An Rhein und Ruhr. . In diesem Jahr sind in NRW schon sieben Radler gestorben, weil Lkw-Fahrer sie beim Abbiegen übersehen haben. ADAC betreibt Aufklärung an Schulen.
Ein Müllwagen überrollt beim Rechtsabbiegen einen kleinen Jungen, der mit seinem Fahrrad unterwegs ist. Der Siebenjährige kommt dabei ums Leben. Der Unfall in Köln löste Ende Mai in ganz Deutschland Betroffenheit aus.
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Am vergangenen Mittwoch wird eine junge Mutter vor den Augen ihrer siebenjährigen Tochter in Essen von einem Müll-Lastwagen überrollt. Der Fahrer hatte die beiden Fußgänger beim Abbiegen übersehen und die Frau erfasst, Das Mädchen überlebte schwer verletzt.
Bundesweit mindestens 23 Tote
Immer wieder sterben Menschen bei Zusammenstößen mit abbiegenden Lastwagen. Immer häufiger geraten sie in den tückischen „toten Winkel“, so dass die Laster-Fahrer sie nicht rechtzeitig sehen. Oft betroffen: Radfahrer.
Allein in diesem Jahr sind nach einer Auflistung des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) bundesweit bereits mindestens 23 Radfahrer bei solchen Abbiege-Unfällen gestorben – in NRW waren es sieben. Zum Vergleich: 2017 kamen in NRW im gesamten Jahr acht Menschen bei solchen Unfällen ums Leben.
Gesamte Schulklasse verschwindet im toten Winkel
Nur wenige Jahre älter als der verunglückte Junge in Köln sind die Schüler der Grundschule Lange-maß. Die vierte Klasse ist eine von 180 Schulklassen, die in Köln an der Aktion „Toter Winkel“ von ADAC, Stadt und Polizei teilnehmen. Die Kinder wissen schon sehr genau um die Gefahren, die im toten Winkel lauern.
„Wenn die uns nicht sehen, können die uns überfahren“, sagt Nicolai mit großen Augen. Als die Kinder auf dem Schulhof demonstriert bekommen, wie groß der blinde Fleck im Sichtfeld der Lkw-Fahrer tatsächlich ist, staunen sie trotzdem: Die ganze Klasse verschwindet im toten Winkel des Trucks.
Seit neun Jahren läuft die Aktion mittlerweile: „Es ist total wichtig, vor allem Kindern zu zeigen, welchen Gefahren sie auf der Straße ausgesetzt sind. Die aktuellen Fälle zeigen, dass wir mit der Aktion genau an der richtigen Stelle ansetzen“, sagt Jens Wiegand.
Seit Jahren tourt er von März bis zum Start der Sommerferien durch die Schulen der Domstadt. Seiner Aufgabe überdrüssig wurde er nie: „Da hängt mein Herz dran“.
Auch deshalb setzt der Fahr-Trainer jeden einzelnen Schüler mit Engelsgeduld auf den Fahrersitz des Lkw. „Ich hab nur Serdar im Spiegel gesehen, der hat eine Grimasse gezogen“, lacht Joy-Linn. Nicht, ohne dabei eine gehörige Portion Respekt zu haben. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Fahrer nur so wenig sehen können.“
Helfen könnten elektronische Abbiege-Assistenten: Nach Angaben der Unfallforschung der Versicherer (UDV) könnten so jährlich fast 200 Unfälle mit getöteten oder schwer verletzten Radfahrern verhindert werden.
Fahrtrainer sieht Eltern der Schulkinder in der Pflicht
Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, das elektronische Warnsystem für neue Lastwagen künftig vorschreiben zu wollen. Das Problem: Deutschland kann nicht im Alleingang Gesetze über die Ausrüstung von Lkw erlassen - dafür ist eine EU-weite Regelung erforderlich. Und das könnte, so der UDV, noch Jahre dauern.
Darum appelliert Jens Wiegand an die Eltern der Kinder: „Die Eltern sind 365 Tage im Jahr mit ihren Kindern zusammen. Sie müssen dafür sorgen, dass sich das verfestigt, was die Kinder hier heute gelernt haben.“
ADFC fordert: „Die Politik muss endlich handeln!“
An jedem Mittelklassewagen gebe es heute serienmäßig an allen Seiten Sensoren, hinten sogar auch Kameras: „Da geht es darum, dass man sich beim Parken keine Beule holt“, sagt Thomas Semmelmann, Landesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC, über 36 000 Mitglieder). Beim Lkw gebe es eine solche Grundausstattung nicht – und da geht es um Menschenleben.
„Die Entwicklung in diesem Jahr ist sehr tragisch“, sagt Semmelmann mit Blick auf die aktuellen Unfallzahlen. Der ADFC NRW fordert, dass Lkw mit entsprechenden Sensoren, sogenannten „Abbiegeassistenten“, ausgestattet werden (Kosten: ab 2500 Euro pro Fahrzeug). Man denke dabei auch an die Lkw-Fahrer: „Solche Unfälle begleiten einen ein Leben lang.“
Und weil man nicht warten will, bis die EU dazu Vorgaben macht, solle das Land NRW mit gutem Beispiel vorangehen: „Wir fordern, dass das Land zumindest eine Anschubfinanzierung leistet, damit Kommunen Müllwagen und andere große Fahrzeuge so ausrüsten können.“ Schon seit vielen Jahren werde über Abbiegeassistenten geredet – „die Politik muss endlich handeln“, meint Semmelmann.