Berlin. Mit Alkohol und Rauchen komplett aufzuhören, kann hart sein. Unsere Expertin erklärt, wie Ernährung, Entspannung und ein Zetteltrick helfen.

Vielen Menschen schaffen es relativ leicht, ein paar Tage auf Alkohol oder Nikotin zu verzichten – selbst wenn sie sonst täglich und gar nicht wenig trinken oder rauchen. Stolz und Freude über den Erfolg tragen über die erste Zeit. Bis schließlich der Alltag zuschlägt – und die Betroffenen wieder zu ihrem Suchtmittel zugreifen. Ein paar Tipps und Tricks helfen, dem Suchtgedächtnis ein Schnippchen zu schlagen.

Die besten Freunde beim Suchtausstieg heißen Zettel und Stift. Als Erstes setzt man sich ruhig hin und überlegt: „In welchen Situationen trinke ich, rauche ich, kiffe ich? Wie spät ist es da? An welchen Orten passiert das? Was ist vorher geschehen? Man identifiziert also die eigenen Trigger.

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Alkohol und Rauchen abgewöhnen: Vermeiden Sie diese Anlässe

Das können Situationen, Orte oder sogar Menschen sein, mit denen man regelmäßig Alkohol trinkt oder kifft. Dann heißt es: Einen Schlachtplan machen, wie man diese Trigger in der ersten Zeit am besten ganz vermeidet. Vermeiden ist anfangs immer besser als auszuprobieren, ob man durchhält. Solche Versuche sind etwas für später. Glauben Sie mir: Der nächste Kegel- oder Grillabend oder die Skatrunde kann ohne Sie stattfinden, ohne dass die Welt auseinander fällt. Mit den Arbeitskollegen können Sie auch in der Kaffeeküche ein Schwätzchen halten, Sie müssen nicht mit denen vor die Tür in die Raucherpause.

Zur Triggervermeidung gehört übrigens auch, gerade in der ersten Abstinenz-Zeit auf gutes regelmäßiges Essen zu achten. Was viele nicht wissen: Hunger und ein niedriger Blutzuckerspiegel bedeutet Stress für den Körper und den möchte dann man mit einer Zigarette oder einem „Gläschen“ Alkohol beruhigen.

Dabei täte es auch ein Quark mit Früchten, ein Käsebrot oder Nüsse. Gerade am Nachmittag, im Leistungsloch zwischen 15 und 17 Uhr, ist das ganz besonders wichtig. Den Zusammenhang von Nährstoffmangel und Sucht habe ich bereits näher erklärt.

Erste Hilfe, wenn sich das Suchtgedächtnis meldet

Jetzt ist es noch mal Zeit für Zettel und Stift. Nun schreibt man sich auf, warum man aufhören möchte. Da hat jeder seine eigenen Gründe. Das muss kein Schönschreib-Schulaufsatz werden, im Gegenteil. Finden Sie Worte, die auch Ihre Gefühle berühren, das dürfen auch Kraftausdrücke sein. Also nicht „ich möchte nicht mehr nach Zigarette riechen“, sondern „ich will nicht mehr nach Qualm stinken“. Malen Sie sich aus, wie Ihr Leben ohne das Suchtmittel sein wird. Diesen Zettel (oder diese Handynotiz) tragen Sie immer bei sich. Sie brauchen ihn, wenn das Suchtgedächtnis sich meldet.

Und noch einen dritten Zettel schreiben Sie. Auf dem steht, was Ihnen das tägliche Trinken, Rauchen, Kiffen alles an negativen Folgen eingebrockt hat. Vom Raucherhusten und Kater am Morgen, peinliche Situationen im Suff, vielleicht sogar Schlimmeres. Alles muss auf diesen Zettel. Gerne nehmen Sie auch noch ein Foto dazu, was Sie so zeigt, wie Sie nicht mehr sein mögen. Beispielsweise sturzbetrunken. Auch diesen Zettel haben Sie immer bei sich.

Beide Zettel ziehen Sie raus, wenn sich der Wunsch rührt „ach, jetzt was trinken oder rauchen“. Dann lesen Sie sich erst den Negativ-, dann den Positivzettel selbst vor. Und zwar am besten laut. Sie hören sich dabei selbst zu. Nicht überfliegen, langsam und gründlich lesen. Nur so klappt es. Als Netz und doppelten Boden können Sie auch noch einen Schritt weitergehen: Weihen Sie eine Vertrauensperson ein. Geben Sie ihr auch die beiden Zettel. Verabreden Sie, dass Sie diese Person anrufen können, wenn es brennt. Diese soll mit Ihnen dann diese Zettel durchgehen.

Auf Alkohol und Rauchen verzichten: wichtigsten Störfaktor umgehen

Triggervermeidung ist das A und O für eine erfolgreiche Abstinenz. Allerdings gibt es einen Trigger, dem kann man in unserem hektischen Alltag kaum entfliehen: Stress. Hier heißt die klügste Strategie, stressige Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen, denn viele davon machen wir uns auch selbst.

Wine tasting in wine cellar.
Auf Alkohol verzichten wird schwer, wenn man Alltagsroutinen als Auslöser nicht durchbricht. © iStock | gilaxia

Fragen Sie sich: „Muss das wirklich heute noch erledigt werden oder hat das auch Zeit bis morgen? Muss der Küchenfußboden vor Weihnachten wirklich noch auf Knien geschrubbt werden, damit sich jeder wohlfühlt?“ Glauben Sie mir: Das macht echt keinen Unterschied, sieht eh keiner.

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Das Dumme: Wir haben oft einfach verlernt, überhaupt zu spüren, wenn uns etwas stresst. Das merken wir erst, wenn es echt schon arg wird – und dann ist das Kind schon fast im Brunnen. Dann meldet sich das Suchtgedächtnis und schreit nach seiner Droge.

Entspannung: Achtsamkeit kann beim Suchtausstieg helfen

Das muss man üben. Das Ganze läuft unter einem Begriff, der so totgeritten ist, dass ihn niemand mehr hören mag: Achtsamkeit. Dabei bedeutet Achtsamkeit gar nicht viel mehr, als auch mal in sich selbst hineinzuhören. Machen Sie deshalb dreimal am Tag eine Drei-Minuten-Inventur. Dafür stellen Sie sich einen Timer, sonst vergessen Sie es im Alltag ja doch bloß wieder.

Bei dieser Inventur fragen Sie sich ganz banale Dinge:

  • Wie fühle ich mich?
  • Geht es mir gut?
  • Nervt mich was?
  • Habe ich Hunger?
  • Tut mir was weh?

Dann überlegen Sie, wie Sie mit den Minuspunkten jetzt am besten umgehen und was Sie vielleicht dagegen tun können. Stört Sie der Gedanke, dass heute garantiert wieder die Kollegin noch einen Extrabatzen Arbeit auf dem Tisch liegen lässt, nur damit sie pünktlich zum Tennis kommt? Dann proben Sie den Aufstand und lehnen Sie das ab. Denken Sie daran: „Nein ist ein vollständiger Satz.“ Und Sie dürfen ihn sagen. Sich rechtzeitig abzugrenzen, und zwar bevor daraus Stress entsteht, ist ein zentraler Punkt. Das klappt oft nicht auf Anhieb, ist aber wichtig.

Dann gibt es natürlich immer noch Stress-Situationen, die man nicht umgehen kann. Dafür gibt Entspannungsübungen, die auch ad hoc und mal nebenbei sehr viel bringen. Niemand will, dass Sie vor dem Chef mit Yoga anfangen. Ein paar simple Atemübungen reichen, die nicht mal jemand merkt. Entspannung kann man lernen. Es gibt hierzu beispielsweise den wirklich sehr empfehlenswerten, anonymen Onlinekurs. „Entspannt aus der Sucht“ von Sandra Fricke. Sie ist ebenfalls trockene Alkoholikerin und weiß, wovon sie spricht.

Sie haben Fragen zum Thema Sucht oder sind selbst betroffen? Schreiben Sie uns an sucht(@)funkemedien.de.
Die Redaktion behält sich vor, ausgewählte Leserfragen anonym zu veröffentlichen.

Zur Person

  • Gaby Guzek ist seit mehr als 30 Jahren Fachjournalistin für Wissenschaft und Medizin.
  • Sie arbeitete nach ihrem Studium unter anderem bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der Fachzeitschrift „Die Neue Ärztliche“. Jahrelang selbst von schwerer Alkoholsucht betroffen und mit den Therapiemöglichkeiten unzufrieden, begann sie, sich intensiv mit dem Phänomen Sucht auseinanderzusetzen. 2020 veröffentlichte sie im Eigenverlag ihr Buch „Alkohol adé“* und steht heute als Coach unter gaby-guzek.com und in ihrem Forum alkohol-ade.com Alkoholsüchtigen zur Seite.
  • Ihr aktuelles Buch „Die Suchtlüge. Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen“ ist bei Heyne erschienen.

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Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen. HEYNE Verlag, Taschenbuch mit  224 Seiten, 13 Euro

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