Bottrop. . Historischer Augenblick in 1240 Metern Tiefe. Im Bottroper Bergwerk Prosper-Haniel ist der letzte Durchschlag erfolgt. Es war gleichzeitig der letzte Durchschlag überhaupt im Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet.

Vor ein paar Tagen hat der Markscheider noch mal kontrolliert, ob auch alles passt. „Vorsichtshalber“. Ob sie sich auch wirklich treffen, die beiden Strecken in der Zeche Prosper-Haniel, die sich treffen sollen. Für das, was im Bergbau „Durchschlag“ heißt. Denn es ist ja nicht irgendein Durchschlag, es ist der letzte im Steinkohlebergbau des Ruhrgebietes. Deshalb fährt auch viel Besuch ein an diesem Tag. Glückauf.

Wer dabei sein will, braucht Zeit. „Der Durchschlagspunkt“, sagt ein Kumpel grinsend, „liegt am Arsch der Welt“. Und Prosper-Haniel Sprecher Michael Sagenschneider bestätigt. „Viel weiter weg von Schacht 10 geht es nicht.“ Darum nimmt man auch den Zug. Der wartet an Bahnhof 9811, sechste Sohle in gut 1000 Meter Tiefe. Aus Metall sind die Waggons, klein die Fenster, aber es gibt ja auch nicht viel zu sehen hier unten.

20 Minuten dauert die Fahrt. Die Kumpel, die am Durchschlagspunkt arbeiten, machen sie jeden Tag. Dann laufen sie noch einmal gut eine Stunde. Mit kiloschwerer Ausrüstung und bei knapp 30 Grad. „Wenn du da bist, bisse auf Betriebstemperatur“, sagt einer. Immerhin, zurück geht es schneller. Da können sie sich auf die Förderbänder legen, die eigentlich Gestein und Kohle transportieren. In ein paar Jahren hätten sie einen neuen Schacht gebaut, näher dran, schneller zu erreichen. „Aber in ein paar Jahren gibt es uns ja nicht mehr“, sagt Sagenschneider.

Vor Ort, im Flöz G2/F, wartet schon die Vortriebs-Mannschaft der TSM 38. Wobei TSM für Teilschnittmaschine steht, ein rund 100 Tonnen schweres Ungetüm mit lasergesteuertem, schwenkbarem Arm, an dessen Ende schnell rotierende, mit Meißeln besetzte Walzen angebracht sind. Drückt Maschinenführer Bodo Eilers auf den Knopf schneiden sie sich durch das Gestein. „Wenn es gut läuft, zehn Meter am Tag“, sagt Eilers.

Seit 2014 haben sie sich durch die Erde gefressen, jetzt sind es noch gut zwei Meter bis zur Strecke, die von der anderen Seite kommt. Ein Klacks. „Ein paar Minuten bis zum Durchschlag“, schätzt Eilers. Eineinhalb Stunden, bis er alles abgeräumt hat. Eineinhalb Stunden, bis es die Abteilung Vorleistung nicht mehr geben wird, weil es keine neuen Strecken mehr geben wird. „Schon traurig“, findet nicht nur Sagenschneider. Immerhin, niemand wird arbeitslos. Wer nicht (früher) in Rente geht, wechselt die Abteilung oder den Betrieb.

Kein spektakulärer, aber ein historischer Moment

Früher Nachmittag ist es geworden, da haben sich knapp 50 Zuschauer eingefunden. Die Werksleitung ist unter Tage, Vertreter der Bezirksregierung sind es auch. Eilers fährt die Maschine hoch, einer ruft: „Gleich wird es dreckig!“ Ein anderer fordert deshalb: „Staubschutzmasken auf.“ Kameras hat der Zechenbetreiber RAG auf der anderen Seite aufgehängt. Sie zeichnen auf, wie die Schneidköpfe die Wand nach gut einer Viertelstunde durchdringen. Es staubt gewaltig. Der Moment ist nicht spektakulär, aber er ist historisch. Viele applaudieren, die meisten mit einem Kloß im Hals.

Auf Monitoren konnten die Besucher den Durchschlag verfolgen
Auf Monitoren konnten die Besucher den Durchschlag verfolgen © RAG

Bevor es zurückgeht, zeigt Sagenscheider auf die Wand neben dem Durchschlagspunkt. „Doppelflöz“, erklärt er. „Viel Kohle, gut abzubauen.“ Ist die nun nicht mehr benötige TSM abgebaut und nach oben gebracht, werden sie damit beginnen. Auf einer Breite von knapp 350 Metern wird eine andere Maschine dann abhobeln, was einst „schwarzes Gold“ genannt wurde. Von Juli 2017 bis Februar 2018.

Zehn Monate später ist dann alles vorbei. Schon zum Ende dieses Jahres wird die Belegschaft von Proper-Haniel auf unter 2700 gesunken sein. „Alles läuft nach Plan“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Sandro Atzori. Dem Plan, der 2007 beschlossen wurde und mit dem die Kumpel im Revier sich immer noch „arrangieren“ müssen. Das ist nicht einfach. „Einmal Bergmann, immer Bergmann“, sagt Atzori. Etwas mehr als zwei Jahre fahren sie noch ein auf der letzten von einst 150 Zechen im Revier. 24 Monate, die nicht einfach werden für die Belegschaft. „Es kommen“, sagt Sagenschneider, „jetzt immer mehr Dinge, die wir zum letzten Mal machen.“