Berlin. Streit mit der Partnerin, Fremdgehen oder Sex-Flaute: eine neue Studie hat untersucht, ob wir Beziehungsprobleme mit KI therapieren können.
In ihrer Ehe kriselt es schon länger? Ihr Partner und sie kommen alleine nicht mehr weiter? Stellen Sie sich vor, Sie sitzen nach langer verzweifelter Suche endlich gemeinsam in einer Paartherapiesitzung. Sie erzählen von ihren Konflikten, von Streits, Fremdgehen, Einsamkeit, fehlendem Sex – Sie öffnen sich und geben ihre tiefsten Beziehungsprobleme preis. Würden Sie merken, ob die Antworten von einem Menschen oder einer künstlichen Intelligenz kommen?
Nicht unbedingt, so das Ergebnis einer neuen Studie, die im Wissenschaftsmagazin PLOS Mental Health veröffentlicht wurde. Hier zeigte sich: Die Antworten von ChatGPT in fiktiven Paartherapiesitzungen sind von denen echter Psychotherapeutinnen und -therapeuten kaum zu unterscheiden. Dies könnte vor allem Paaren zugutekommen, die derzeit auf der Suche nach professioneller Hilfe sind.
Erfahren Sie passend dazu, wann Paartherapie nötig ist? Eine Expertin erklärt, wann Paare Hilfe brauchen.
Künstliche Intelligenz könnte Ihnen wertvolle Unterstützung bieten – insbesondere wegen des hohen Bedarfs und teils unzumutbar langen Wartezeiten für freie Therapieplätze. Die Forschung des internationalen Teams unterstreicht, wie weit die Technologie gekommen ist und welches Potenzial sie in der Unterstützung und möglicherweise sogar in der Durchführung von Psychotherapie, insbesondere in der Paartherapie, haben könnte.
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ChatGPT überzeugt bei fiktiver Paartherapie
Für die Studie mussten sowohl 13 echte Therapeutinnen und Therapeuten als auch der Algorithmus ChatGPT Antworten auf verschiedene Paartherapie-Szenarien formulieren. Diese Antworten wurden anschließend von 830 Teilnehmenden bewertet. Das Ergebnis: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten kaum einen Unterschied in der Qualität der Antworten feststellen. Zudem schnitten die von ChatGPT verfassten Antworten in Bezug auf allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie besser ab.
Die allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie sollen Aufschluss über deren Effektivität geben. Zu ihnen zählen:
- Empathie
- Therapeutische Allianz
- Erwartungen
- kulturelle Kompetenz
- Therapieeffekte
Die Ergebnisse zeigen, dass die KI in der Lage war, empathisch auf die Paare und ihre Probleme zu reagieren und eine therapeutische Verbindung aufzubauen. Auch dabei konnten die Studienteilnehmer keinen Unterschied zu menschlichen Therapeuten feststellen.
Psychische Gesundheit durch KI verbessern
Mit Blick auf die neuen Erkenntnisse kann Prof. Dr. Johanna Löchner, Expertin für Klinische Psychologie von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, KI in der Therapie durchaus etwas abgewinnen. „Generell scheint das Potenzial von Chatbots zur Verbesserung der mentalen Gesundheit vielversprechend“, sagte die Expertin gegenüber dem Science Media Center. „Das Potenzial, welches digitale Technologien seit langem bieten, wird in der regelversorgenden Praxis noch nicht ausgeschöpft.“
Für Personen, die Hemmungen haben, sich in Psychotherapie zu begeben, könne es entlastend sein, mit einer nicht-bewertenden Maschine anonym in Kontakt zu treten, betont Löchner. „Allein seine Gedanken zu sortieren und negative Gefühle zu verbalisieren, kann positive Effekte haben.“ Die Studie zeigte zudem, dass die Antworten der KI tendenziell positiver waren und eine höhere emotionale Wärme aufwiesen. Dies könnte darauf hinweisen, dass KI-Systeme in der Lage sind, eine Atmosphäre zu schaffen, die förderlich für die Offenheit der Klienten ist.
Allerdings gibt Löcher zu bedenken, dass die Studie keine echten Therapieverläufe abbildet und somit keine direkten Rückschlüsse auf die Wirksamkeit in realen therapeutischen Settings zulässt. „Bei allen Vorteilen, die die Anonymität bietet, ist die Person im Gespräch mit einem Chatbot im virtuellen Raum“, so Löchner, „und es stellt sich die Frage, ob die Lerneffekte auf die mitunter enttäuschenden Beziehungen mit anderen Personen gut übertragen und generalisiert werden können.“
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Beziehung in der Krise: Ersetzt KI eine Paartherapie?
Dr. Lasse Sander vom Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ist hier skeptisch. Die Einschätzungen zu den Wirksamkeitsfaktoren sagen aus seiner Sicht „überhaupt nichts darüber aus, ob diese Form der Interaktion im Paartherapie-Setting in irgendeiner Form zu relevanten Outcomes für die Paare führt.“ Denn: Der KI fehlt die menschliche Intuition und das tiefergehende Verständnis für komplexe menschliche Emotionen und Dynamiken, die in einer Paarbeziehung eine Rolle spielen.
Trotz der grundsätzlich vielversprechenden Ergebnisse warnen die Experten daher vor einer übereilten Integration von KI in die therapeutische Praxis. Hier gebe ethische, praktische und regulatorische Fragen, die geklärt werden müssen. Gleichzeitig betont Psychologe Prof. Dr. Markus Langer von Albert-Ludwigs-Universität Freiburg: „KI-basierte Systeme wie ChatGPT haben das Potenzial, Psychotherapie zu verbessern.“ Langer war genau wie Löchner und Sander selbst nicht an der Untersuchung beteiligt.
Langer sieht das Potenzial von KI aktuell jedoch eher in der Unterstützung von Therapeuten im Alltag für beispielsweise administrative Tätigkeiten. „Auch kann ich mir KI als verlängerten Arm von TherapeutInnen gut vorstellen“, so der Psychologe, „ein Tool, dass Wartezeiten vor und während der Therapie überbrückt, als Ansprechpartner dient, Informationen anbietet – wie Aufklärung zu psychotherapeutischen Themen – und damit Therapie vor- und nachbereitet.“