Wien. Vergewaltigung, Raub, Gewalt: Im Netz häufen sich tendenziöse Falschmeldungen über Flüchtlinge. Der Verein Mimikama räumt sie aus der Welt.
Die Arbeit von Andre Wolf beginnt dort, wo die Wahrheit aufhört oder Fakten so verdreht werden, dass sie einen bestimmten Zweck erfüllen: „Gerade haben wir wieder mit zwei Meldungen von Vergewaltigungen zu tun gehabt“, sagt der 38-Jährige.
Es sind Meldungen wie die aus Kleve: Am Wochenende kursierte auf Facebook eine Geschichte, wonach mehrere acht- bis zehnjährige Mädchen dort von Flüchtlingen „brutal entführt und vergewaltigt“ worden seien. Der Beitrag ist inzwischen von der Seite verschwunden. Der Verfasser des Facebook-Posts behauptete, von der Straftat aus einem Krankenhaus erfahren zu haben.
Gezielte Verbreitung eines Gerüchts
Die Polizei aber widerspricht: „Der Kreispolizeibehörde Kleve liegen keinerlei Hinweise darauf vor, dass die in dem Artikel behaupteten Vorfälle tatsächlich stattgefunden haben“, heißt es in einer Mitteilung. Offenkundig handele es sich bei dem Artikel um die gezielte Verbreitung eines falschen Gerüchts. Die Klever Bürgermeisterin Sonja Northing hat Anzeige erstattet.
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Andre Wolf hat es sich zur Aufgabe gemacht, solche verunglimpfenden Meldungen zu entlarven. Er und die Mitarbeiter des Vereins Mimikama fischen Falschmeldungen aus den sozialen Medien und veröffentlichen die Hintergründe auf ihrer Internetseite www.mimikama.at. Das Gerücht um die angeblichen Verschleppung von Kindern in Kleve lässt sich zum Beispiel zurückverfolgen auf einen Blogbeitrag, der seit mehr als vier Wochen durchs Netz geistert. „Viele Meldungen berufen sich auf offizielle Stellen und tauchen bei Facebook oder anderen sozialen Netzwerken auf. Wir überprüfen sie dann, indem wir bei den Ämtern und Behörden nachfragen“, sagt Wolfs. Die Richtigstellungen teilt der Verein dann auf der Internetseite des Projekts oder auf Twitter und Facebook mit, wo der Seite mehr als 58 000 Menschen folgen.
Verein will moderne Aufklärungsarbeit leisten
Der österreichische Verein Mimikama, Andre Wolf ist einer von zwei festen Mitarbeitern, will damit moderne Aufklärung betreiben: „Wir wollen mit unserem Projekt den Internetnutzer schützen“, sagt der gebürtige Deutsche, der den Verein zusammen mit seinem Kollegen Tom Wannenmacher vor viereinhalb Jahren gegründet hat.
Fake-Meldungen gehören zwar zum Internet wie Router und Netzwerkkabel. „Die Zahl von Fakes ist seit der Flüchtlingsdebatte aber rasant angestiegen“, sagt Wolf. Während Mimikama im Mai noch durchschnittlich zwei fingierte Nachrichten pro Woche zählte, kletterte die Zahl der enttarnten Fakes auf zuletzt 17 pro Woche.
Ehrenamtliche Mitarbeiter im deutschsprachigen Raum
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Das Team von Mimikama besteht inzwischen aus den beiden Vereinsvorsitzenden und rund 20 ehrenamtlichen Helfern, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz arbeiten. „Darunter sind Juristen, Ärzte, Sozialarbeiter und IT-Fachleute“, sagt Wolf. Sie betreiben auch das Internetforum zddk.eu („Zuerst denken, dann klicken“), mit dem der Verein Verschwörungstheorien aus der Welt räumen will. Sie entlarven nicht nur absurde Gerüchte über Flüchtlinge („Schweden: Tausende Migranten legen Brände in Hauptstadt“, „Flüchtlinge klauen im Supermarkt“) , sondern warnen auch vor Betrügereien: Gefälschte 20-Euro-Scheine in Köln oder Abo-Fallen, die über Whats-App-Nachrichten gestellt werden.
Im Nachrichtenstrom beobachten Wolf und sein Team besonders häufig drei Arten von fingierten Meldungen. „Häufig gehen die Fakes sozusagen auf einen Wahrheitskern zurück, sind aber absolut verfremdet.“ Zu den häufigsten Falschmeldungen zählen:
Bilder im falschen Kontext:
„Oft werden Bilder als aktuell verkauft, die eigentlich schon Monate oder Jahre alt sind“, sagt Wolf. Es seien immer wieder dieselben Akteure, die Stimmungen im Netz aufgreifen und Bilder gezielt verbreiten, um Ressentiments und Vorurteile zu bedienen. „Vor Augen führt das beispielsweise das Foto einer Gruppe von Asylbewerbern, die dagegen protestiert, nur Essenspakete zu bekommen.“
Laut Mimikama stammt das Bild aus dem Jahr 2012. Nach Recherchen des Vereins bekamen die Asylbewerber aus dem baden-württembergischen Sinsheim damals pro Woche zwei Essenspakete, die nicht den Essengewohnheiten der Menschen entsprachen. Außerdem, so berichtete die „Heilbronner Stimme“, beklagten die Flüchtlinge, dass Volkshochschul-Deutschkurse in dem Städtchen 120 Euro koste, während die Kosten in Heidelberg nur bei 40 Euro liegen würden.
Verkürzte Schlagzeilen:
„Viele Nutzer scrollen auf ihrem Handy nur die Schlagzeilen der Nachrichtenportale durch und teilen diese in Netzwerken, wo die Diskussion dann auf falschen Grundlagen beruht“, sagt Wolf. So gleiche das Geschäft mit den Nachrichten gewissermaßen dem Stille-Post-Spielen. Ein Beispiel: Nachdem ein großes deutsches Nachrichtenportal getitelt hatte: „Staat soll Flüchtlingen Führerschein bezahlen“ rief das bei vielen Facebook-Nutzern erwartungsgemäß Empörung hervor.
In einem Beitrag der Facebook-Seite „Pegida Magdeburg“ steht: „Wann bekommen die Deutschen den Führerschein bezahlt?“ Ein Nutzer kommentiert: „Wir brauchen mal wieder einen Mann der durchgreift in der Regierung.“
„Tatsächlich ging die Schlagzeile auf eine Forderung des Pfälzer Verbands der Fahrlehrer zurück“, sagt der Mimikama-Mitarbeiter. Der Interessensverband brachte lediglich ins Spiel, über eine Subventionierung der Führerscheine nachzudenken.
Frei erfundene Meldungen:
Die wohl banalste Variante: Die Nachricht ist schlichtweg falsch. „Häufig wird die Berichterstattung der vermeintlichen Lügenpresse selbst thematisiert“, so Wolf. Auf Facebook verbreiteten sich beispielsweise immer wieder Variationen des Gerüchts, dass die Medien nicht mehr über Delikte von Asylbewerbern berichten dürften.
So packt beispielsweise ein angeblicher Polizeibeamter unter dem Namen „Polizei-Mensch“ auf Facebook aus. „Bei uns dürfen Ausländerdelikte und besonders die mit Asylbewerbern nicht mehr im Lagefilm erfasst werden“, behauptet er. „Man hat Angst, daß die Stimmung kippt.“ Darunter hagelt es fremdenfeindliche Kommentare.
Mimikama fragte bei der zuständigen Polizeidirektion nach. Die Beamten dementierten den Vorwurf. Die rasant gestiegene Zahl von Asylbewerber habe keine Auswirkung auf die Kriminalitätsstatistik. „Ein Anstieg der Kriminalität ist nicht erkennbar“, heißt es aus der Polizeidirektion. Eine der Erkenntnisse, die der Verein aus seiner Arbeit zieht, sagt Wolf: Eine Nachricht muss noch lange nicht wahr sein, nur weil sie mehr als 2000 Leute geteilt haben.