Essen. Eine Studie ergab: Rund 35 Prozent der türkischen Akademiker wollen Deutschland verlassen. Als wichtigsten Grund geben die Befragten an, sich in der Bundesrepublik missachtet und ausgegrenzt zu fühlen

Deutschland verschleudert die Intelligenz seiner Migranten. An den Schulen werden sie nicht genügend gefördert, immer weniger von ihnen erhalten eine Lehrstelle. Doch nicht nur das. Wenn sich deutsch-türkische oder türkischstämmige Jugendliche bis zum Hochschulexamen durchgeschlagen haben, kehren viele von ihnen Deutschland den Rücken.

Während sie von anderen Ländern wegen ihrer Ausbildung und ihrer Zweisprachigkeit umworben werden, fühlen sie sich in Deutschland missachtet und ausgegrenzt. Rund 35 Prozent der türkischen Akademiker wollen nach einer noch unveröffentlichten Studie des Krefelder Instituts „futureorg” in die Türkei auswandern. Das Institit befragte mehr als 250 türkische und türkischstämmige Hochschulabsolventen, von denen etwa drei Viertel hier geboren wurden. Als wichtigsten Grund für ihren Entschluss nannten 41 Prozent, dass sie sich in Deutschland nicht heimisch fühlten.

Gefragtes Wissen

„Es hat uns überrascht, wie viele junge Akademiker ausreisen wollen”, sagte Kamuran Sezer der WAZ. Der Sozialwissenschaftler leitet für das Krefelder Institut eine erstmals breit angelegte Studie über „türkische Akademiker und Studierende in Deutschland” (TASD). Denn die bisher erhobenen Daten besagen kaum mehr, als dass rund 24 000 Studierende mit türkischen Pass an deutschen Hochschulen studieren.

Die jüngste Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zählte nur acht Prozent Studierende mit Migrationshintergrund. Und das, obwohl rund ein Fünftel der Bevölkerung sowie jedes dritte Kind unter sechs Jahren ihre Wurzeln im Ausland haben. Migranten wählen vor allem ingenieurwissenschaftliche Studiengänge, Medizin, Jura und Wirtschaftswissenschaften – Wissen, das der Arbeitsmarkt benötigt. Umso dramatischer sind die hohen Abbrecherquoten – mit 45 Prozent fast doppelt so hoch wie bei den deutschen Studenten – und der Abwanderungswille.

Die wachsende türkische Wirtschaft mit übt mit attraktiven Jobs einen großen Reiz auf die gut ausgebildeten Hochschulabsolventen aus – so glaubte man bisher, den Abwanderungswillen erklären zu können. Dies ist aber nur die halbe Wahrheit, ergab die TASD-Studie. Denn aus Baden-Württemberg, das wirtschaftlich ebenfalls gut dasteht, wollen weit mehr türkische Absolventen weg (50 Prozent der Befragten) als aus NRW (25 Prozent). Sezer vermutet daher, dass nicht allein die Berufsaussichten ausschlaggebend sind, sondern mehr noch „emotionale Gründe”. Sezer: „Nach ersten Analysen glauben wir, dass die in NRW lebenden Türken auf eine engere soziale und kulturelle Verflechtung zurückgreifen können. Das gibt Halt.”

Dennoch ist der Trend bedenklich. Eine Studie der OECD kam Ende 2007 zu dem Ergebnis: „Selbst mit Universitätsabschluss sind die Chancen der Kinder von Zuwanderern, eine Beschäftigung zu haben, zum Teil erheblich geringer. Bildungs- und Sprachdefizite können somit nur einen Teil der niedrigeren Beschäftigung erklären.” Eine Ursache sieht die OECD-Studie in der Diskriminierung von Ausländern: „Zum Teil müssen Kinder von Zuwanderern bei gleicher Qualifikation drei bis viermal so viele Bewerbungen schreiben, bis sie ein Bewerbungsgespräch erhalten.”

Verheerendes Signal

Dass es überhaupt eine ansehnliche Zahl bis zum Hochschulexamen schafft, grenzt fast an ein Wunder. Sezer: „Das deutsche dreigliedrige Schulsystem ist stark selektiv und ein enormes Integrationshemmnis.” Viele türkische Kinder müssten sich von der Hauptschule bis zum Abitur durchkämpfen. „Das schaffen nicht viele”, sagt Sezer.

Wem es dennoch gelingt, der genieße in der türkischen Gemeinde ein sehr hohes Ansehen. Sezer: „Wenn aber von den wenigen gut gebildeten Türken viele weggehen, welches Signal sendet das an die türkische Community?” Für die deutsche Seite sieht er in den ernüchternden Zahlen aber auch eine Chance: „Wir kennen jetzt das Problem. Nun kann man gegensteuern.”