Essen. Tödliche Unfälle mit Straßenbahnen gibt es immer wieder. Aber was lässt sich dagegen tun – und sind Trams für Fußgänger wirklich so gefährlich?

In Witten wird ein junger Mann von einer Tram überrollt. In Gelsenkirchen stirbt ein Mann, als er von der Bahn erfasst wird. In Dortmund schleift die Stadtbahn einen Mann zehn Minuten lang mit. Immer wieder enden Kollisionen zwischen Fußgänger und Straßenbahn tödlich. Aber sind unsere Straßenbahnen wirklich so unsicher wie es scheint?

Die Statistik sagt: nein. In Relation zur Zahl der beförderten Personen ist die Straßenbahn sogar sicherer als der Bus. Und im Vergleich zum Auto sowieso. Evag-Sprecher Olaf Frei sieht daher keinen Handlungsbedarf seitens seiner Verkehrsbetriebe. Bei weit über 100 Millionen Fahrgästen im Jahr seien Unfälle statistisch vorprogrammiert – blieben aber Einzelfälle. Allerdings, so Frei, passierten in letzter Zeit mehr Unfälle mit Fußgängern, die aufs Smartphone starren oder Musik hören.

Mehr Aufklärung und weniger Schilder

Prof. Maria Limbourg sieht mehr Nachholbedarf – vor allem auf Seiten der Fußgänger, aber auch bei Verkehrplanung und Technik. Die Bildungswissenschaftlerin war lange an der Uni Duisburg-Essen tätig und befasst sich seit Jahren mit Verkehrserziehung. Sie sieht vor allem Schulen in der Pflicht: "Mit der Grundschule hört die Verkehrserziehung auf", moniert sie. Bis die Kinder Zehn sind, bekommen sie noch Radler- und Fußgängerverhalten beigebracht. Aber in der Pubertät? "In weiterführenden Schulen gibt es keine Verkehrserziehung mehr", so Limbourg. Dabei wachse gerade bei älteren Schülern die Risikobereitschaft.

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Würden mehr Schilder und Warnhinweise an Schienen und Fußgängerüberwegen helfen? Nein, ist sich Limbourg sicher. Im Gegenteil: Weniger Hinweise seien ratsam. "Es gibt zu viele Schilder. Die meisten werden gar nicht mehr beachtet."

Allerdings lasse sich an der Ampel-Schaltung etwas tun, meint die Verkehrsexpertin. Schalte die Fußgängerampel auf Grün, sobald eine Straßenbahn einfährt, mindere das die Hetze der Fahrgäste. Die Folge wären weniger Unfälle – mit Autos, aber auch mit der Bahn selbst: Viele Kollisionen passieren, wenn Gehetzte vor der Bahn herlaufen, um auf die Einstiegseite zu huschen. Oder, noch gefährlicher: Wenn Fahrgäste voller Eile zwischen den Wagen auf die andere Seite springen. Die Grüne Welle käme auch den Verkehrbetrieben entgegen. "Die Entscheidung liegt aber an der Verkehrplanung der Städte", erklärt Evag-Sprecher Olaf Frei. In deutschen Städten habe eben meist das Auto Vorrang vor der Tram.

Breitere Bahnsteige im Ruhrgebiet kaum möglich

Auch Durchsagen in der Bahn könnten sinnvoll sein, meint Prof. Limbourg. Hin und wieder eine kurze Aussage über gefährliche Begegnungen mit der Bahn könne die Fahrgäste sensibilisieren.

Beim Thema Geschwindigkeit scheiden sich die Geister. Während Limbourg auf Tempo 30 pocht und deutlich langsameres Fahren vor und hinter Haltestellen und Fußgängerquerungen fordert, sieht Evag-Sprecher Frei keinen Handlungsbedarf. Die Bahnen kämen ohnehin selten über 30 km/h hinaus. Zudem senke ein geringeres Tempo die Effizienz. Dasselbe Argument spreche gegen eine Entzerrung des Fahrplans mit mehr Spielraum für Verzögerungen. Limbourg: "Wenn der Fahrer eine Verspätung aufholen muss, wird es gefährlich."

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Neben dem engen Fahrplan bringen auch andere Dinge Stress für den Fahrer. "Er muss alles gleichzeitig machen", meint Limbourg. Kassieren, auf Bahnsteig und Türen achten, Innenraumkameras überblicken, Fahren... Das alles führe schnell zu Überforderung und einer höheren Unfallgefahr.

Spielen, Drängeln, Schubsen: Viele Unfälle passieren in Gruppen wartender Schüler. Breitere Bahnsteige könnten das Unfallrisiko senken, meint Prof. Limbourg. Allerdings sei es vor allem an Haltestellen in der Straßenmitte utopisch, das zu ändern. Die Wartezonen seien und blieben sehr schmal. Evag-Sprecher Frei: "Wir sind an bauliche Vorgaben gebunden. Im Ruhrgebiet gibt es kaum dreispurige Alleen, sondern fast nur dichte Bebauung."

Die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) testen seit 2013 Leuchtstreifen im Fußboden. Sie warnen an zwei Haltestellen-Übergängen und an einem Übergang auf freier Strecke zusätzlich zu anderen Warnsignalen vor der Bahn. Hintergrund: Wer aufs Handy starrt, blickt zum Boden – und sieht die leuchtenden Punkte eher als eine Ampel in zweieinhalb Metern Höhe. Eine Auswertung der Wirksamkeit stehe aber erst Ende des Jahres an, so KVB-Sprecher Matthias Pesch.

Außenkameras gibt es in Deutschland nur selten

In einigen (wenigen) Städten wie Den Haag gibt es Außenkameras an der Tram. Sie erlauben dem Fahrer eine bessere Sicht auf den kompletten Zug und auf die Kupplungs-Lücke zwischen den Wagen. Bei der Evag sei das nicht geplant, so Frei, und führt Bedenken in Sachen Datenschutz an.

Schwierig sei es auch, die Lücken zwischen den Wagen zu schließen, erklärt Limbourg. Schließlich bräuchten die Gelenke Spielraum, um um Kurven zu kommen. Allerdings gibt es auch Straßenbahnen (wieder: in Den Haag) ohne offene Kupplung. Stattdessen haben die Bahnen Drehgestelle und sehen aus wie ein Zieharmonika-Bus. Das System ist allerdings nicht sehr flexibel, wenn es ums Verlängern oder Kürzen einer (nicht) ausgelasteten Linie geht.