Kringelsdorf. Wildcampen ist in Deutschlands verboten. Zwei Oberlausitzer rufen deshalb die Plattform «1Nite Tent» ins Leben. Macht das Modell bald Schule?

Die Idylle beginnt gleich vor der Haustür. Außer ein bisschen Vogelgezwitscher ist Kringelsdorf an diesem lauschigen Sommerabend wenig zu hören. Anne-Sophie Hußler und Patrick Pirl genießen diese friedvolle Stimmung in der Oberlausitz. «Irgendwann war klar, dass das Konzept Großstadt für uns nicht mehr funktioniert», sagt der 32-Jährige. Gemeinsam entschieden sie sich 2017 für die Rückkehr in ihre alte Heimat, um hier ihre Zelte aufzuschlagen – im wahrsten Sinne des Wortes.

Denn hier hatte das Paar die Idee, eine Plattform für «Couchsurfer mit Zelt» aufzubauen. Seit Juli 2018 können Camping-Fans bei «1Nite Tent» online nach einem Plätzchen für ihr Zelt Ausschau halten. Das Prinzip: Die Besitzer eines schönen Fleckchens Erde tragen ihren Standort in die digitale Landkarte ein. Outdoorfreunde, Reisende und Wanderer rufen den Platz online ab und zelten dort eine Nacht lang – ohne Gegenleistung.

Sieg des Wettbewerbs "So geht sächsisch"

Für ihr Projekt haben die beiden Kringelsdorfer jetzt beim Tourismus-Ideenwettbewerb «So geht sächsisch.» einen ersten Preis gewonnen. In ihren Augen kann mit «1Nite Tent» Sachsen die Modellregion für innovativen und nachhaltigen Camping-Urlaub werden. 

Die Idee kam dem Paar bei einem Urlaub in Schweden. «Wir sind mit dem Zelt durchs Land und haben an den schönsten Plätzen in der Natur geschlafen», sagt Patrick Pirl, Betriebswirt und Kulturwissenschaftler. In Skandinavien dürfe jeder überall sein Zelt aufzuschlagen. «Für eine Nacht».

Bis zu 500 Euro Strafe fürs Wildcampen

Die Freiheit, einfach dort zu bleiben, wo sie möchten, gefällt vielen Globetrottern. Doch in Deutschland gilt Wildcampen als Ordnungswidrigkeit und kann je nach Bundesland mit bis zu 500 Euro geahndet werden. «Da haben wir uns gedacht, das Teilen der Couch funktioniert doch auch», sagt Grafikdesignerin Anne-Sophie Hußler. Sie denkt ans «Couchsurfing», bei dem Privatleute bei sich zu Hause eine Schlafgelegenheit für eine Nacht bieten. «Da muss es doch ein geringeres Problem sein, für eine Nacht auf einer privaten Wiese zu schlafen», ergänzt sie.

Der erste Eintrag auf der Plattform kommt vom Steudtner-Hof bei Zittau. «Wir fanden das Konzept spannend, Radreisende abseits von großen Campingplätze eine alternative Übernachtungsmöglichkeit zu bieten», sagt Lena Steudtner. Die ersten Gäste waren längst da. Man lerne so immer wieder neue, spannende und offene Leute kennen. «Zudem haben wir einen großen Landwirtschaftsbetrieb und unser drittes Kind ist im Anmarsch. Da ist es auch schön, wenn Besuch zu uns kommt», ergänzt die Gastgeberin.

Eine digitale Landkarte mit rund 80 Plätzen

Wie die Steudtners sind auch andere von der Idee begeistert, ihre Wiese zu teilen. Die Gemeinschaft der Unterstützer wächst. Nach einem Jahr online sind auf der digitalen Landkarte rund 80 Übernachtungsplätze verzeichnet - Tendenz steigend.

Günter Hollmann vom Landesverband Sachsen des Deutschen Camping Clubs (DCC) kann sich gut vorstellen, dass es gerade unter jungen Leuten großen Bedarf gibt - weil sie mit dem Zelt und digital unterwegs sind. «Außerdem gibt es viele Gartenbesitzer mit herrlichen Grundstücken. Das funktioniert bestimmt.»

Selbstversuch von "1Nite Tent"

Viele Unterstützer der Idee finden sich bisher in der Oberlausitz, es gibt aber auch Wiesen in Weißrussland oder im französischen Marseille. Doch Anne-Sophie Hußler und Patrick Pirl haben die Idee nicht nur in die Welt gesetzt, sie haben das Konzept «1Nite Tent» auch selbst ausprobiert. Mit dem Rucksack sind sie im vergangenen Jahr in Kringelsdorf gestartet.

Schon drei Stunden später und drei Dörfer weiter kamen sie in Neu Liebe bei einem Wiesenteiler an. «Wir wurden gleich an den Abendbrottisch eingeladen und haben neue, nette Leute kennengelernt», sagt die 30-Jährige. Das Konzept stehe auch für Gastfreundschaft und Weltoffenheit. Im Juli soll die nächste Tour starten. «Wir wollen mit öffentlichen Verkehrsmitteln quer durch Deutschland, von Süd nach Nord und von Ost nach West und nutzen dabei selbstverständlich unser Netzwerk», sagt Pirl. Dazu gibt einen Blog. Ein Reisebericht in Form eines Buches soll zusätzlich zu diesem Abenteuer entstehen.

Reisen unabhängig vom Geldbeutel

Zudem soll ihre Plattformidee weiterwachsen. Träger öffentlicher Plätze könnten sich auch beteiligen, so wie jetzt schon die Initiative «Wildes Schleswig-Holstein». Über «1Nite Tent» bietet sie kostenlose Übernachtungsplätze im Grünen für eine Nacht an.

Die beiden Ideengeber wünschen sich noch mehr Anhänger aus Thüringen, Baden-Württemberg und Niedersachsen – und dem Ausland. Für die Erfinder des Zeltsurfens hat Gastfreundschaft auf der Wiese noch weitere Vorteile. Es macht das Reisen unabhängiger vom Geldbeutels – und ländliche Räume jenseits großer Metropolen als Reiseziel attraktiv - von Kringelsdorf in die Welt. (dpa)