Paris.. Der Pariser Professor Etienne-Emile Baulieu hofft, endlich eine Möglichkeit gefunden zu haben, die gefürchtete Krankheit Alzheimer zu heilen. Die Anfänge sind gemacht, doch bedarf es weiterer Forschung um ein wirksames Medikament gegen den - noch unaufhaltsamen - Gedächtnisverlust zu entwickeln.
Die Fünfundachtzig sieht man Professor Etienne-Emile Baulieu wirklich nicht an. Während andere in seinem Alter schon seit Jahrzehnten den Ruhestand genießen, führt er, der 85-Jährige, den vielleicht letzten großen Kampf seines langen Wissenschaftlerlebens: den Kampf gegen die Menschheitsgeißel Alzheimer, gegen die es immer noch keine Heilung gibt. Während Bataillone von Forschern auf der ganzen Welt noch vage im Nebel herumstochern, glaubt der Pariser Professor, einer der renommiertesten Mediziner Frankreichs, fest an den Durchbruch.
Baulieu hat sein Büro in der zweiten Etage eines schlichten 60er-Jahre-Baus auf dem weitläufigen Gelände der Uniklinik Bicêtre bei Paris: ein kleiner Raum, überfüllt mit Aktenordnern und Auszeichnungen, Souvenirs und Fotos – Dokumente einer Forscherkarriere, die ihn in der ganzen Welt berühmt gemacht hat. Seine berühmteste Erfindung ist die erfolgreiche und zugleich umstrittene Abtreibungspille „RU 486“, die „Pille danach“.
Baulieus „Waffe“
Doch RU 486 war gestern, jetzt geht’s gegen Alzheimer. Der Professor, ein flinker Mann mit wachen Augen und kurzen, kaum grauen Haaren, eine Koryphäe ohne Herrgott-in-Weiß-Allüren, versprüht leise Zuversicht. „Ich habe einen Weg gefunden“, sagt er. Und fügt ungeduldig hinzu: „Nun müssen wir nur noch bestätigen, dass es der richtige ist.“
Für Laien führt sein Kampf gegen den heimtückischen Gedächtnisverlust durch ein schier undurchschaubares Dickicht aus Neuronen und Hormonen, Molekülen und Proteinen, Genen und Zellskeletten. Dreh- und Angelpunkt seines Therapiekonzeptes ist das so genannte „FKBP52“, ein im Gehirn natürlich vorhandenes Protein, das er vor 20 Jahren entdeckt hat. Der Biomediziner, mit Forscherstolz im Unterton, nennt das Protein nun „meine Waffe“. Und sein Ziel? Das sind die so genannten „Tau-Proteine“, deren Ablagerungen im Gehirn ein charakteristisches Merkmal für die Krankheit Alzheimer sind.
Die Vorteile von Zebrafischen
Untersuchungen im Reagenzglas mit den Zellen verstorbener Alzheimerpatienten erbrachten vor zwei Jahren eine erstaunliche Wechselwirkung zwischen „Waffe“ und „Ziel“ zu Tage. Baulieus Forschungsgruppe fand nämlich heraus, dass die FKBP52-Werte der Untersuchten um 75 Prozent abgesackt waren. Die Hypothese des Biomediziners: Gelänge es, dieses Protein etwa durch ein Medikament zu stimulieren und zu regulieren, wäre automatisch die heimtückische Wirkung der Tau-Proteine gestoppt. Baulieu, der Optimist, sieht die Heilung für Alzheimer kommen und sagt: „Alzheimer könnte nicht nur behandelt werden, man könnte sogar vorbeugen.“
Doch wie findet sich dieses Wunder-Medikament? Und wann? Zwei Etagen unter seinem Büro, im Versuchslabor des „Nationalen Gesundheitsinstituts“, schwimmen Zebrafische im Aquarium. Kollegen seiner Forschungsgruppe in Lille führen die Tierversuche an Mäusen durch. Doch das dauert dem Pariser Professor zu lange. „Bei Zebrafischen habe ich schon nach wenigen Tagen Resultate, bei Mäusen erst in Monaten.“
Unermüdlicher Kampf gegen die Demenz
Aufwühlende Alzheimer-Fälle wie die von Schalke-Macho Rudi Assauer, der Wut, Trauer und Ohnmacht verspürt („Da ist was drin, was nicht raus kommt“), kennt Etienne-Emile Baulieu auch aus Frankreich zuhauf: „Das Schlimme ist, dass die meisten Patienten körperlich oft völlig fit sind.“ Jedes Jahr erkranken über 200.000 Franzosen neu an Altersdemenz und die Therapiekosten explodieren.
Am Tag zuvor haben Frankreichs führende Alzheimer-Forscher, darunter auch Baulieu, dem Präsidenten im Elysée-Palast den Ernst der Lage geschildert. Nicolas Sarkozy hat vor vier Jahren einen „Nationalen Alzheimer-Plan“ aufgelegt, trotzdem sind die Forschungsmittel knapp. Baulieu, der Unermüdliche, sagt: „Vielleicht finde ich das Medikament schon in einem Monat, vielleicht in einem Jahr oder erst in fünf – aber ich lasse nicht nach.“