antwortet die 19-Jährige. „Ich probiere, mir die Leute anzugucken, die was zum Guten bewegen.“
Darum geht es bei diesem bislang größten Treffen der jungen Klimaschützer: Die 1400 Schüler und Studenten aus Deutschland und den Nachbarländern wollen etwas bewegen - und sie wollen sich gegenseitig kennenlernen, motivieren, professionalisieren im Revierpark Wischlingen. Mit abwaschbarer Farbe aufgesprühte Pfeile weisen den Weg. Mit Rucksäcken, Sackkarren und Rollkoffern ziehen Jason Michalek, sein Freund Leon Fabian und all die anderen zum Festivalplatz zwischen Minigolf und Wellnesscenter. Festivalcharakter, man sieht Mädchen mit Blumen im Haar. Allerdings solche aus Plastik.
„Ich möchte Ideen sammeln, wie man Oberhausen aktiver machen kann“, sagt Jason Michalek. Der freitägliche Schulstreik sei ein wenig müde geworden, was er auf die Stadt selbst zurückführt. „Das Rathaus und der Hauptbahnhof sind keine zentralen Orte.“ Aber auch auf die Politik: „Der Antrag auf Klimanotstand wurde abgelehnt.“ Andere Städte wie Köln oder Münster haben ihn beschlossen, was sich zum Beispiel auf den Einkauf auswirken könnte. Dortmund hat zwar das Konzept beschlossen, aber den Begriff in Klimakrise abgewandelt.
In der Tradition der 68er und der Ostermärsche
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In der „Volxküche“ läuft Hotel California, die ehrenamtlichen Köche sind extra aus München angereist, um die Schüler überwiegend mit Essenspenden zu verköstigen. Ein älteres Paar schaut sich das Panorama aus Biergarnituren und Pavillons vor Bühne an, dazwischen wuseln gut gelaunte Helfer. „Da wird die Musik gespielt, die wir vor 40 Jahren gehört haben auf den Ostermärschen und als wir gegen Atomkraft demonstriert haben“, sagt die Lehrerin Elke Mentner (58). „Das ist ein schöner Kreislauf, schön zu sehen, dass die Menschen das tun, was für sie und ihre Zeit dran ist.“
Aber die Zeiten ändern sich doch, findet ihr Mann Hubertus (64): „Früher haben unsere Eltern gesagt: Was macht ihr denn für’n Mist. Die sind nie auf die Straße gegangen, haben sich geduckt.“ Und heute: „Ist die Bewegung bisweilen Generationen übergreifend. Ist toleranter, nicht so stark in Freund und Feind gefangen.“
Tatsächlich, sind Teilnehmer von 8 bis 60 angemeldet, auch wenn die Altersgrenze eigentlich bei 28 liegt - die Jugend will unter sich bleiben, wenn sie auch verdiente Helfer seinlädt. Für die Öffentlichkeit gibt es keine speziellen Anknüpfungspunkt, das Konzert von Brass Riot, die Lesung von Känguru-Chronist Marc-Uwe Kling wie auch die Workshops und Vernetzungstreffen sind nur für angemeldete Teilnehmer.
Radikal? Sie nennen es konsequent
Natürlich kann jeder Besucher sich zu einem Grüppchen gesellen und mitdiskutieren. Was eifrig getan wird, etwa über den Film „Tomorrow“, der gute Projekte aus aller Welt zeigt, über das Engagement einzelner Politiker oder über Demokratie in China, Bhutan und Nepal. Durchaus mit dem Vorhaben, mal hinzufliegen. Bei den Gesprächen hört man öfter das Wort „einschränken“ als „verbieten“, öfter mal Bioladen“ statt „immer“. Die Forderungen der FFF-Bewegung gehen zwar über die der Grünen hinaus: Kohleausstieg bis 2030. Nettonull bis 2035. „Radikal“ will sie ein Teilnehmer nicht nennen.„Konsequent vielleicht.“
Drei zufällig mitgehörte Gesprächsfetzen: „Dann kannst du im Winter nur noch Kohl und Eingelegtes essen.“ - „Seid ihr auch vom Unterricht freigestellt? - „Was ist denn mit den Jungs, die die Bauzäune an der Küche aufstellen sollten?“
Die Organisation haben die Schüler tatsächlich alleine auf die Beine gestellt in nur zwei Monaten. „Professionelle Festivalplaner haben uns gesagt, das könnt ihr nicht schaffen“, berichtet Julius Obhues aus dem Organisationsteam. Die Stadt Dortmund hatte für diese Zeit eine Wohnung gestellt, dort konnten die 18 Schüler aus ganz Deutschland auch übernachten. „In der WG wurde oft 17 Stunden gearbeitet“, sagt der 16-Jährige vom Phoenix-Gymnasium in Dortmund-Hörde. Firmen abklappern, Sicherheitskonzept, Gesundheitsamt, neben dem Unterricht, nicht währenddessen. „Wir sind mittlerweile weg vom Schulstreikerklischee“, glaubt Julius. „Die Politik macht Sommerpause. Wir nicht. Wir demonstrieren durch.“ Ferien For Future.
Sponsoren gibt es keine, Unterstützer jede Menge
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Vergünstigungen für die Anfahrt hat ein Unternehmer gestiftet, der Revierpark nimmt keine Gebühr, die Stadt sorgt unter anderem für die Müllabfuhr und stellt eine Mitarbeiterin der Jugendförderung, falls ein minderjähriger Aktivist Probleme bekommt. Doch selbst die Schriftzüge von Awo und Greenpeace auf den Pavillons haben die Organisatoren überklebt. Man pocht auf Unabhängigkeit. Symbolisch.
Angela Merkel hat man zwar angefragt (sie ist im Urlaub), andere Politiker jedoch nicht, auch nicht die Grünen, von denen man sich abgrenzen will. Der TV-Moderator Joko Winterscheidt immerhin hat hier ein unscheinbares weißes Zelt, in dem ausgeloste Blogger Texte für sein Magazin schreiben. „Wir haben ihn uns angeschaut“, sagt Julius Oberhues. „Er hat mal Werbung für Mercedes gemacht, aber er interessiert sich eindeutig für das Thema.“ Öffentlich wird Winterscheidt nicht auftreten.
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„Auch dass die Stadt uns geholfen hat, ist natürlich nett“, sagt Julius Obhues. „Aber mit der Politik in der Stadt sind wir nicht zufrieden. Den Wall haben sie neu gemacht, aber ohne Fahrradweg. Unsere Kritik behalten wir bei, wir lassen uns nicht verniedlichen.“ Die Wahl auf Dortmund sei nicht nur wegen ihrer guten Lage und Infrastruktur gefallen, sagt Julius: „Früher war hier die Kohle ganz groß, nun ist der Wandel durch. Wir hoffen natürlich, dass es mit der Braunkohle im Rheinland auch so werden kann. Das Ruhrgebiet ist ein symbolischer Ort.“
>> Info: Die Klimabilanz des Sommerkongresses
CO-2-neutral ist der Sommerkongress übrigens nicht geplant. Die Lebensmittel seien alle Bio, erklärt Mitorganisator Julius Obhues. Die Anreise wurde zum halben Preis mit Flixbus oder -train angeboten - und hier befinde man sich noch in Gesprächen mit einem Unternehmer, ob er den Klimaausgleich nachträglich stiftet. Um die Klimabilanz der Veranstaltung selbst zu neutralisieren, sei die Vorbereitungszeit zu knapp gewesen. "Das wollen wir aber noch nachträglich bereden."