Buir im Rhein-Erft-Kreis. . Umweltaktivisten besetzen seit Jahren den Hambacher Forst. Nun droht ihnen die Räumung, weil wieder Bäume gerodet werden sollen. Ein Ortsbesuch.

Die „Mutter von Hambach“ backt heute Kartoffelpuffer. Beate, eine Rentnerin aus Aachen, steht am Gasherd und haut den Teig mit Schwung in die Pfanne. Hinter ihr sitzen junge Menschen in einer Runde, diskutieren eifrig über ein Thema – bis das Essen fertig ist. Zu den würzigen Puffern gibt’s gegartes Gemüse und eine Petersiliencreme. „Ich habe heute Radio gehört und will das alles noch gar nicht glauben“, sagt Beate, als der Teller mit dem Abendessen schon fast alle ist.

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Das, was die Rentnerin noch nicht so richtig fassen kann und glauben will, sind die angekündigten Rodungen, die in dem Waldstück schon bald zur Realität werden könnten. Der Bürgewald nahe der Ortschaft Buir im Rhein-Erft-Kreis – besser bekannt unter dem Namen „Hambacher Forst“ – könnte ab Oktober ein entscheidendes Stück kleiner werden.

Denn der Besitzer des Waldes, der Energiekonzern RWE, hat sein Anliegen unmissverständlich klar gemacht: Die Fläche wird für den Braunkohletagebau gebraucht.

Es geht in dem Streit um mehr als nur den Wald

Seit Jahren streiten sich Umweltschützer, Bürgerinitiativen und andere Organisationen mit dem Energieriesen aus Essen um diesen alten Wald, der einst zu den größten im Land gehört haben soll. Seit 1978 fällt er Stück für Stück dem Tagebau Hambach zum Opfer. Gut ein Zehntel ist heute noch übrig, wenigstens das soll dauerhaft erhalten bleiben, fordern die Umweltschützer.

Der Streit um den Forst hat sich nach der Ankündigung von RWE zugespitzt. Während das Unternehmen betont, wie wichtig die Rodungen für die Fortführung des Tagebaus und die Energiesicherheit in NRW sind, bezweifeln viele Gegner diese Argumentation. Es geht in dem Streit längst nicht mehr nur um den Wald, der zu einem Symbol geworden ist, sondern um das große Ganze: den Klimawandel, die Treibhausgase und einen Energieträger ohne große Zukunft: die Kohle.

Eine Barrikade auf dem Weg.
Eine Barrikade auf dem Weg. © Robin Kunte

Und es geht in dem Streit um die Menschen, für die Rentnerin Beate alle paar Tage kocht. Sie leben im Hambacher Forst, schlafen in Baumhäusern oder Zelten. Der „Hambi“ und seine Besetzer gehören seit sechs Jahren irgendwie zusammen, die Aktivisten haben den Wald berühmt gemacht. Es ist nicht schwierig, die Menschen im Forst zu finden. Schon kurz hinterm Waldrand haben die Aktivisten eine Barrikade errichtet – ein alter Astra steht jedem im Weg, der mit einem Fahrzeug rein will.

Die Waldbewohner tragen Codenamen

Ein paar Meter weiter sind die ersten Zelte aufgebaut, junge Leute arbeiten an diesem Tag an einem neuen Baumhaus. „Wir bereiten uns so vor, dass wir so schnell es geht in die Bäume können, wenn die Polizei kommt“, sagt eine junge Frau, die sich Indigo nennt. Ein Codename, wie ihn alle hier tragen.

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Es sei gerade viel Bewegung in den Camps, berichtet Indigo, überall laufen die Vorbereitungen auf die drohende Rodung. Denn das ist klar: Einfach gehen werden die Aktivisten nicht, wenn die Arbeiter mit den Motorsägen anrücken.

Deshalb muss der Wald vorher geräumt werden. Heißt: Baumhäuser weg, Menschen raus. Für die Polizei wird das ein Risikoeinsatz, möglicherweise mit historischen Ausmaßen, wie die Gewerkschaft GdP befürchtet. Die Sorge vor einer Eskalation ist groß, auch weil Beobachter erwarten, dass gewaltbereite Akteure gezielt in den Wald kommen, wenn es Ernst wird. So war es im vergangenen Jahr, als die Rodungssaison kurzfristig von einem Gericht gestoppt wurde.

Derzeit läuft im Wald die vierte Besetzung

Der Wald wird derzeit zum vierten Mal von Aktivisten besetzt. Seit 2012 gab es bisher drei Räumungen, die letzte 2014. Bei den drei bisherigen Räumungen durch die Polizei kam es teils zu Zwischenfällen.

Viele von denen, die schon länger im Wald sind, werden hingegen als weniger radikal eingeschätzt. Die Besetzer arbeiten mit Aktionen des sogenannten „Zivilen Ungehorsams“, das sind zum Beispiel Massenblockaden, bei denen von den Blockierern keine Gewalt ausgeht. Hinzu kommen bürgerliche Proteste von Initiativen und Verbänden, die nicht zu den Bewohnern gehören.

Die zuständige Polizei Aachen betont, wie wichtig die Unterscheidung zwischen friedlichem und gewaltsamem Protest ist. „Es gilt die Grundrechte der Friedfertigen zu schützen, auf der anderen Seite jedoch die Straftaten von Tätern konsequent zu verfolgen“, sagte Polizeisprecher Paul Kemen.

Waldspaziergänge für die Öffentlichkeit

Doch schon jetzt gibt es Probleme: Am Dienstagabend warfen Vermummte auf einer Werksstraße, die durch den Wald führt, Steine, Feuerwerkskörper und Molotowcocktails in die Richtung von Polizisten, getroffen wurde laut Mitteilung der Polizei niemand. Das NRW-Innenministerium geht davon aus, dass ein Einsatz Wochen dauern kann und enorm viele Polizeikräfte binden wird.

Michael Zobel.
Michael Zobel. © Robin Kunte

Ein Mann, der die Besetzer gut kennt, und sich dennoch den Blick von außen bewahrt hat, ist Michael Zobel. Jeden Monat veranstaltet der Naturpädagoge Spaziergänge für die Öffentlichkeit durch den Hambacher Forst. 52 Ausgaben gab es bisher, rund 14 000 Menschen haben schon mitgemacht – interessierte Bürger, Lehrer, Schulklassen waren dabei.

Zobel liebt diesen Wald, das spürt man, wenn er mit leuchtenden Augen über einzelne Bäume spricht oder zeigt, wo die seltene und bedrohte Bechsteinfledermaus lebt. „Eine Räumung des Waldes ist gleichzusetzen mit einer Rodung, danach ist hier alles kaputt“, sagt Zobel. „RWE will Fakten schaffen, bevor alle Entscheidungen gefallen sind.“

Zobel führt an diesem lauen Sommerabend durch den Wald, zeigt dem Reporter den Weg in die „Oaktown“, die Eichenstadt. Dort kocht Rentnerin Beate gerade die Kartoffelpuffer. Sie trägt einen Umhang, auf dem steht: „Hambi bleibt“. Wie lange noch?