Düsseldorf. . Kita-Beschäftigte aus ganz Nordrhein-Westfalen protestieren für bessere Arbeitsbedingungen. Und sie drohen der Politik: „Das ist erst der Anfang“
„Der beste Ort für diese Großdemo wäre wohl die Wiese vor dem Landtag gewesen. Das ging aber nicht, weil sich Düsseldorf dort auf den Japan-Tag am Wochenende vorbereitet. Und so zogen tausende Erzieherinnen, Gewerkschafter, Kirchenvertreter und Eltern aus ganz NRW mit ihren Plakaten, Signalwesten und Trillerpfeifen zum Rheinpark Golzheim. Ihre Botschaft: „Mehr Große für die Kleinen“. Bedeutet: Die Kitas im Land benötigen dringend mehr Personal.
Satte 1,3 Milliarden Euro im Jahr zusätzlich stellt die Landesregierung für die Kindertagesbetreuung in Aussicht. Zu dem von NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) stolz angekündigten „Pakt für Familien“ gehören unter anderem ein zweites beitragsfreies Kita-Jahr, Geld für mehr Personal und flexiblere Kita-Öffnungszeiten. Doch zufrieden sind die Erzieherinnen und die Träger der Kitas bei Weitem nicht mit dem Hilfspaket. „Wir arbeiten am Limit“, warnten am Donnerstag die Demonstranten.
„Mehr Hirten für weniger Schafe“
Das Ruhrgebiet ist stark vertreten auf der Wiese neben dem Rhein. Die Demonstranten kommen aus Essen, Mülheim, Bottrop. Sie tragen Schilder mit Sprüchen wie „Viele Kleine, wenige Große. So ist Bildung Quatsch mit Soße“ oder „Mehr Hirten für weniger Schafe“. Anna-Lena Suriel, Chefin der Kita St. Gerwin in Wetter, ist mit sechs Kolleginnen angereist.
Sie wollen ihrem Ärger Luft machen. Darüber, dass sie immer weniger Zeit für die Kinder haben, dafür immer mehr Zeit haben müssen für Verwaltung und Bildungs-Dokumentationen. „Wir haben nicht das Gefühl, dass das Geld des Landes an die richtige Stelle fließt“, sagen Suriel und ihre Kollegin Silvia Exner. Immer weniger Personal müsse nun auch noch flexiblere Öffnungszeiten möglich machen. „Wie sollen wir Öffnungszeiten von 6 bis 18 Uhr stemmen mit sieben Fachkräften?“, fragen die Damen aus Wetter.
Eltern freuen sich, Erzieherinnen nicht
Für Ulla Quest vom Kita-Zweckverband im Bistum Essen ist der Entwurf der Regierung für ein neues Kinderbildungsgesetz (KiBiz) vor allem „ein tolles Elterngesetz, aber nichts Gutes für die Erzieherinnen und die Bildung“. Wer flexiblere Öffnungszeiten in Kitas wolle, der müsse auch für genügend Personal sorgen und Qualitätsstandards einführen. Zum Beispiel klare Regeln, wie viele Pädagogen sich um wie viele Kinder kümmern. „Die meisten Kitas sind ständig unterbesetzt. Es gibt keine Vertretung im Krankheitsfall oder wenn jemand Urlaub hat“, kritisieren Ulla Quest und ihre Mit-Demonstrantin Martina Kiborra vom Kita-Zweckverband in Mülheim.
Vorne auf der Bühne ruft Katharina Schwabedissen „Mehr von uns ist besser für alle“, und die Masse stimmt laut mit ein. Schwabedissen war früher Landessprecherin der Linken in NRW, jetzt ist sie bei Verdi und organisiert diese Demo zusammen mit Thorsten Böning vom Kita-Zweckverband Essen und einem bunten Bündnis aus Erzieherinnen, Betriebs- und Personalräten, Gewerkschaftern von Verdi, GEW und VBE sowie Elternvertretern.
Kitas flächendeckend unterbesetzt
Eine Pädagogin aus Bottrop ruft ihren Ärger in Richtung Menschenmenge: „Die Kleinen, die uns anvertraut sind, sollen in ein paar Jahren unser Land wuppen.“ Ein paar Große spielen ein Mini-Theaterstück, in dem der Stress angedeutet wird, den die Kleinen manchmal machen: „Kannst du mir die Schuhe zubinden“, „Der Kevin hat mich gehauen“, „Ich muss Pipi...“ Am Ende kommt ein Stoßseufzer der Erzieherin: „Ich kann nicht mehr. Ich brauche mehr Große für die Kleinen.“
Das Versprechen der Landesregierung, die Kita-Öffnungszeiten zu erweitern, sei nur mit einer deutlichen Aufstockung des Personals möglich, findet Stefan Behlau, Landesschef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Diese Gewerkschaft hatte vor Kurzem eine Studie vorgestellt, nach der besonders die NRW-Kitas massiv unter den Folgen von Personalnot leiden. 95 Prozent der befragten Kita-Leitungen beklagen personelle Unterbesetzung, so der VBE.
„Das KiBiz ist Mumpitz“
Landtagsabgeordnete mehrerer Parteien nehmen das Mikro in die Hand. SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty behauptet: „Das KiBiz ist Mumpitz“. Marcel Hafke von der FDP traut sich, die Haltung der Landesregierung zu erklären: „Es war uns wichtig, erst mal Geld in die Hand zu nehmen und die auskömmliche Finanzierung der Kitas zu sichern.“ Nun sei ein entscheidender Anfang gemacht, um die Situation in den Kitas weiter zu verbessern.
Je länger die Demo dauert, desto länger wird die Wunschliste der gestressten Erzieherinnen: Bezahlung auch für die schulische Ausbildung, ein Ende des Gebühren-Durcheinanders in NRW, Hauswirtschaftskräfte für alle Kitas…
Die Demonstranten lassen Dampf ab. Und drohen der Landespolitik: „Das ist erst der Anfang des Protests!“