An Rhein und Ruhr. In Essen gibt es ein Speed-Dating ab 55. Die Frauen und Männer lernen sich in schnellen Gesprächen kennen – mit unterschiedlichen Vorstellungen.
Die Damen haben es heute Abend bequem. Sie dürfen einfach sitzen bleiben, wenn das Glöckchen klingt. Für die Herren ist das schrille Geräusch hingegen das Signal zum Aufstehen. Sie wechseln alle acht Minuten den Tisch – und sitzen damit der nächsten potenziellen Dame ihres Herzens gegenüber. Speed-Dating nennt sich das, was die Männer und Frauen in einem Café im Essener Süden machen. Solche schnellen Dates um der neuen Liebe willen, liegen im Trend, das Besondere an dieser Veranstaltung: Die Teilnehmer sind allesamt 65 Jahre und älter.
Es ist kurz vor sieben. Männer mit grauen Haaren und gut sitzenden Jacketts betreten das kleine Café in der schnuckeligen Altstadt von Kettwig. Ein paar Frauen sind schon da, ebenso gut angezogen. Sie alle haben sich schick gemacht für den großen Abend. Im Empfangsraum im Erdgeschoss kommt allmählich aufgeregtes Gemurmel auf. Ein erstes Kennenlernen.
Endlich mal wieder ein Mann
Ein paar Minuten später sitzt Renate aus Essen im festlich dekorierten Raum im ersten Stock am Tisch, über ihr hängen Kronleuchter unter der Decke. Wie alle Teilnehmer, möchte sie ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen. Warum sie hier ist? „Ich habe viele Hobbys, spiele mehrere Instrumente, fahre gerne Fahrrad oder verreise“, erzählt die 67-Jährige, die 39 Jahre verheiratet war und seit fünf Jahren Witwe ist. „Ich bin in meiner Freizeit aber nur mit Frauen zusammen.“ Also soll endlich mal wieder ein Mann her für gemeinsame Unternehmungen.
Er muss nicht unbedingt die große Liebe sein, sondern ein Typ, der ein bisschen sportlich ist – und mit dem man sich zwischen zwei Radtouren vernünftig unterhalten kann. Nur bei ihr einziehen, das soll er bitte nicht. „Ich gucke einfach mal“, sagt Renate. „Wenn ich am Ende gar kein Kreuz mache, ist das auch nicht schlimm.“
Das Kreuz ist sozusagen der springende Punkt bei den Dates. Jeder der elf Frauen und Männer trägt einen Zettel mit sich herum – bei Gefallen kann hinter dem Namen des Gesprächspartners ein Kreuz gemacht werden. Erst bei einer Übereinstimmung geben die Veranstalter E-Mail-Adresse und Telefonnummer weiter – und die Liebe könnte ihren Lauf nehmen.
Für die meisten sind acht Minuten zu wenig
Als das Glöckchen zum ersten Mal klingelt und es endlich los geht, sind die Annäherungsversuche noch zaghaft. Ein sanftes „Hallo Wolfgang“ ist aus der einen Ecke zu vernehmen, Gesprächsfetzen schallen durch den Raum: „Zwei Enkelkinder“ kommt vom Tisch in der Mitte, „53 Jahre verheiratet“ aus der Fensterrichtung. Die acht Minuten sind meist zu wenig, viele wollen gar nicht aufhören zu reden. Andere merken: Acht Minuten können so quälend lang sein, dass nur noch der Gang zur Toilette als Ausweg bleibt. Es prallen auch Gegensätze aufeinander. Oft wollen die Männer eine Frau für den Alltag, die gerne mit anpackt – die meisten Frauen hingegen halten es wie Renate: Der Mann muss für die Freizeit da sein, ins Haus kommt er erstmal nicht.
Auf die Beine gestellt haben das Speed-Dating die Essenerinnen Maggie Ast (67) und Irmingard Degen (61).„Wir haben von einer solchen Veranstaltung im Sauerland gehört“, sagt Irmingard Degen. „Da haben wir gedacht: Das klappt auch bei uns.“ Mit ihrer Idee haben sie offenbar den Nerv der Zeit getroffen. „Viele Menschen bewegen heute mit 70 noch die Welt“, meint Maggie Ast. „Sie sind unternehmungslustig, wünschen sich aber nicht nur eine Freizeitgemeinschaft, sondern auch eine Partnerschaft.“ Nach einer neuen Liebe würde in diesem Alter aber ungern im Internet gesucht. Der Vorteil beim Speed-Date: Man hat sein Gegenüber direkt vor Augen.
Männer sind Mangelware
Vor allem Frauen melden sich bei den beiden. „Die Männer sind zurückhaltender und trauen sich noch nicht so richtig“, sagt Maggie Ast. Bei ihrer Suche nach geeigneten Männern sind die Organisatorinnen deswegen schon kreativ geworden, haben etwa die Herzblatt-Anzeigen in der Zeitung durchgestöbert und gezielt Männer angeschrieben. Teilweise mit Erfolg.
Gute zwei Stunden dauert der Abend. Ein bisschen geschlaucht sehen die Teilnehmer danach aus. Auch Renate ist nach elf Dates erschöpft, aber glücklich. „Immerhin, ein Kreuz habe ich gemacht.“
>> INFOS ZUR ANMELDUNG
Das Speed-Datingfindet jeden ersten Freitag im Monat um 19 Uhr im Brückencafé im Essener Stadtteil Kettwig statt. Die Teilnahme kostet 27,50 Euro, ein Getränk ist inklusive.
Es gibt zwei Altersgruppen: 55 bis 65 Jahre und ab 65 Jahren aufwärts. Mehr Infos gibt es bei den Veranstalterinnen unter 02054/9440993 oder unter www.speed-dating-ab-55.de