An Rhein und Ruhr. Die Dörfer schrumpfen – weil die Akademisierung des Lebens zunimmt. Und wo Kirche, Kaufmann und Kneipe nicht mehr sind, sinkt die Attraktivität des Landlebens. Das große Plus jedoch sind Naturnähe und der soziale Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft

Wenn die Dörfer schrumpfen, wachsen die Probleme: Kirche, Kaufmann, Kneipe sind – neben dem Dorfdoktor – die Säulen des Gemeinschaftslebens. Doch die fehlen immer häufiger. Deswegen muss, wer in dünn besiedelten Regionen lebt, erfinderisch sein – und hartnäckig.

Denn: Viele Ideen, mit denen das Leben in ländlichen Gebieten am Niederrhein, im Sauerland oder in der Eifel in Zukunft noch funktionieren kann, geraten in den deutschen „Regulariensumpf“, wie das „Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung“ in seiner neuen Studie beklagt.

„Von Hürden und Helden“ heißt sie – und listet auf, mit welchen Hindernissen mutige Bürger zu kämpfen haben, wenn sie ihren Dörfern neues Leben einhauchen wollen. Zum Beispiel gruben in einem Eifel-Dorf die Bewohner vor Verzweiflung eigenhändig Leer-Rohre in den Boden, um endlich Glasfaserkabel für schnelles Internet zu bekommen.

Knifflig wird es auch, wenn der Bus nicht mehr fährt. Oder nur noch zweimal am Tag. Das stellt ältere Dorfbewohner ohne Auto vor Probleme: Wie komme ich zum Arzt oder zum Einkaufen?

Zahl der kleinen Läden hat sich seit 2006 fast halbiert

Denn seit 2006 hat sich die Zahl kleiner Lebensmittelgeschäfte fast halbiert. Viele Dorfzentren drohten auszusterben. Eine Gegenbewegung entstand vor zehn Jahren im Kreis Düren: Im neuen "DORV-Zentrum" (Dienstleistung und ortsnahe Rundum-Versorgung) können Bürger Lebensmittel kaufen, Bankgeschäfte erledigen, Pakete abgeben, Anzeigen aufgeben und im Internet surfen.

Auch interessant

Nachahmer gibt es mittlerweile viele – doch nicht immer mit Erfolg. Im Kevelaerer Ortsteil Kervenheim hielt ein genossenschaftlich geführter Dorfladen nur ein Jahr lang durch. Der Weg zum Erfolg ist steinig – und mit Vorschriften gepflastert: Wer gleichzeitig Fleisch verkaufen und Nummernschilder über die Theke reichen will, braucht wohlwollende Behörden, die ihren gesetzlichen Spielraum nutzen.

„Die Leute sind aus purer Not oft sehr kreativ“, sagt Reiner Klingholz vom Berlin Institut. „Häufig behindern starre Auflagen, Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften den Tatendrang vor Ort. Macher stoßen aber ganz oft auf das übliche ,Das geht nicht, das gab’s noch nie’“, kritisieren die Forscher des Instituts.

Eine Apotheke haben nur zehnProzent in ihrer Nähe

Beispiel Apothekenbus: Nur zehn Prozent der Landbewohner finden eine Apotheke in wohnortnaher Umgebung – die meisten müssten weit mehr als eine Viertelstunde zu Fuß laufen. Für sie hätte eine Sammelstelle für Rezepte plus Bringdienst Vorteile – doch die bürokratischen Hürden sind groß. Auch die Apotheker sind dagegen: Sie argumentieren mit der fehlenden Beratung.

Kein Wunder, dass trotz insgesamt stabiler Einwohnerzahlen in Kommunen am Niederrhein die Dörfer oft schrumpfen: In Wesel erwartet man im ländlichen Bislich den größten Bevölkerungsrückgang.

Auf der anderen Rheinseite haben sich jetzt die Kommunen Straelen, Geldern, Nettetal und Kevelaer zusammengetan – sie wollen an die Fördertöpfe des neuen EU-Programms "Leader", das für „Verbindung von Aktionen zur Entwicklung des ländlichen Raumes“ steht und dafür immerhin fast drei Millionen Euro in Aussicht stellt.

Niederrheinische Städtebewerben sich um EU-Mittel

Damit wollen sie die Stärken des ländlichen Raums herausstellen, beispielsweise Landwirtschaft, Gemüseanbau, Tourismus. Pfunde, mit denen man wuchern kann, so Hans-Josef Bruns vom Projektbüro in Kevelaer.

Denn die Problemzonen des ländlichen Raums kann er an fünf Fingern abzählen: „Dörfliches Leben, Mobilität, Einkaufen, fehlende Attraktivität der grünen Berufe, Infrastruktur“ – letztere umfasst eben heute neben Straßen und (Bürger)-Busverbindung auch einen schnellen Internetzugang.

Im Kreis Kleve, so Bruns, wird quer über alle Branchen geklagt, dass es schwer sei, studierte Leute zu bekommen: Ingenieure, Ärzte, Fachkräfte aller Art. „Es ist ein Segen, dass wir jetzt die Hochschule Rhein-Waal haben“, betont er.

Im Kampf gegen den Ärztemangel auf dem Land geht man im Kreis Kleve ebenfalls neue Wege: Landrat Wolfgang Spreen lockt im Kampf um die Dorf-Doktoren mittlerweile nicht nur mit einer persönlichen Führung durch die Idylle, sondern bietet gleich eine Woche Ferien am Niederrhein an: Für Arzt oder Ärztin samt Familie. In der Hoffnung, dass daraus die Landliebe wächst.