Dortmund. Nach dem tödlichen Straßenbahn-Unglück sollte es eine Debatte über die Sicherheit geben. Der Dortmunder Unfall ist kein Einzelfall. Ein Kommentar.

Jan N. ist tot. Am späten Pfingstmontag war der 20-Jährige Dortmunder zwischen zwei gekoppelte Straßenbahnteile geraten. Das Fahrzeug schleifte ihn zehn Minuten lang mit, über drei Kilometer und sechs Haltestellen. Dann wurde der Fahrer auf den Unfall aufmerksam (gemacht). Jan N. mussten beide Beine und ein Arm amputiert werden. Die Ärzte konnten ihn nicht retten.

Nur ein tragischer Unfall, selbst verschuldet durch einen unaufmerksamen jungen Mann? Die Schuldfrage kann noch nicht geklärt sein. Die Ermittlungen laufen. N. sei gestolpert, sagt der Staatsanwalt. Ein Gutachter prüft, ob die Bahn zu dem Zeitpunkt bereits fuhr oder noch stand. Es kann sein, dass das eine Rolle spielt, wenn es um mögliche strafrechtliche Folgen für den Fahrer geht. Derzeit wird gegen ihn aber nicht ermittelt.

Unabhängig von der juristischen Bewertung im Einzelfall wirft der fürchterliche Albtraum vom Pfingstmontagabend andere Fragen auf. Es sind die nach der Verantwortung der Verkehrsbetriebe, in Dortmund und anderswo.

Immer wieder schlimme Straßenbahn-Unfälle

Schlimme Straßenbahn-Unfälle dieses Typus sind eben nicht so selten. In Dortmund sind in den letzten Jahren dabei eine 74-Jährige Frau und ein dreijähriger Junge umgekommen. In Köln-Holweide ist 2014 ein 26-Jähriger schwer verletzt worden. Eine 18-jährige Duisburgerin hat das Drama an der Haltestelle Vierlinden überlebt, in Brandenburg kam ein 14-jähriges Mädchen knapp mit dem Leben davon. Die Aufzählung ist eher unvollständig als übertrieben.

Ob bodenloser Leichtsinn, selbst oder fremdverschuldet: Passanten kommen unter die Räder, Fahrgäste werden in den Türen eingeklemmt, einige werden über Meter oder Kilometer mitgeschleift. Und Fahrer merken es häufig nicht. Die Haltestellen, die Bahnsteigkanten, das Ein- und Aussteigen und das Anfahren – es sind längst Unfallschwerpunkte. Wären sie Straßenabschnitte und die Unfallverursacher Autos, die Polizei wäre hier auf Dauer auf der Lauer.

Reicht der Rückspiegel aus?

Vielleicht ist es ungeklärt, wer vorrangig die Aufsicht an diesen Haltestellen führt, wer die Verantwortung trägt. Besser: Wer sie überhaupt wahrnehmen kann. Bei der Deutschen Bahn hat eine ähnliche Diskussion vor wenigen Jahren zu einem Riesenkrach zwischen Unternehmen, Lokführern und dem Eisenbahnbundesamt geführt, bis ein Staatsanwalt gegen das Bundesamt als Aufsichtsbehörde ermittelte. Der Anlass für ihn waren 27 (!) Vorfälle mit defekten Türen und der Tatsache, dass diese beim Schließen in der Regel unbeaufsichtigt blieben.

Reicht einem Tram-Fahrer der Rückspiegel, um ein 62 Meter langes Stück Bahn mit zig Türen und einer Kupplung zu beaufsichtigen? Wäre es nicht angebracht, die Verkehrsbetriebe zum Nachrüsten mit Außenkameras zu zwingen, wie es die Betriebe in Den Haag bei 47 Fahrzeugen getan haben und auch schon einige Unternehmen in Deutschland? Die Begründung aus den Niederlanden ist doch einleuchtend: Der Fahrer habe nicht nur die Sicht auf die Türen, sondern auch auf die Haltestelle. „Das verringert die Möglichkeit für Unfälle. Die Kameras bieten auch Sicht auf das, was vorher im toten Winkel war“.

Debatte um Sicherheit an Haltestellen nötig

Erfahrung mit Kameras haben unsere Verkehrsgesellschaften ausreichend. Pro Fahrzeug sind bis zu acht im Innenraum installiert. Die Fahrgäste sollen sich dort sicher fühlen. Randalierer und Polsterschlitzer sollen keine Chance haben.

Der tödliche Unfall in Dortmund sollte ein Anlass sein, auch über die Sicherheit an Haltestellen erneut nachzudenken. Ein Land, das wegen vager Sicherheitsbedenken bei einer Handvoll Paternoster-Aufzüge mit einer eigenen Verordnung reagiert, sollte sich eine solche Debatte leisten können. Und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen. Nicht nur in Dortmund, Duisburg und Köln.