Reykjavik. Obwohl Island weit im Norden liegt, lässt es sich dort im Winter gut aushalten. Die entspannte Hauptstadt und die gewaltige Natur bieten viele Reize.

Bardarbunga hieß der Vulkan, der sich vergangenen August anschickte, großen Ärger im internationalen Flugverkehr zu machen. Vier Jahre zuvor war dieses Kunststück seinem noch unaussprechlicheren Kollegen Eyjafjallajökull geglückt.

So spektakulär wie sich Islands Vulkane regelmäßig in die Schlagzeilen speien, verwundert es niemanden, dass das kleine Island die vulkanreichste Insel der Welt ist. Von den 130 Vulkanen sind 31 aktiv. Auf kaum einer anderen Insel dieser Welt sind Naturgewalten so hautnah spür- und erlebbar, was Island eine gewisse Bedrohlichkeit, aber noch mehr Faszination verleiht.

Der Zauber kommt im Winter besonders imposant zum Ausdruck. Das klingt zunächst nicht besonders einladend. Doch präsentiert sich die Insel zur kalten Jahreszeit keineswegs so abweisend wie es die Lage hoch oben im Nordmeer vermuten lässt. Golf- und Polarstrom bescheren den Isländern einen Winter, der durchaus mit dem Winter in den Alpen vergleichbar ist.

Weltmeister der Geothermie

Die sympathische Hauptstadt Reykjavik ist mit knapp 120.000 Einwohnern eher Kleinstadt als Metropole. Auf den Shoppingmeilen im Zentrum herrscht reger Betrieb. In Kneipen, Bistros, Cafés und Bars vertreiben sich die Einwohner mit einem Buch in der Hand (die Isländer sind Weltmeister im Lesen) oder beim Plausch mit Freunden die dämmrigen Winternachmittage.

Der Besucher staunt über coole Designs und pfiffige gastronomische Konzepte. In den Bars der angesagten Designhotels vermischen sich Gäste aus aller Welt mit den entspannten Einheimischen. Auf dem Stadtteich vor dem Rathaus ziehen Schlittschuhläufer ihre Kreise.

Das mit Abstand beliebteste Freizeitvergnügen der Isländer aber ist das Bad in den heißen Quellen, von denen es unzählige auf der Insel gibt – selbst mitten in der Stadt. Für Besucher gehört die Blaue Lagune zum Pflichtprogramm. Der See entstand als „Abfallprodukt“ des nahe gelegenen Geothermalkraftwerks Svartsengi, das die Energie eines vulkanischen Systems nutzt. Dort wird ein Gemisch aus Meer- und Süßwasser aus 2000 Metern Tiefe an die Erdoberfläche gepumpt.

Das Wasser im Thermalbad ist 37 bis 42 Grad warm und enthält Mineralsalze, Kieselerde und Algen – eine Kombination, die Schönheit, Gesundheit und ewige Jugend verspricht. Island ist auch Welt-Spitzenreiter bei der Nutzung von Geothermie: Der größte Teil der Primärenergie kommt aus Geothermie. Sie beheizt unter anderem die Gehsteige in Reykjavik und beleuchtet die 40 Kilometer lange Straße zum Flughafen.

Außerhalb der Stadt wird es einsam und wild

An einem sonnigen Wintermorgen bei leichten Plusgraden brechen wir zur Inseltour auf. Gleich hinter der Stadtgrenze wird es einsam und wild. Mit jedem Kilometer verwischen die Spuren der Zivilisation. Nur noch gelegentlich erspähen wir in der Ferne ein einsames Gehöft oder eine der vielen alleinstehenden Kirchen. Überall begegnen wir Herden von Islandpferden.

70.000 der robusten Kleinpferde leben auf der Insel. Um ihre Rasse rein zu halten, herrscht striktes Einreiseverbot für andere Rassen. Neben den bekannten Gangarten Schritt, Trab und Galopp beherrschen sie auch noch den Tölt, einige auch den rasanten Rennpass.

Wir sind inmitten des Thingvellir Nationalparks, einem Unesco-Weltkulturerbe. Überall dampft es aus dem kalten Boden. Wir halten am Geysir Stokkur, der alle fünf bis acht Minuten eine Säule aus Wasser und Dampf bis zu 30 Meter in die Höhe schleudert. Touristen im Selfie-Fieber stehen mit dem Handy in der Hand und dem Rücken zum Stokkur und warten auf den richtigen Moment.

Auch wenn’s beim ersten und zweiten Mal nicht klappt – irgendwann ist das Geysir-Selfie im Kasten. Nicht weit davon entfernt wartet die nächste Attraktion: der Gullfoss-Wasserfall, der seinem Beinamen „Goldener Wasserfall“ im einfallenden Licht der Wintersonne alle Ehre macht. In strengen Wintern erstarrt er zu Eis. Aber noch donnern die Wassermassen zu Tal und besprühen dabei die Besucher.

Mit der Hacke in die Hütte

Am nächsten Morgen sitzen wir in einer zweimotorigen Maschine, die uns nach Höfn im Südwesten der Insel fliegt. Aus 8000 Metern Höhe kann man die wahre Unberührtheit und Wildnis Islands gut ermessen. Zwei Drittel sind völlig unerschlossen, mit drei Einwohnern pro Quadratmeter ist Island das am dünnsten besiedelte Land Europas.

Gigantisch sind die Ausmaße des Vatnajökull-Gletschers, der mit 8300 Quadratmetern größer ist als alle europäischen Gletscher zusammen. In Höfn werden wir von unserem Guide empfangen, und schon sind wir startklar für die Snowmobiltour auf dem Gletscher. Die Fahrt über schmale Gletscherbrücken und auf spiegelglatter, beinharter, seitlich hängender Eisoberfläche gestaltet sich schwierig.

Fix und fertig mit Kräften und Nerven erreichen wir unseren Schlafplatz, eine einsame Hütte mitten auf dem Gletscher. Als erste Besucher nach mehreren Wochen müssen wir uns erst einmal mit Schaufeln und Picken den Weg zur Tür bahnen. Und es dauert lange, bis der Ölofen behagliche Wärme verbreitet. Gleichzeitig schmort der marinierte Lammbraten im Backofen vor sich hin.

Beim Tischdecken befiehlt unser Guide, nach draußen zu gehen. Denn die großartige Show der Polarlichter hat begonnen. Am Himmel tanzen leuchtende Schleier in allen Grüntönen. Ein überwältigendes Spektakel, mit dem an den langen Wintertagen in diesen Breitengraden zu rechnen ist, das man aber nie garantiert bekommt. Was für ein Glück. Was für ein Erlebnis.

Im Shuttlebus zum Flughafen kommen wir mit einer älteren Dame aus England ins Gespräch. Einmal im Leben die Polarlichter zu sehen, war ihr sehnlichster Wunsch. Bei dieser Reise nach Island, ein Geschenk ihrer beiden Töchter zum 80. Geburtstag, sei dieser Wunsch endlich in Erfüllung gegangen. Die letzte Reise ihres Lebens sei gleichzeitig die schönste gewesen.