Essen. Das “Konter-Bier“ am Morgen danach hilft gegen den Kater? Beim Thema Alkohol kennt der Volksmund viele Weisheiten und liegt nicht selten falsch.

Alkohol zu trinken ist für viele Menschen ein großer Genuss - und für die meisten aus dem Karneval nicht wegzudenken. Auch der emeritierte Medizin-Professor Manfred Singer trinkt gerne Wein. Trotzdem will der Arzt keine Zweifel aufkommen lassen: „Alkoholkonsum ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden.“ Dabei geht es selbstverständlich auch um die Suchtgefahr, allerdings längst nicht nur. Ein Gläschen Rotwein am Abend ist gesund? Nicht so schnell: Der Mediziner räumt auf mit weit verbreiteten Irrtümern zum Thema Alkohol – und erklärt, warum Männer tatsächlich mehr vertragen als Frauen.

Ein Gläschen Rotwein jeden Abend ist gesund.

So einfach ist das leider nicht. „Wissenschaftlich könnte man das so ausdrücken“, sagt Manfred Singer, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Biomedizinische Alkoholforschung: „Wenn man über 55 ist und gesund, kann das sogenannte ,Viertel’ einigen Studien zufolge das Risiko für einen Herzinfarkt und einen Hirninfarkt senken.“ Kann ist hier das wichtige Wort: Weil die genetischen Voraussetzungen – und die Umweltfaktoren wie die Ernährung – bei jedem Menschen unterschiedlich sind, kann kein Arzt sagen, welche Menge Alkohol nicht schadet, sondern möglicherweise sogar in bestimmten Bereichen die Gesundheit fördert.

Die Empfehlung der WHO, der Gesundheitsorganisation der UNO, lautet: Männer sollten nicht mehr als 20 Gramm reinen Alkohols am Tag konsumieren – das sind etwa ein halber Liter Bier oder ein Viertelliter Wein – Frauen nicht mehr als zehn Gramm. Dann sei das Risiko, das vom Alkohol ausgeht, gering. Und: Das Krebsrisiko steige durch das Trinken alkoholischer Getränke immer, weil Alkohol im Körper als Zellgift wirkt.

Ein Schnaps ist gut für die Verdauung.

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Das denken viele: Wer ein mächtiges, fettiges Gericht gegessen hat, kann mit einem Schnäpschen die Verdauung anregen. Wissenschaftliche Belege dafür gibt es nicht, erklärt Manfred Singer: „Das einzige, was belegt ist, ist: Bewegung beschleunigt die Entleerung des Magens.“ Das müsse allerdings nicht heißen, dass man sich nicht besser fühle nach einem Schnaps. Woran das liegen kann? Nicht ganz leicht zu sagen, so Singer, es können zum Beispiel die Wirkung von Alkohol aufs Gehirn sein.

Bier auf Wein, das lass sein – Wein auf Bier, das rat’ ich dir.

Ob diese Weisheit aus dem Volksmund eine Grundlage hat, hat offenbar noch niemand untersucht – jedenfalls nicht methodisch. „Es gibt keine wissenschaftliche Studie darüber“, weiß Professor Singer. Bei der Verträglichkeit komme es eher auf die Menge des konsumierten Alkohols an, vermutet der Experte, als auf die Reihenfolge beim Trinken.

Weißwein hat weniger Kalorien als Rotwein.

Stimmt nicht. Wie viele Kalorien ein alkoholisches Getränk hat, hängt mit dem Alkoholgehalt zusammen. „Alkohol entsteht durch die Gärung von Zucker“, erklärt der Mediziner, und zählt auf: Ein Gramm reiner Alkohol hat 7,1 Kilokalorien, ein Gramm Eiweiß oder Kohlenhydrate haben 4,1 Kilokalorien, ein Gramm Fett hat 9,3 Kilokalorien. Das bedeutet: „Wenn man Alkohol zu sich nimmt, nimmt man fast so viele Kalorien auf wie wenn man Fett isst.“

Ganz konkret: Ein 0,2-Glas Bier hat etwa 90 Kalorien (acht Gramm reiner Alkohol), die gleiche Menge Wein hat 155 Kalorien (17 Gramm Alkohol) und ein 0,2-Glas Sekt hat 170 Kalorien (18,5 Gramm Alkohol). Singer hat noch mehr eindrucksvolle Zahlen parat: Ein Kasten Bier (20 Flaschen) hat etwa so viele Kalorien wie ein Pfund Butter, und „wer einen Liter Wein trinkt, nimmt 80 Gramm reinen Alkohols zu sich und damit rund 570 Kalorien.“ Es lässt sich einfach auf den Punkt bringen: „Keine Frage: Alkohol macht dick.“

Wer verschiedene alkoholische Getränke durcheinander trinkt, wird schneller betrunken.

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Auch für diese These gibt es keine Belege. Bis vor einigen Jahren haben aber auch die Wissenschaftler keine großen Unterschiede bei der Untersuchung von alkoholischen Getränken gemacht, erklärt Professor Singer; dass bei Wein, Bier und Schnaps neben dem Alkohol noch Hunderte, zum Teil Tausende andere Inhaltsstoffe – und deren Wechselwirkungen – eine Rolle spielen, ist eine relativ junge Erkenntnis. Generell gilt allerdings: Wenn Alkohol im Magen landet, ist er innerhalb von Sekunden auch im Blut und in alle Körperteile transportiert – also auch ins Gehirn.

Wer Alkoholisches durch einen Strohhalm trinkt, wird schneller betrunken.

Auch von dieser „Weisheit“ hat Manfred Singer schon gehört – und kann sich nicht erklären, wie jemand darauf gekommen sein könnte.

Fettiges Essen senkt den Alkoholspiegel.

„Irrtum“, stellt der Mediziner fest. Wird der Alkohol allerdings zum Essen getrunken, gelangt er bei fettigen Speisen erst später in den Zwölffingerdarm. Ein Teil des Alkohols gelangt über die Magenschleimhaut in den Blutkreislauf, der größere Teil über den Zwölffingerdarm. Dieser Vorgang wird durch fettiges Essen also verzögert „dafür werden Sie um so dicker.“

Wer vor dem Trinken zwei Aspirin nimmt, verträgt mehr.

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Davon weiß Singer nichts – warnt allerdings vor der Kombination Aspirin und Alkohol – weil beide Wirkstoffe die Magenschleimhaut schädigen. Deshalb empfiehlt der Arzt: „Man sollte Alkohol nur zum Essen zu sich nehmen.“

Gegen den Kater hilft ein „Konter-Bier“ am nächsten Morgen.

Leider nein. „Die einzig wissenschaftlich belegte Methode zur Vorbeugung vor einem Kater ist der moderate Alkoholkonsum“, weiß Mediziner Singer.

Wer Bier trinkt, schläft besser als jemand, der Schnaps getrunken hat.

Könnte sein, sagt Manfred Singer. Es ist, wie so oft, eine Frage des Maßes. Aber: „Der Hopfen im Bier ist ein gutes Narkotikum.“ Bier war tatsächlich mal ein wichtiges Lebensmittel: „Um 1400 war es sinnvoller, Bier zu trinken als Wasser – weil es hygienischer war“, erklärt Singer, der neben vielen wissenschaftlichen Publikationen auch das Buch „Über die Kunst des rechten Alkoholgenusses: Eine kleine Kulturgeschichte des Alkohols“ mitgeschrieben hat.

Männer vertragen mehr als Frauen.

Frauen werden schneller betrunken als Männer.
Frauen werden schneller betrunken als Männer. © Thinkstock

Das stimmt tatsächlich. Es liegt daran, dass Männer mehr Körperwasser haben als Frauen – und Frauen mehr Körperfett. Männer haben im Schnitt pro Kilo Körpergewicht 600 Milligramm Körperwasser, bei Frauen sind es 500 Milligramm. Und weil Alkohol sich sehr leicht in Wasser löst, könnte man sagen, dass der Alkohol im Körper eines Mannes schneller verdünnt wird als bei einer Frau. „Oder anders ausgedrückt: Bei Frauen entsteht bei gleicher Menge Alkohol eine höhere Blutalkohol-Konzentration“, erläutert Singer. Wenn ein Mann und eine Frau innerhalb von fünf Minuten einen Flasche Bier trinken, wird die Frau in der Regel mehr Promille haben. Dabei spielt auch das im Schnitt geringere Gewicht von Frauen eine Rolle.

Das gleiche passiert übrigens mit älteren Menschen: Wenn sie nicht an Alkohol gewöhnt sind, vertragen sie weniger als junge Menschen, denn im Alter sinkt der Anteil des Körperwassers um 60 Prozent.

Er mag gut schmecken, seine berauschende Wirkung mag als angenehm empfunden werden – doch Alkohol ist ein sogenanntes Zellgift, das direkt nach der Aufnahme in den Körper zu wirken beginnt. Wer Alkohol trinkt, vor allem regelmäßig, steigert das Risiko, an verschiedenen Krebsarten zu erkranken, und belastet seine Leber, wo der Wirkstoff hauptsächlich abgebaut wird. „Die Botschaft lautet: Alkohol sollte möglichst nur zu Mahlzeiten getrunken werden“, sagt der emeritierte Professor Singer. Mindestens an zwei Tagen in der Woche sollte man auf Alkohol verzichten, meint der Arzt.

Rund fünf Prozent der Deutschen trinken gar keinen Alkohol, zehn Prozent trinken „riskant“, knapp zwei Millionen Menschen gelten als Alkoholiker. Als alkoholkrank werden Menschen eingestuft, wenn sie ohne Alkohol sowohl psychische als auch physische Entzugserscheinungen haben: „wenn ich die Kontrolle darüber verloren habe, wann ich anfange zu trinken“, sagt Singer – „und wann ich aufhöre.“

Dieser Text ist erstmalig im Februar 2015 publiziert worden.