An Rhein und Ruhr. . In den kommenden Jahren werden immer mehr ältere Menschen in NRW auf Grundsicherung angewiesen sein. Ein Grund dafür ist der Strukturwandel

Horst Vöge sieht für die Zukunft ziemlich schwarz: „Wir werden in der Zukunft einen deutlichen Anstieg bei der Altersarmut sehen, wenn sich nicht etwas grundlegend ändert“, sagt der Vorsitzende des niederrheinischen Kreisverbands des Sozialverbandes VdK. Vöge ist mit der Einschätzung nicht allein. Politiker aller Parteien warnen vor dem Problem.

Ein Indiz dafür, dass diese Prognose Vöges zutrifft, ist die absolute Zahl der Bezieher von Grundsicherung im Alter, die seit Jahren steigt. Wenn die Rente nicht für das Nötigste reicht, stockt das Sozialamt sie bis zum Hartz-IV-Niveau auf (siehe Kasten). Ende 2015 erhielten in Nordrhein-Westfalen 137 000 ältere Menschen Grundsicherung, darunter 92 000 Frauen.

Weil aufgrund der Demografie gleichzeitig aber auch die Zahl der Über-65-Jährigen wächst, blieb der Anteil der armen Alten bundesweit seit Jahren nahezu konstant, zuletzt lag er bei 3,1%. Zum Vergleich: Von den Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren lebten in Deutschland zuletzt rund 13% in Hartz-IV-Familien, die Kinderarmut ist rechnerisch damit ungleich größer als die Altersarmut. Deutlicher sichtbar ist sie aber bereits in vielen Städten an Rhein und Ruhr. Das zeigt eine exklusiv für diese Zeitung erstellte Statistik der Landesdatenbank IT.NRW.

Viele Erwerbsbiografien haben erhebliche Brüche

Darin werden für jede Stadt die Bezieher von Grundsicherung im Alter ins Verhältnis zur Bevölkerung im Rentenalter gesetzt. In der turnusmäßigen Veröffentlichung fehlt diese Prozentangabe für die Kommunen. Nur sie gibt aber Aufschluss über die Verbreitung von Altersarmut in einer Stadt. Für manche überraschend hat die schicke Landeshauptstadt Düsseldorf mit 7,2% anteilig mehr arme Rentner als jede Ruhrgebietsstadt. Doch auch im Revier sind deutlich mehr ältere Menschen aufs Sozialamt angewiesen als in den ländlicheren Gegenden von NRW.

© Bertelmann

Sozialminister Rainer Schmeltzer (SPD) zufolge ziehen gerade die großen Städte Menschen mit Problemen an, sie erhofften sich dort Arbeitsplätze, eine bessere Gesundheitsversorgung und günstige Mietwohnungen. Auf dem Land lebten die meisten dagegen im eigenen Haus und häufig in engeren Familienbünden.

Die Aufregung darüber hält sich in den Rathäusern noch in Grenzen. Sie wäre womöglich größer, würde nicht der Bund anders als bei anderen Sozialleistungen die Kosten der Grundsicherung im Alter seit 2014 komplett übernehmen. Mit Sorge blicken aber die Sozialdezernenten auf das Problem und seine Tendenz für die Zukunft:. Der Strukturwandel wirkt laut Essens Sozialdezernent Peter Renzel noch immer nach und sei längst nicht beendet. „Die Jobs, die es gibt, passen nicht zu den oft ungelernten Langzeitarbeitslosen. Uns fehlen gewerblich-technische Arbeitsplätze“, sagt er. Er rechnet deshalb mit einem Anstieg der Altersarmut in seiner Stadt.

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„Wir haben im Ruhrgebiet und am Niederrhein viele Erwerbsbiografien im erheblichen Brüchen“, sagt Horst Vöge. Die Textilindustrie am Niederrhein den Bach herunter gegangen, im Ruhrgebiet Kohle und Stahl. „Für viele Menschen bedeutete das lange Zeiten der Arbeitslosigkeit.“ Zudem habe sich auch die Lohnstruktur verändert, weil immer mehr Menschen in Teilzeit arbeiteten. Die Auswirkung: weniger Rentenansprüche. Die zu erwartende Zunahme von Altersarmut werde erhebliche Folgen für die Kommunen haben, warnt Vöge: „Das wird sich auf das Einkaufsverhalten der Menschen auswirken, auf ihre Mobilität und auf die Frage, ob die eigene Wohnung noch finanzierbar ist.“

Sozialminister Schmeltzer fordert, das Rentenniveau dürfe nicht weiter sinken. Das verlangt auch der VdK. Allerdings verfügt jeder vierte Empfänger von Grundsicherung im Alter über gar keine Altersrente, wie eine Auswertung der Deutschen Rentenversicherung für 2014 ergab. Betroffen seien viele Hausfrauen, die nicht auf die erforderlichen fünf Versicherungsjahre kommen, und kleine Selbstständige, die nicht vorgesorgt haben. Das muss bedenklich stimmen hinsichtlich der diskutierten Konzepte zur Vermeidung von Altersarmut. Die geplante Mindestrente etwa mit ihren 35 Beitragsjahren als Voraussetzung wird diese Menschen nicht erreichen.