Düsseldorf. Die Kosten für die Finanzierung des ÖPNV schießen derzeit durch die Decke. Städte wie Bochum und Essen warnen vor einem Kollaps des Systems.
In NRW wachsen die Sorgen um die Zukunftsfähigkeit des öffentlichen Nahverkehrs. Die Kosten für die Finanzierung von Bus- und Bahnlinien schießen derzeit in fast allen Bereichen durch die Decke – vor allem infolge der Inflation, der gestiegenen Energiepreise und der hohen Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst. Hinzu kommt die noch immer ausstehende Entscheidung der Verkehrsminister von Bund und Ländern über die Folgefinanzierung des Deutschlandtickets ab 2024.
Deutschlandticket: Finanzierung nur für 2023 gesichert
Offiziell als gesichert gelten die Ausgleichszahlungen für die bei den Verkehrsbetrieben anfallenden Verluste durch den deutlich günstigeren Deutschlandtarif nur bis Ende dieses Jahres. Besonders in den klammen Ruhrgebietsstädten stehen die Alarmsignale daher auf Rot. Oberbürgermeister und Verkehrsmanager der Region zeichneten am Montag in einem gemeinsamen Auftritt in Düsseldorf ein dramatisches Bild der Lage.
Bochumer OB Eiskirch: Es geht ans Eingemachte
„Hier geht’s gerade ans Eingemachte. Der ÖPNV steht am Scheideweg“, sagte Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch. „Wir müssen alles dafür tun, dass aus der Mobilitätswende kein Mobilitätsende wird“, warnte der SPD-Politiker. Gemeinsam mit Essens OB Thomas Kufen (CDU) forderte Eiskirch, die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs grundsätzlich auf neue Füße zu stellen. „Der Ausbau der Infrastruktur ist nur durch Investitionen zu stemmen. Die finanziellen Möglichkeiten der Kommunen sind allerdings weitestgehend ausgereizt“, so Kufen.
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Der OB, der auch Vorsitzender des NRW-Städtetages ist, sieht hier Bund und Länder in der Pflicht. Das finanzielle Risiko für den Ausbau des Nahverkehrs dürfe nicht auf die Kommunen verlagert werden, betonte Kufen.
Ohne Zuschüsse nicht wettbewerbsfähig
Traditionell ist die ÖPNV-Finanzierung in Deutschland eine Angelegenheit der kommunalen Daseinsvorsorge. In der Regel gleichen die Städte die hohen Verluste der kommunalen Nahverkehrsbetriebe aus – entweder direkt oder über kommunale Tochterunternehmen wie etwa Stadtwerke. Ohne dieses Modell wären die Preise für Bus- und Bahntickets nicht wettbewerbsfähig.
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Trotz teils erheblicher Zuschüsse von Bund und Land scheint dieses Konstrukt derzeit immer mehr an seine Grenzen zu stoßen. In Essen und Bochum stiegen die Verkehrsdefizite zuletzt exorbitant um hohe zweistellige Millionensummen. „Es gibt keinen Politikbereich, in dem die Kosten derart explodieren“, sagte Kufen.
Finanzierung des ÖPNV-Angebots seit Jahren auf Kante genäht
Auch im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) ist man besorgt. Allein dem regionalen Bahnverkehr fehlen laut VRR-Vorstandsprecherin Gabriele Matz bis 2031 infolge der allgemeinen Kostensteigerung rund 2,6 Milliarden Euro. VRR-Vorstandsmitglied José Luis Castrillo kritisierte, die breite Debatte um das Deutschlandticket habe grundsätzliche Probleme der ÖPNV-Finanzierung in den Hintergrund gedrängt. „Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn wir zwar das Deutschlandticket haben, aber das bestehende ÖPNV-Angebot reduzieren müssten“, sagte Castrillo.
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Seit Jahren klagt die kommunale Verkehrsbranche über zu wenig Geld. Aus ihrer Sicht ist die Finanzierung des ÖPNV-Angebots auf Kante genäht – trotz Milliardenzuschüssen aus den Kassen und Bund und Land. Bereits vor über einem Jahr hatten die NRW-Verkehrsverbünde in einem dramatischen Appell an Bund und Land vor einer „Kernschmelze“ des ÖPNV in NRW gewarnt. Die Rede damals war von einer Finanzierungslücke in der Größenordnung von landesweit 500 bis 600 Millionen Euro jährlich. Inzwischen habe sich die Lager verschärft.
Kosten explodieren
Beispiel Bochum: Der städtische Zuschussbedarf der Bogestra stieg nach Angaben von OB Thomas Eiskirch (SPD) seit 2019 infolge eines planmäßigen Streckenausbaus und höherer Betriebskosten von 60 auf aktuell 90 Millionen Euro. Nach dem Wegfall der Corona-Ausgleichssummen des Landes rechnet Eiskirch in 2024 mit einer weiteren Steigerung auf 110 Millionen Euro. Die Stadt Essen hat im Haushalt `24 rund 105 Millionen Euro für die Ruhrbahn-Verluste eingestellt – 25 Millionen Euro mehr als im laufenden Haushaltsjahr. Eiskirch: „Solche Kostensteigerungen kann kein städtischer Haushalt tragen.“
Was das Deutschlandticket bringt
Aus Sicht der Fahrgäste ist das Deutschlandticket eine Wohltat. 90 Prozent aller Stammkunden des Verkehrsverbundes Rhein Ruhr (VRR) fahren bereits mit dem gegenüber den bisherigen Zeitkarten meist deutlich günstigeren Deutschlandtarif. Für Kommunen und Verkehrsbetriebe schafft das D-Ticket dagegen neue Planungsprobleme. Die Umsätze aus den Alttarifen sind seit Einführung des Billigtarifs dagegen zusammengebrochen. „Der Verlustausgleich durch Bund und Land ist faktisch nur für dieses Jahr gesichert“, sagt VRR-Manager José Luis Castrillo. Wie es im nächsten Jahr weitergeht, weiß Castrillo nicht. „Wir haben bisher keinerlei Signale erhalten.“
Die Zeit drängt
Dabei drängt die Zeit. Wie in jedem Jahr üblich entscheidet der VRR Ende September über die Tarife für das Folgejahr. Gibt es bis dahin kein klares Signal der Verkehrsminister, wie viel Geld Bund und Länder für das D-Tickets 2024 springen lassen wollen, müssten die VRR-Gremien das Deutschlandticket eigentlich auslaufen lassen und zum alten Tarifsystem zurückkehren. Ein Desaster. Castrillo glaubt denn auch nicht, dass die Politik es so weit kommen lässt. Intern fürchten die VRR-Manager allerdings, dass die so genannte Nachschusspflicht, also der Inflationsausgleich für 2024 auf der Strecke bleiben könnte.
Für Alt-Kunden wird es ab 2024 so teuer wie nie
Die Alt-Tarifen werden ab Januar 2024 indes voraussichtlich deutlich steigen. Angesichts massiver Kostensteigerungen peilt der VRR eine Preiserhöhung für die Alt-Tarif im Bereich zwischen sechs und zehn Prozent an. Für Gelegenheitsfahrer und die verbliebenen VRR-Kunden, die aus ihrem Alt-Abo nicht wechseln wollen, würde Bus- und Bahnfahren damit so teuer wie noch nie.