Hambacher Forst. . RWE-Mitarbeiter entfernten am Mittwoch unter massivem Polizeischutz Barrikaden aus dem Hambacher Forst. Mehrere Aktivisten wurden festgenommen.
Der vielleicht größte Polizeieinsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens beginnt zum Sonnenaufgang. Eine Hundertschaft mit Helmen und Schutzschilden setzt sich am Rande des Hambacher Forstes in Bewegung, als gerade die ersten Lichtstrahlen durch die Baumwipfel schimmern. Geschlossen rücken sie in den Wald – der Räumpanzer bleibt auf dem Feld davor stehen, aber es dauert nicht lange, bis von RWE beauftragte Sicherheitsleute und Arbeiter der Polizei folgen.
Auch interessant
Sie bringen schweres Gerät mit: Ein Bagger füllt Löcher, räumt Barrikaden weg, die von den Waldbesetzern auf den Wegen gebaut wurden. Es ist der Polizei von Anfang an wichtig zu betonen, dass keine Bäumhäuser geräumt werden. Das hat sie am frühen Morgen auch den Besetzern mit Lautsprechen mitgeteilt, sagt Paul Kemen, Sprecher der zuständigen Aachener Polizei. Es geht heute darum: Alles raus, was nicht in den Wald gehört.
Nicht nur die Barrikaden, sondern jede Menge Gegenstände, die in den Camps der Bewohner auf dem Boden liegen: Müll, Planen, Decken – auch ein Einkaufswagen landet in der Baggerschaufel. Zwischendurch ist die Lage angespannter, als die Polizei vermeintliche Sprengvorrichtungen untersucht. Sie stellen sich später als Attrappen heraus.
Bilder von der Räumungsaktion im Hambacher Forst
Die Stimmung im Wald wirkt an diesem Tag manchmal völlig surreal. Überall ist Polizei, Fahrzeuge mit Hebebühnen stehen an Lichtungen, die RWE-Mitarbeiter mit ihren grellen Westen strahlen durchs Grün, Bagger wühlen über den Boden, sogar ein Betonmischer ist im Einsatz. Von den Bäumen sind immer wieder laute Rufe oder Schreie der Waldbesetzer zu hören. Schätzungsweise 100 bis 150 Menschen leben derzeit in etwa zehn Camps – sie haben sich gut vorbereitet, harren mit Essensvorräten in ihren teilweise über 20 Meter hohen Baumhäusern aus. Am Morgen beobachten viele von ihnen, was unten passiert, fragen bei den Journalisten nach Infos.
Zum ersten verbalen Schlagabtausch zwischen Aktivisten und dem Aufräumkommando kommt es im Baumhauscamp Oaktown, der Eichenstadt. Während am Boden die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes mit ihren blauen Helmen den Müll aufsammeln, singen die Aktivisten oben Schmäh- und Protestlieder. Stundenlang sind die Arbeiter damit beschäftigt, Material aus dem Camp zu holen – Bagger fahren rein und raus.
Hoch oben in Oaktown turnt Clumsy, mal auf Seilen, mal auf Hängebrücken. Der 30-Jährige gehört zum Hambach-Inventar, seit der ersten Waldbesetzung im Jahr 2012 lebt er hier. Im Gegensatz zu vielen anderen hat er keine Probleme damit, sein Gesicht zu zeigen – auch vor den Fernsehkameras und Pressefotografen nicht. „Für mich hat die Räumung heute begonnen, obwohl noch gar nicht entschieden ist, dass die Rodung überhaupt rechtmäßig ist.
Das ist absurd“, sagt Clumsy und spielt damit auf das Eilverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster an, mit dem der BUND die mögliche Rodung des Waldstückes noch verhindern will. Clumsy und andere Aktivisten glauben weiter daran, dass der „Hambi bleibt“. Er gibt sich ausdauernd: „Ich kann zwei Monate oben in den Bäumen wohnen.“
RWE hält an Rodungen fest
Ab dem 1. Oktober will RWE weitere 101 Hektar Wald für den Braunkohletagebau roden, der Konzern pocht auf den gültigen Betriebsplan und hat alle Genehmigungen. „Die Rodungen sind notwendig, um den weiteren Betrieb sicherzustellen“, sagt ein RWE-Sprecher. Demnach sollen noch insgesamt 200 Hektar weg, am Ende aber dennoch ein Stück des Waldes übrig bleiben.
Viele Beobachter hatten befürchtet, dass ein Polizeieinsatz im Wald massive Ausschreitungen mit sich bringen könnte. Das Innenministerium vermutet unter den Waldbesetzern zahlreiche gewaltbereite Aktivisten. Am Mittwoch bleibt das den Beamten erspart. „Im Großen und Ganzen ist es friedlich verlaufen“, sagte Polizeisprecher Paul Kemen.
So leben die Umweltaktivisten im Hambacher Forst
Mehrere Personen wurden in Gewahrsam genommen, am frühen Morgen warfen Unbekannte mit Pyrotechnik. Kompliziert wird es für die Einsatzkräfte, als sie besetzte Barrikaden auf einem Weg räumen müssen: Ein Aktivist hat sich in einem Loch im Boden verschanzt, andere oben auf einem Baumgestell. Verletzt wird niemand, Gewalt gibt es nicht. Aber die Polizisten werden mit Urin und Kot bespritzt.
Der Mittwoch dürfte für die Polizei nur der Auftakt für einen Einsatz-Marathon gewesen sein – die eigentliche Herausforderung ist die Räumung der Baumhäuser. Den Beamten geht es da jedenfalls nicht anders als den Aktivisten: Sie erwarten in den nächsten Wochen noch eine Menge Sonnenaufgänge über dem Hambacher Wald.