Gelsenkirchen/Oer-Erkenschwick. Ein Ehepaar hatte gegen den Muezzin-Ruf einer Moschee in Oer-Erkenschwick geklagt. Die Richter kassierten nun die Lautsprecher-Genehmigung.
Der Muezzin wird Muslime in Oer-Erkenschwick nicht mehr über Lautsprecher zum Freitagsgebet aufrufen. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gab am Freitag der Klage eines Ehepaares statt und hob die erteilte Genehmigung durch die Stadt auf.
2013 hatte die Stadt Oer-Erkenschwick der türkischen Ditib-Gemeinde erstmals den Betrieb eines Lautsprechers genehmigt. Der wird seitdem vom Hodscha der Gemeinde jeden Freitagmittag zum öffentlichen Gebetsruf genutzt. Jetzt kassierte das Gericht die Lautsprecher-Genehmigung der Stadt wieder ein.
"Verletzung der negativen Religionsfreiheit"
Zuvor hatte ein Ehepaar gegen die Genehmigung geklagt, weil es sich von dem Muezzin-Ruf in seiner Religionsfreiheit beeinflusst fühlte. Bereits vor rund einem Jahr hatte der Rechtsanwalt der Kläger erklärt: "Bei dieser Klage geht es nicht nur um die Lautsprechergenehmigung, sondern insbesondere um die Inhalte, die in dem Muezzin-Ruf öffentlich verbreitet werden." Der Muezzin-Ruf verletze die "negative Religionsfreiheit" seiner Mandaten, so der Anwalt. Danach darf niemandem ein bestimmter Glauben "aufgezwungen" werden, was beim Muezzin-Ruf, der inhaltlich einen islamischen Alleinvertretungsanspruch zulasten anderer Religionen geltend mache, aber der Fall sei.
Die 8 Kammer des Verwaltungsgerichts folgte im Wesentlichen der Klage. Die Richter vermissten in der Genehmigung für den Lautsprecher eine ausführliche Befragung der Nachbarschaft zur sozialen Akzeptanz des verstärkten Muezzin-Rufes. Zuvor hatte die Vorsitzende Margit Balkenhol dem städtischen Vertreter nahe gelegt, den Bescheid zurückzunehmen und sich gemeinsam mit den Parteien an einen Tisch zu setzen.
Mit dem pragmatischen Vorschlag sollten für beide Seiten verträgliche Lösungen gefunden werden. Doch der Vertreter der Stadt war nach Rücksprache mit dem Verwaltungsvorstand nicht bereit, den Bescheid zurückzunehmen. Die Stadt hatte in ihrer Genehmigung 55, in der Spitze maximal 85 dezibel als Lärm-Belastungsgrenze festgeschrieben. Michael Grzeskowiak, damals Leiter des Ordnungsamtes, erklärte vor Gericht, die Stadt habe den Antrag der Gemeinde nach dem Landesimissionsschutzgesetz geprüft.
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: Das ist kein generelles Verbot
Das Gericht sah aber die Abwägung zwischen den Interessen der Gemeinde und denen der Nachbarschaft zu wenig berücksichtigt. So kollidierten mit der positiven und der negativen Religionsfreiheit zwei Grundrechte. Hier die ungehinderte Praktizierung des Glaubens, dort die als zwanghaft empfundene Auswirkung auf die übrige Bevölkerung.
Das Urteil bedeute aber nicht, dass der Einsatz der Lautsprecher beim Muezzin-Ruf grundsätzlich untersagt worden sei. Die Stadt müsse bei künftigen Genehmigungen eben aber auch die negative Religionsfreiheit berücksichtigen.
Bewohner empfand „Sing-Sang“ aus dem Lautsprecher als Zumutung
Bereits 2014 hatte die Stadt der Ditib-Gemeinde eine bis Ende 2015 befristete Genehmigung erteilt. „Wir befürchteten“, so Michael Grzeskowiak, „dass bei längerer Laufzeit der Stadtteil Rapen mit Muezzin-Rufen überfrachtet werden könnte.“ Maximal 15 Minuten ertönte der Muezzin-Ruf freitags zwischen 12 und 14 Uhr. Den Widerspruch des heutigen Klägers Hans-Joachim L. wies die Stadt zurück. Das Gemeinwohl überwiege beim Vergleich mit dem Interesse des Einzelnen. Der Bewohner empfand den „Sing-Sang“ aus dem Lautsprecher als Zumutung. Im Garten und selbst bei geschlossenem Fenster im Arbeitszimmer sei er intensiv zu hören gewesen.
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Der Ruf verstummte, nachdem Hans-Joachim L. gemeinsam mit seiner Frau im Juli 2015 Klage erhoben hatte. Bei einem vorher geplanten Verständigungsgespräch mit Gemeindevertretern sei er abgebügelt worden. Ein syrischer Nachbar christlichen Glaubens habe ebenfalls klagen wollen. Er sei massiv bedroht worden, habe die Absicht dann aufgegeben.
Von der Gemeinde, die als Beigeladene zum Sachverhalt gehört werden sollte, war am Freitag niemand erschienen.