Chur. Die Schweiz ist bekannt für ihre zahlreichen Eisenbahnstrecken durchs Hochgebirge. Auf einer von ihnen verkehrt ganzjährig der Bernina-Express zwischen Chur in Graubünden und der Stadt Tirano in Italien. Er bietet Bahnreisenden zwischen den Tunneln malerische Ausblicke auf die Landschaft der Alpen.
Die 196 Brücken und Viadukte, 55 Tunnels und Galerien auf der vierstündigen Zugfahrt von Chur über die Albula-Strecke, St. Moritz und den Bernina-Pass ins italienische Tirano kennt Lokführer Dani Gujer aus dem Effeff. Der Bernina-Express durchquert dabei alle drei Sprachregionen Graubündens. In diesen Märztagen tragen die Menschen in der Kantonhauptstadt Chur (593 m) bei Föhn und zwölf Grad in der Sonne ihre Jacken ebenso lässig aufgeknöpft, wie die Italiener im Zielort Tirano (429 m). Unterwegs wird Gujer seinen Zug mit 14 Waggons aber mitten durch den Winter des Oberengadins steuern. Bis zur Passhöhe des Bernina-Passes auf 2253 Metern gilt es nicht weniger als 1660 Höhenmeter und Steigungen von bis zu 70 Promille zu bewältigen.
Nach der Abfahrt um 8.58 Uhr zieht der rote Lindwurm des Bernina-Express durch das Hinterland der ältesten Stadt der Schweiz. Es gilt als burgenreichste Gegend Europas. Immer wieder taucht der Zug in einen der unbeleuchteten Tunnel. Nur das Scheinwerferlicht der Lok erhellt die Tunnelröhren. Nackte und schroffe Felswände zeugen von den Sprengarbeiten beim Bau der Bahnstrecke. „Kaum vorstellbar, wie solch eine technische Meisterleistung Ende des 19. Jahrhunderts möglich war“, würdigt Dani Gujer die Pioniere des Eisenbahnbaus in Graubünden. Heute verschlingt die Unterhaltung Millionen Schweizer Franken pro Jahr.
Kritische Strecke vor dem Tunnel
Unmittelbar nach dem Tunnel überquert der Zug die Schinschlucht auf dem rund 90 Meter hohen Solisviadukt. Kurze Zeit steht das weltbekannte Landwasserviadukt im wildromantischen Albulatal auf dem Sightseeing-Programm. Die 65 Meter hohe majestätische Bogenbrücke grenzt an einer Nordseite direkt an eine senkrechte Felswand, die vom nächsten Tunnel durchdrungen wird.
Kurz vor Bergün beginnt es dann tatsächlich bei Temperaturen um den Gefrierpunkt zu schneien. Auf der anschließenden Steigungsstrecke hinauf zum Eingangsportal des Albula-Tunnels in Preda (1789 m) wird es kritisch.
Viel Sand gegen den "Makro Schlupf"
Bei starkem Schneefall drehen die Antriebsachsen der Lok auf den Gleisen durch und beginnen, schrill zu quietschen. Gujer nennt das den „Makro Schlupf“. Um den zu verhindern lässt er per Knopfdruck immer wieder Sand aus Kammern oberhalb des Fahrgestells auf die Gleise rieseln. Dieser soll die Reibung auf den Schienen verbessern. Gujer blickt gen Himmel: „Es kommt schon mal vor, dass ich nach einem roten Signal stecken bleibe.“
Reise-Infos
Anreise: Mit der Bahn (01806/99 66 33, www.bahn.de) ab dem Ruhrgebiet nach Chur in der Schweiz. Oder mit Swiss (www.swiss.com) oder mit Air Berlin (030/34 34 34 34, www.airberlin.com) ab Düsseldorf nach Zürich. Weiter mit dem Zug.Besonderheiten: Ab Mai bietet das Jubiläumsprogramm der Rhätischen Bahn Sonderfahrten. www.rhb.ch/125-jahreVeranstalter: Hotels und weitere Unterkünfte in Graubünden sind über das Tourismusportal des Kantons buchbar.Kontakt: Graubünden Tourismus, 0041/8 12 54 24 24, www.graubünden.ch
Doch er schafft es, den Bernina-Express fahrplanmäßig nach Preda zu steuern. Gleich am Bahnhof verschwindet der Zug im fünf Kilometer langen, schnurgerade verlaufenden Albulatunnel. Am Scheitelpunkt sieht man vorn bereits wieder das Licht am Ausgangsportal, während im Rückspiegel der Lok noch die Tunneleinfahrt zu sehen ist. Auf der anderen Seite, im Oberengadin, herrscht herrlichster Sonnenschein. Vor der Kulisse des Piz Bernina, dem mit 4048 Metern höchsten Bündner Berg, beginnen ab St. Moritz 61 Kilometer Abenteuer pur. Auf der Reise über den Bernina-Pass (2328 Meter) bieten sich für die Fahrgäste in den Panorama-Wagen fantastische Ausblicke. In der Gründerzeit haben die Eisenbahn-Pioniere die höchstgelegene, ganzjährig betriebene Bahnverbindung über die Alpen geschaffen.