Berlin. Die Katholiken laufen mittlerweile seit Jahren ihrer Kirche davon. Dabei geht es jedoch nicht “nur“ um Missbrauchsfälle. Ein Kommentar.
Dass es um das Seelenheil von Kindern in der katholischen Kirche nicht zwangsläufig gut bestellt ist, wissen Kleriker seit Jahren und ahnen es seit Jahrzehnten. Wie sonst konnten im Erzbistum Köln zwischen 1975 und 2018 mehr als 300 Jungen und Mädchen Opfer von Missbrauch werden, begangen von mehr als 200 Tätern, zwei Drittel davon Geistliche?
Angesichts des bei diesem neuen Gutachten attestierten Chaos, des Unvermögens und Vertuschens stellt sich drängender denn je die Frage, wie sehr die Kirchenmänner das Leid der Kinder überhaupt interessiert. Ganz offenbar nahm und nimmt der männerbündische Klerus – einen anderen gibt es ja nicht – das eigene Seelenheil und das der Brüder ernster als den Schutz von Jungen und Mädchen.
Das Gutachten zeigt: Der ganze Vorgang bleibt undurchsichtig. Auf Anzeigen wurde systematisch verzichtet; nicht nur bei der Polizei, auch bei kirchlichen Behörden. Ebenso auf Sanktionen – und, was besonders schwer wiegt: auf Prävention. Opferfürsorge? Fehlanzeige.
Allenfalls weltliche Mitarbeiter, die zu Tätern wurden, hatten Sanktionen zu befürchten. Priestern drohte eher die Versetzung an einen anderen Ort, wo sie leider nicht nur Seelsorge weiterbetrieben, sondern auch den Missbrauch.
Katholiken wenden ihrer Kirche den Rücken zu
Absolute Spitze in all dem Chaos: Die vom verstorbenen Kardinal Meisner unter Verschluss gehaltenen Akten „Brüder im Nebel“. Der Name war offenbar Programm. Ob Kardinal Woelki nun entlastet wird und Erzbischof Heße – er war bis zu seiner Berufung nach Hamburg in Köln Generalvikar – belastet wird, spielt für das Vertrauen vieler Menschen keine Rolle mehr.
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Selbst wenn Heße nun beim Papst um seine Entlassung bittet: Immer mehr Katholiken wenden ihrer Kirche, in der sie getauft wurden, in der sie ihre erste Heilige Kommunion empfangen haben, wo sie sich in Jugendgruppen trafen und in der sie womöglich auch noch ihre Hochzeit feierten, den Rücken zu.
Die eigenen Kinder in die Obhut von Priestern geben? Mit dem Vorwissen um die Missbrauchsfälle? Die Gesellschaft ist längst aufgeklärt genug, um nicht mehr wie in vergangenen Jahrzehnten blind der Güte der Kirche zu vertrauen – eine Kirche, die Frauen von allen wichtigen Ämtern und damit jeder Entscheidungsmacht ausschließt, die sich aber von ihnen und ihrem tiefen Glauben bedienen lässt.
Menschenfeindliche Sexualmoral
Eine Kirche, die ihre geweihten Würdenträger in den Zölibat zwingt und damit eine menschenfeindliche Sexualmoral zementiert, eine Kirche, für die die Prinzipien des Rechtsstaats nicht gelten, obwohl er sie finanziert.
Tatsächlich ist es nicht wirklich verwunderlich, dass die Menschen ihrer Kirche in so großen Scharen davonlaufen. Im Erzbistum Köln etwa gleicht es einem Glücksfall, im zuständigen Amt einen zeitnahen Termin für das Austrittsgesuch zu bekommen. Mag sein, dass viele von den Austrittswilligen sagen: Mir ist das Geld zu schade.
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Mag sein, dass vielen schlicht der Glaube verloren gegangen ist. Vielen anderen aber ist schwer ums Herz beim Austritt, ist doch die Kirche ihre Kultur, ihre Sozialisation – und die Heimat ihrer tiefen Spiritualität. Es ist doch auch bezeichnend, dass etwa die Reformbewegung Maria 2.0 aus dem Inneren heraus kämpft – und die Aktivistinnen eben nicht die Kirche verlassen.
Wie viel könnte auch die deutsche Bischofskonferenz erreichen, wenn sie ihren Spielraum für Reformen und ihren Einfluss in Rom glaubhaft nutzen würde?
So ist es nicht nur der Aktenstaub des Kölner Erzbistums, der sich auf die Atemwege der Katholikinnen und Katholiken legt. Sie bekommen einfach keine Luft mehr in ihrer Kirche.