Düsseldorf. 48 Todesopfer und 190 betroffene Gemeinden allein in NRW. Zum Behördenversagen bei der Flut wird erstmals die Regierungsspitze befragt.

Die politische Aufarbeitung der Hochwasser-Katastrophe, die Nordrhein-Westfalen im Juli heimsuchte, hat gerade erst begonnen. Doch der zentrale Befund scheint bereits festzustehen: Die Alarmketten der Behörden im Land können nicht funktioniert haben. Bei 48 Todesopfern und knapp 190 mehr oder minder verwüsteten Gemeinden allein in NRW bleibt da nicht viel Interpretationsspielraum.

Wer aber genau welche Verantwortung dafür trägt, dass kleine Rinnsale rund um den 14. Juli praktisch ohne Vorwarnung an die Bürger binnen Stunden zu vier Meter hohen Fluten anschwellen konnten, soll der Untersuchungsausschuss „Hochwasser“ des Landtags klären. Es ist ein schwer zu erfüllender Anspruch, denn die Legislaturperiode endet bereits in fünf Monaten mit der Landtagswahl. Der Abschlussbericht muss im April formuliert sein.

Nach der Landtagswahl muss wohl ein neuer U-Ausschuss ran

Es gilt als gesichert, dass der dann neu gewählte Landtag die Arbeit mit einem erneut eingesetzten Ausschuss fortsetzen wird. So hatte man es auch mit dem Aufklärungsgremium zum Berliner Weihnachtsmarkt-Attentat gehalten, das kurz vor der Landtagswahl 2017 begonnen hatte. Untersuchungsausschüsse gelten als „schärfstes Schwert“ des Parlaments, denn sie haben Gerichtsbefugnisse wie Akteneinsicht und Zeugenvernehmungen. In Wahlkampfzeiten sind sie zugleich ein erprobtes politisches Instrument, um der jeweiligen Regierung Fehler und Versagen nachzuweisen.

An diesem Mittwoch stehen die ersten wichtigen Vernehmungen auf dem Terminplan. Neu-Ministerpräsident Hendrik Wüst, sein Vorgänger Armin Laschet und Staatskanzlei-Chef Nathanael Liminski (alle CDU) müssen auf den Zeugenstuhl. Es warten unbequeme Fragen. Die SPD-Opposition hatte vergeblich die Verschiebung ins neue Jahr beantragt – formal mit Verweis auf die Corona-Lage und einen mit 100 Menschen gefüllten Sitzungsaal im Landtag. Zwei Tage vor einem Heiligabend im Zeichen der Omikron-Angst sind wohl medial kein idealer Termin, um die Spitze der Landesregierung vorzuführen. Die NRW-Koalition aus CDU und FDP dürfte es dagegen ganz recht sein, wenn Wüst & Co „unter ferner liefen“ ressortieren.

Schon über eine Million Dokumentenseiten

Als Schiedsrichter in solchen Geschäftsordnungshakeleien ist seit Wochen der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Ralf Witzel, gefordert. Der 49-jährige FDP-Abgeordnete aus Essen gehört zu den erfahrensten Parlamentariern und gilt als Aktenfresser, in dessen Landtagsbüro regelmäßig auch nachts das Licht brennt. Um einen solch arbeitsintensiven Ausschussvorsitz kurz vor der Landtagswahl reißt sich keiner. Doch Witzel nahm die Rolle an. „Ich muss regelmäßig zwischen widerstreitenden Interessen vermitteln und möglichst Kompromisse finden“, sagt er. Er werbe dafür, „dass es im Sinne von zigtausend geschädigten Bürgern und Betrieben vorrangig um die Sache geht und nicht um politische Geländegewinne“.

Die Aktenlieferungen von diversen Ministerien in Land und Bund, von neun Wasserverbänden und etlichen weiteren Behörden umfassten bereits über eine Million Dokumentenseiten und seien noch längst nicht vollständig, so Witzel. Die Opposition sieht vor allem zwei Einfallstore für Kritik: Frühe Warnungen von Wetterexperten vor dramatischen Niederschlägen kamen auf dem Amtsweg nicht bei den Bürgern an; und das Land aktivierte nicht den für solche Ausnahmelagen vorgesehenen Krisenstab.

Innenminister Herbert Reul (CDU) hat bereits eingeräumt, dass es ein Fehler gewesen sei, den Krisenstab schon allein als Symbol für den Ernst der Lage nicht aktiviert zu haben. Operativ hätte das seiner Auffassung nach aber an der Arbeit vor Ort nichts geändert. Die Opposition wird nun anhand von Dokumenten und Telefonverbindungen nachzeichnen wollen, wer wann was in Düsseldorf gewusst und entschieden hat.

Warum wurden die Bürger nicht rechtzeitig gewarnt?

Dahinter steckt die wacklige Hypothese, dass die Entourage von Ministerpräsident Laschet im Juli vor allem mit dessen Bundestagswahlkampf als Kanzlerkandidat beschäftigt gewesen sein könnte. Gingen die Wetterwarnungen also in der allgemeinen Geschäftigkeit der Staatskanzlei unter? Oder fehlte in anderen Ressorts vielleicht wegen der parlamentarischen Sommerpause die notwendige Sensibilität für einen angemessenen Umgang mit vorliegenden Warnungen der Wetterfachleute? Womöglich bewegte es sich auch einfach außerhalb des Vorstellungsvermögens, dass kleine Bäche, für die es gar kein Pegel-Prognose-System gibt, zu solch reißenden Strömen werden könnten.

Der Vorsitzende Witzel will den Ausschuss nutzen, „um mit hohem Einsatz und großer Ernsthaftigkeit die Aufklärung über mögliche Versäumnisse und Fehleinschätzungen von Behörden bei der Gefahrenabwehr des Starkregenereignisses im Juli aufzuklären“. Dies sein man den Opfern schuldig. Zugleich erhofft er sich als Folge mehr Aufmerksamkeit für verbesserten Bevölkerungsschutz und größere Krisenfestigkeit der kritischen Infrastrukturen „weit über das Thema Hochwasser hinaus“.