Düsseldorf. Das reiche Langenfeld will Unternehmen im Ruhrgebiet abwerben. Gelsenkirchens Rathauschef spricht von „grobem Foulspiel“.

Ein Versuch des Langenfelder Bürgermeisters Frank Schneider (CDU), Gewerbetreibende aus dem Ruhrgebiet mit niedrigen Steuern in seine Stadt zu locken, hat einen heftigen Streit mit Gelsenkirchen ausgelöst. Der dortige Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) spricht von einem „groben Foulspiel“ und hat seinem Rathauskollegen einen bösen Brief geschrieben, der dieser Redaktion vorliegt.

Der Gelsenkirchener OB schreibt darin, die Abwerbe-Aktion von Schneider sei „unsolidarisch, unkollegial und vor allem ein Affront gegen die Mitarbeiter der Gelsenkirchener Wirtschaftsförderung“. Eine solche Aktion sei „kein Stil“.

Die nächste Steuersenkung ist schon eingeplant

Schneider bietet in von ihm persönlich unterschriebenen Werbebriefen, die in einem Radius von 50 bis 70 Kilometern um Langenfeld herum verschickt wurden, einen „Firmensitz mit Steuervorteil“ an. Bei einem Umzug nach Langenfeld könnten Unternehmer die Vorteile besonders niedriger Gewerbe- und Grundsteuern nutzen.

Brief des Bürgermeisters von Langenfeld an einen Unternehmer in Gelsenkirchen
Brief des Bürgermeisters von Langenfeld an einen Unternehmer in Gelsenkirchen © Matthias Korfmann

Die Stadt habe den zweitniedrigsten Gewerbesteuer-Hebesatz in NRW, und weitere deutliche Steuersenkungen sein schon fest eingeplant. Der Bürgermeister beteuert, dass er nur „sehr wenige“ Unternehmen aus dem Ruhrgebiet angeschrieben habe und nur eine einzige in Gelsenkirchen. Schwerpunkt seiner Werbung sei die Rheinschiene.

Umzugskartons in Nachbarstädte geschickt

Vor vier Jahren hatte Langenfeld schon einmal eine umstrittene Abwerbe-Kampagne gestartet. Damals wurden kleine Umzugskartons an Gewerbetreibende in Köln und Düsseldorf verschickt und in diesen Großstädten Plakate geklebt mit Sprüchen wie „In Langenfeld ansiedeln und einen Haufen Geld sparen“. „Wenn solche Aktionen Schule machen, dann wildern bald alle Kommunen bei ihren Nachbarn“, sagte Frank Baranowski dieser Zeitung.

NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) schließt sich der Kritik an. „Bei allem Verständnis für den gesunden Wettbewerb unter Kommunen: Es ist natürlich nicht die feine englische Art, wenn es aus Nachbarkommunen Abwerbeversuche von Unternehmen gibt“, sagte Scharrenbach. Bei der Ansiedlungsprojekten von Firmen führe „mehr Miteinander statt Gegeneinander“ zu Erfolgen.

Städtetag: „Unfairer Wettbewerb“

Der Städtetag NRW reagierte ebenfalls empfindlich auf die Aktion der Langenfelder: „Aktiv Unternehmen abzuwerben mit geringeren Gewerbesteuer-Hebesätzen ist ein unfairer Wettbewerb.“ Gerade die seit Jahren unterfinanzierten und strukturschwachen Städte in NRW seien gezwungen worden, die Gewerbesteuereinnahmen zu erhöhen, um Haushaltslücken zu schließen. Dies schrecke Unternehmen ab, die gerade in diesen Städten gebraucht würden.

„Wir können tiefer“ steht auf der Broschüre, die die Stadt Langenfeld (60.000 Einwohner) zusammen mit einem persönlichen Brief des Bürgermeisters an Unternehmer in umliegenden Kommunen verschickt. Gemeint sind die Gewerbesteuer- und Grundsteuer-Hebesätze, die in dieser prosperierenden Stadt schon heute sensationell niedrig sind und bis zum Jahr 2021 noch ein gutes Stück tiefer gelegt werden sollen. Von 330 Prozentpunkten auf 299.

Eiszeit zwischen den Rathäusern

Hier ist „Platz für gute Geschäfte“, steht in der Broschüre. Von einem „Behördensumpf“, der Firmeninhaber abschrecken könnte, sei hier keine Spur. Kommt in die „goldene Mitte zwischen Düsseldorf und Köln“, ist die Botschaft an die Unternehmer.

60 Kilometer nordöstlich von Langenfeld, in Gelsenkirchen, wunderte sich ein Mittelständler, der die Broschüre und den Brief des Bürgermeisters Frank Schneider (CDU) bekommen hatte, über die ungewöhnliche Werbeaktion. Er wendete sich an die dortige Wirtschaftsförderung, und die sich an Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD). Seitdem ist Eiszeit zwischen den Rathäusern.

Langenfeld ist schon lange schuldenfrei

Gelsenkirchen (260.000 Einwohner) hat mit 480 Prozentpunkten einen relativ hohen Gewerbesteuer-Hebesatz. Die Revierstadt sitzt auf einem Berg von rund 1,4 Milliarden Euro Schulden. Langenfeld ist hingegen reich. Schon vor zehn Jahren schrieb der damalige Bürgermeister Magnus Staehler (CDU), von schwarzen Zahlen fröhlich inspiriert, ein Buch mit dem Titel „1-2-3 Schuldenfrei“.

Langenfeld begreife sich selbst als eine Art „Stadt AG“, sagt Bürgermeister Schneider auf Nachfrage. Behörden, Bürger und Unternehmer begegneten sich „auf Augenhöhe“. Das große Steuersenkungspaket, das der Rat beschlossen hat, ist für Schneider eine „Bürgerdividende“, von dem am Ende alle profitierten. Jedenfalls alle innerhalb der Stadtgrenzen. Denn außerhalb wohnt die Konkurrenz. „Wir sind doch selbst im Wettbewerb mit Städten im Kreis Mettmann“, heißt es in der Verwaltung. Vor allem mit dem bekannten Steuerparadies Monheim, Gewerbesteuer-Hebesatz aktuell: 250.

Haushaltssorgen im Revier

Mit Abwerbeversuchen von Unternehmern in Nachbarstädten macht man sich keine Freunde, das wissen sie in Langenfeld. Im Jahr 2015 schickte die Kommune Firmen in Düsseldorf und Köln kleine Umzugspakete und freundliche Briefe. Unverschämt fanden die Behörden das dort. In Gelsenkirchen ist das jetzt nicht anders.

Brief des Gelsenkirchener OB an seinen Amtskollegen in Langenfeld.
Brief des Gelsenkirchener OB an seinen Amtskollegen in Langenfeld. © Matthias Korfmann

Gelsenkirchens Oberbürgermeister spricht vom „groben Foulspiel“ und beschreibt in einem Beschwerdebrief an Schneider den steinigen Weg seiner Stadt hin zu einem ausgeglichenen Haushalt. „Enorme Sozialkosten“ führten zu einen „auf Kante genähten“ Haushalt. Allein die Folgekosten für die Zuwanderung aus Südosteuropa beziffert Baranowski im Gespräch mit dieser Redaktion mit neun Millionen Euro im Jahr. Die Frage, die nicht nur Gelsenkirchen, sondern auch die anderen Revierstädte umtreibt, ist: Wie sollen wir mit Wettbewerbern konkurrieren, die vor Kraft kaum laufen können?

Brief des Gelsenkirchener OB an seinen Amtskollegen in Langenfeld.
Brief des Gelsenkirchener OB an seinen Amtskollegen in Langenfeld. © Matthias Korfmann

„Wir haben nicht im Lotto gewonnen“

Mit Millionensummen argumentieren auch die Langenfelder. Lange habe diese Stadt 2,5 bis drei Millionen Euro im Jahr als Ausgleichszahlungen für ärmere Städte überweisen müssen. Fehlende Solidarität könne Langenfeld keiner vorwerfen. „Wir haben hier nicht im Lotto gewonnen, sondern uns über eine Strecke von 30 Jahren schuldenfrei gemacht“, sagte ein Stadt-Sprecher. Andere Städte leisteten sich irre teure Spaßbäder. „Wir haben ein Schwimmbad.“ Der Stolz auf das Geleistete rechtfertige nun auch ein selbstbewusstes Auftreten, Abwerbung inklusive.

Der Städte- und Gemeindebund NRW sieht in dem Streit zwischen Gelsenkirchen und Langenfeld ein Zeichen dafür, dass die Ungleichheit zwischen armen und reichen Städten weiter zugenommen habe. Das System sei nicht mehr im Gleichgewicht. Die Finanzierung aller Kommunen in NRW müsse daher auf eine „solide Grundlage“ gestellt werden, sagte ein Sprecher des Verbandes. Wenn das Land den Städten die Freiheit gebe, Steuersätze frei festzusetzen, dann solle sich niemand wundern, wenn sie diese Freiheit auch in Anspruch nehmen.

>>> Adressaten genau ausgewählt

Laut dem Langenfelder Rathaus wurden die Werbe-Briefe an Firmen aus speziellen Branchen verschickt. Die Stadt interessiere sich für Unternehmen, die „sowohl innovativ als auch nachhaltig sind“, zum Beispiel Pharmaunternehmen, Spezialisten für Medizintechnik und für Informationstechnologie. „Da mit einer Firmenverlagerung kein Verlust des Beschäftigtenstamms einhergehen darf, schreiben wir Unternehmen in einem Radius von 50 bis maximal 70 Kilometern an“, erklärt die Stadt.