Peking. .

Chinas Top-Universitäten und Forschungsinstitute bemühen sich darum, erfolgreiche Absolventen aus aller Welt zurückzuholen. Doch chinesische Studenten könnten auch dabei helfen, den Fachkräftemangel in Deutschland zu bekämpfen.

Um die größte aus­ländische Studentengruppe in Deutschland gibt es ein Tauziehen. Etwa 26 000 Chinesen studieren an deutschen Hochschulen, seit 2001 hat sich ihre Zahl etwa verdoppelt. NRW zieht mit rund 5700 Chinesen die meisten Gaststudenten ­al­ler Bundesländer an.

In ihrem Heimatland sind die Absolventen begehrte Fachkräfte, doch könnten die Akademiker in Deutschland dabei helfen, den Fachkräftemangel zu mildern, hoffen Politik und Wirtschaft. Tatsächlich kehren zwei ­Drittel der im Ausland studierenden Chinesen nach dem Studium nicht zurück. „Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, müssen wir generell offener werden, auch gegenüber Asiaten“, sagt Prof. Thomas Bauer, Vizepräsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Solange im­mer noch zahlreiche Chinesen nach der Ausbildung Deutschland verlassen, seien Gast­studenten im Grunde „eine große Geldverschwendung“. Er fordert eine Reform der Aufenthaltsregelungen. Bauer: „Sie müssen ja sogar gehen, wenn sie ein Jahr nach Abschluss ihres Studiums ­keine feste Stelle ha­ben.“ ­Die Frist sollte verlängert werden. Chinesische Studenten hätten in manchen Branchen gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Allein bei Siemens sind 3000 Stellen unbesetzt. „Der Bedarf an qualifizierten Nachwuchskräften wird eher noch zunehmen“, so eine Sprecherin.

Die Geschichte von Xie Tingting

Xie Tingting hat die Zulassung für ihr Magisterstudium in Marburg schon in der Tasche. Sie will Deutschlehrerin werden. „Dafür“, sagt die 23-Jährige, „muss ich das Land unbedingt kennenlernen.“ In der nordchinesischen Millionenstadt Harbin hat sie ihren Bachelor für deutsche Sprache und Literatur erworben, und sich dann fast ein Jahr lang auf den großen Sprung ins Ausland vorbereitet.

Nun steht die Studentin mit ihren Dokumenten vor dem „German Centre“ im Osten von Peking, um die letzte Hürde zu nehmen. Hier sitzt die „Akademische Prüfstelle“ der deutschen Botschaft, deren Mitarbeiter Xies Zeugnisse kontrollieren und mit ihr über ihre Studienpläne sprechen – so wie mit allen chinesischen Studenten, die sich an einer Hochschule in Deutschland einschreiben wollen.

26 000 chinesische Studenten

Xie ist Teil einer rasch wachsenden Schar von jungen Menschen, die ihre Heimat verlassen, um ihre Zukunftschancen auf einen guten Job zu verbessern und etwas von der Welt zu sehen. Wenn alles klappt, wird sie ab Oktober zu den rund 26 000 chinesischen Studenten in Deutschland gehören, die in diesem Jahr an 370 deutschen Hochschulen immatrikuliert sind.

Dabei steht Deutschland nicht unbedingt auf Platz eins der Wunschliste: Ein Studienplatz in den USA gilt immer noch als erste Wahl. Nach Statistiken der Unesco studierten vergangenes Jahr rund 100 000 Chinesen an den Universitäten und Colleges zwischen New York und Kalifornien. In Japan waren es mehr als 80 000, in Australien und Großbritannien jeweils rund 50 000.

Unerfüllbarer Traum

Für die Eltern-Generation waren solche Möglichkeiten ein unerfüllbarer Traum: Vor 30 Jahren – die zerstörerische „Große Proletarische Kulturrevolution“ war noch nicht lange vorbei – schafften nur ein paar hundert Chinesen den Sprung an eine Hochschule in Übersee. Chinas Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping hatte spätestens nach dem Tode Mao Zedongs erkannt, dass sich das Land nur dann aus Armut und Rückständigkeit befreien konnte, wenn es den Anschluss an die Welt fand. Er rief zur „Modernisierung von Technik und Wissenschaft“ auf.

Seither haben rund 1,4 Millionen Chinesen im Ausland studiert. „Jeder siebte Auslandsstudent ist ein Chinese“, stellte die Unesco fest. Anders als in den ersten Jahren kommen die meisten aber nicht mehr mit einem Stipendium. Rund 90 Prozent sind mittlerweile Selbstzahler. Für die neue chinesische Oberschicht ist ein Auslandsstudium keine finanzielle Hürde mehr. Auch an die teuersten amerikanischen und britischen Hochschulen drängen die Kinder hoher Funktionäre, Ge-schäftsleute oder Bergwerksbesitzer aus allen Teilen der Volksrepublik. Eltern, die ihren Kindern die schwere Aufnahmeprüfung für Chinas Universitäten ersparen wollen, schicken ihre Sprösslinge schon in jungen Jahren auf Internate im Ausland. Auch am deutschen Elite-Institut gehören chinesische Oberstufenschüler schon zum Alltag.

Vorteil für Deutschland

Der angehenden Deutschlehrerin Xie fiel die Entscheidung, nach Marburg zu gehen, zunächst nicht ganz leicht: „Meine Mutter unterstützt mich zwar“, sagt sie, „mein Vater ist jedoch in Sorge, ob er mit seinem kleinen Geschäft die Kosten für mein Studium schultern kann, oder ob er sich verschulden muss.“ Der Vorteil von Marburg sei aber, „dass ich keine Studiengebühren bezahlen muss“. Insgesamt rechnet Xie damit, dass sie rund achttausend Euro pro Studienjahr brauchen wird.

Chinas Top-Universitäten und Forschungsinstitute bemühen sich darum, erfolgreiche Absolventen zurückzuholen – mit großzügigen Dotierungen und exzellent ausgestatteten Labors. Insgesamt sind bislang aber weniger als 30 Prozent der Auslandsstudenten wieder heimgekehrt. Doch Xie glaubt, dass sie am Ende nicht in Deutschland bleiben wird. „Mein Freund wartet hier auf mich, deshalb komme ich sicher wieder nach Hause.“