Köln. Obwohl beim Bouldern ohne Seil geklettert wird, ist Muskelkraft nicht alles. Viel wichtiger sind eine gute Balance und originelle Bewegungsabläufe.

Vier Meter können sehr hoch sein, vier Meter können sehr einschüchternd wirken. Vier Meter können aber auch einen Triumph bedeuten. Wenn man sie und die eigene Angst überwunden hat.

Was bedeutet „Bouldern“?

„Klettern ohne Sicherung in Absprunghöhe“ – so lautet die gängige Definition. An echten „bouldern“, also Felsblöcken, wird in den Boulderhallen natürlich nicht geklettert. Sondern an Wandkonstruktionen, die mal senkrecht in die Höhe gehen, mal in sich oder als Ganzes abgeschrägt sind oder sogar in einen 90 Grad Winkel münden, dabei gespickt sind mit zahllosen Griffen in verschiedenen Farben, Größen und Formen.

Das wirkt auf Anfänger unübersichtlich – ist aber recht simpel: Eine Route besteht aus gleichfarbigen Griffen und Tritten, wobei Anfang (Start) und Ende (Top) besonders gekennzeichnet sind. Bei leichten Routen liegen die Griffe nah beieinander, und haben eine Form, die sich gut zum Festhalten eignet. Mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad werden sie unhandlicher oder kleiner und liegen weiter auseinander.

Ist das nicht gefährlich?

Die Wände in Boulderhallen sind in Deutschland genormt, „sie dürfen nicht höher als 4,5 Meter sein“, erklärt Gregor Jaeger, diplomierter Sportwissenschaftler und Inhaber der „Kletterfabrik“ in Köln-Ehrenfeld. Wobei die Fallhöhe in der Regel viel geringer ist – denn meist befinden sich nur die Hände am obersten Punkt der Route. Um die Verletzungsgefahr zu minimieren, ist der Fußboden mit dicken Matten ausgelegt, die Stürze und Sprünge abfedern.

Für wen eignet sich der Sport?

Das Schöne am Bouldern: Wer den Kletterern eine Weile zuschaut, stellt fest, dass es nicht unbedingt muskelbepackte großgewachsene Männer sind, die die schwersten Routen bezwingen. Manchmal sind Körperlänge und Kraft zwar von Vorteil, manchmal aber auch nicht. Viele „Boulder-Probleme“ erfordern vielmehr eine gute Balance und einen originellen Bewegungsablauf. „Deshalb gibt es kaum Einschränkungen, was Alter, Geschlecht, Größe oder Gewicht angeht“, sagt Jaeger. Denn es geht vor allem darum, kraftsparend zu klettern, sich also öfter mal aus den Beinen hochzudrücken als mit den Armen hochzuziehen.

Bouldern fördere „hervorragend die Koordination und Beweglichkeit“, heißt es auch beim Deutschen Alpenverein. In kaum einer anderen Sportart werde der Bezug zum eigenen Körper so deutlich. Gerade für Kinder sei der Sport daher perfekt, so Jaeger. „Er kommt ihrem Spiel- und Klettertrieb entgegen – außerdem haben sie wenig bis gar keine Angst“. Etwa ab vier Jahren könnten die Kleinen unter Aufsicht in der Halle klettern.

Wie starten Anfänger am besten?

Im Gegensatz zum Sportkletterer muss der Boulderer keine Sicherungstechnik beherrschen. Auch das benötigte Equipment fällt sparsamer aus. Für den Anfang genügt bequeme Kleidung, wichtig ist lediglich „eine Hose, die Kniebewegungen zulässt“. Kletterschuhe können in der Regel ausgeliehen werden, sie sollten „fest und eng“ sitzen, um einen sicheren Tritt zu gewährleisten. Gregor Jaeger rät aber davon ab, viel zu kleine Schuhe zu tragen – auch wenn das unter Kletterern noch immer propagiert werde. „Das war früher mal sinnvoll, heute dehnt sich das Material aber nicht mehr so stark.“

Auch draußen kann geklettert werden

Beim Bouldern im Freien wird der Boden mit „Crashpads“, speziellen Matten, gepolstert. Vorher sollte geklärt sein: Darf man hier klettern? Droht Gefahr von Wurzeln oder Steinen? Wie steht es mit dem Umweltschutz?Boulderspots werden oft als Geheimtipps gehandelt, eine Ausnahme bildet das „Mekka“ der Szene: die Sandsteinfelsen im Wald von Fontainebleau.

Schließlich noch etwas Chalk (Magnesiumkarbonat) „gegen den Fingerschweiß“ – damit aus der Kletter- keine Rutschpartie wird.

In vielen Hallen bekommen Neulinge eine Einweisung, auch Kurse werden angeboten. „Normalerweise hat man erstmal Respekt vor der Höhe“, sagt Jaeger. Sein Rat: „Zuerst nur drei Züge machen und wieder abspringen, dann vier Züge und wieder abspringen. Man muss spüren: ‘Ich habe die Kontrolle’“. Ohnehin sei es unvernünftig, sofort an die Leistungsgrenze zu gehen, weil die Muskeln gerade am Anfang schnell ermüden.

Am besten bouldert es sich übrigens in der Gruppe: Man kann sich gegenseitig ermutigen und aufeinander achten. Denn jeder sollte einen Partner am Boden haben, der „spottet“, also einen unkontrollierten Sturz abmildert und dafür sorgt, dass der Fallende auf den Füßen landen kann. Dabei geht es nicht darum, den anderen aufzufangen, sondern seinen Fall zu steuern, um ein Aufschlagen von Kopf oder Rücken zu vermeiden.

Welchen Effekt hat das Training?

Beim Bouldern lassen sich recht schnell persönliche Leistungsgrenzen nach oben verschieben. Wer sich spürbar verbessern will, sollte etwa zweimal pro Woche klettern. Noch mehr Training bringe einen „ganz klaren muskulären Kraftzuwachs“, so Jaeger. Bouldern stärkt vor allem die Rumpfmuskulatur und wirkt sich somit positiv auf die Haltung aus, zudem werden Schultern und Arme gekräftigt. Die Bänder und Sehnen in den Händen passen sich der veränderten Belastung ebenfalls an, so dass die Finger nach einiger Zeit im wahrsten Sinne des Wortes fester zupacken können. So wächst auch das Vertrauen in die eigenen körperlichen Fähigkeiten – und plötzlich sind vier Meter gar nicht mehr so hoch.