Düssedorf. U-Ausschuss zur Flut: Jörg Kachelmann und Forscherin Hannah Cloke sagen: Die Menschen hätten gewarnt werden können.

Hätte die NRW-Landesregierung vor dem verheerenden Hochwasser im Juli schneller reagieren und damit Leben retten können? Mit dieser Frage beschäftigt sich gut vier Monate nach dem „Jahrhundertregen“ ein Untersuchungsausschuss des Landtages. „Wetterfrosch“ Jörg Kachelmann und die britische Hochwasser-Forscherin Hannah Cloke streuten am Freitag Zweifel an der Qualität des Katastrophenmanagements.

Kachelmann (63) schien den Auftritt zu genießen. Im jovialen Ton und mit leicht strubbeliger Frisur erteilte er den Abgeordneten eine Lektion in Meteorologie. Schon am Sonntag, 11. Juli, habe die Vorhersage für NRW für „zunehmende Aufregung“ in seinem privaten Wetterdienst gesorgt, erklärte der Schweizer. Er selbst habe erste, vorsichtige Warnungen per Twitter abgesetzt. Die Daten deuteten da schon auf extreme Regenfälle hin.

Kachelmann: "Könnte in zwei Monaten wieder passieren"

Am Abend dieses 11. Juli, so Kachelmann, war mit großer Wahrscheinlichkeit „ein besonderes Wetterereignis für NRW und Rheinland-Pfalz zu sehen.“ Spätestens am Montag, 12. Juli, zwei Tage vor der Katastrophe, sei klar gewesen, „dass etwas passieren würde“. Kachelmann nannte die Flut ein „80- bis 100-jähriges Ereignis“. Es könne aber genauso „in zwei Monaten nochmal stattfinden“.

Zeit, um Menschen zu retten, hätte es gegeben, allein unter dem Eindruck des stark fallenden Regens, so Kachelmann. „Man hat immer Zeit, Es muss viele Stunden vorher regnen, bevor eine solche Situation entsteht.“

Die Informationen, dass da ein Extremwetter naht, seien vorhanden gewesen, so Kachelmann. "Warum hat den den Menschen nicht 24 Stunden vorher gesagt, da kommt etwas, was wir noch nie gesehen haben?" Man hätte die Täler in der Eifel noch evakuieren können.

Die erste Zeugin, die britische Hochwasser-Forscherin Hannah Cloke, hatte an der Entwicklung des europäischen Hochwasser-Warnsystems EFAS mitgewirkt und nach der Flutkatastrophe den Behörden „monumentales“ Systemversagen vorgeworfen. Im Ausschuss erneuerte sie die Vorwürfe: „Als ich mir mehrere Tage vorher die Wetter-Daten ansah, zeichnete sich eine katastrophale Prognose ab.“

"Die Behörden hätten Menschen in Sicherheit bringen müssen"

Schon drei Tage vor der Flut am 14. und 15. Juli habe EFAS für die Rhein-Region mit 22-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein extremes Hochwasser vorausgesagt, das in dieser Stärke nur einmal in 20 Jahren auftritt, und zwar auf der Grundlage von Daten des Deutschen Wetterdienstes. Aufgrund einer solchen Vorhersage müssten Behörden handeln, um Menschen in Sicherheit zu bringen, erklärte Cloke.

„Wenn so viele Menschen sterben, hat das System insgesamt versagt“, sagte die Expertin, stellte aber klar, dass sie ihre Kritik nicht „auf einzelne Teile des Systems in NRW“ beziehe, weil sie nicht wisse, wie die öffentlich einsehbaren Warnungen dort verwendet wurden.

"Ich wusste, da ist etwas schiefgelaufen"

Die SPD zeigte im Ausschuss EFAS-Karten aus der Region Eschweiler und Stolberg zu den Tagen vor der Flut. Demnach erfolgte die erste Hochwasserwarnung am 10. Juli, die erste Warnung vor einer sehr gefährlichen Flut in der Warnfarbe Lila am Mittwoch, 14. Juli, um 0 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt hätten noch alle Menschen in den betroffenen Gebieten gewarnt werden, so die SPD.

Cloke bestätigte: Spätestens in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli habe sich für Teile von NRW auf Prognosekarten ein „sehr schwerwiegendes Hochwasser“ abgezeichnet. Sie sagte im Ausschuss: „Als ich in meiner britischen Heimat Reading im Fernsehen sah, dass es am Rhein ein ernst zu nehmendes Hochwasser gab und Menschen sagten, sie seien nicht gewarnt worden, da wusste ich, dass etwas schiefgelaufen ist.“

Noch fehlen viele Dokumente für den U-Ausschuss

Auch der Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski (CDU), gab im U-Ausschuss Auskunft. Der langjährige Vertraute von Ex-Ministerpräsident Armin Laschet sollte Aufklärung über die bisher lückenhafte Aktenlage leisten. Laut Liminski arbeiten die Behörden „mit Hochdruck“ an der Nachlieferung von Akten. Rund 900.000 Seiten seien bisher geliefert worden. Der frühere U-Ausschuss zum NSU-Terror habe zum Start nur über 30.000 Seiten verfügt. Die bisher vorliegenden Dokumente seien weitgehend „Informationen ohne Substanz“, entgegnete SPD-Obmann Stefan Kämmerling (SPD).

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) kam mit den Stimmen von SPD und Grünen zustande. Die Opposition will wissen, ab wann die CDU/FDP-Regierung und die zuständigen Behörden über das drohende Unwetter informiert waren und ob sie Vorkehrungen trafen.

49 Tote allein in NRW

Bei der Katastrophe waren im Juli allein in NRW 49 Menschen gestorben. Sachschaden: 30 Milliarden Euro. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat es bereits als Fehler eingeräumt, dass kein landesweiter Krisenstab eingerichtet wurde. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) war zum Zeitpunkt der Flut Verkehrsminister, also Regierungsmitglied. Auch er dürfte als Zeuge geladen werden.

Untersuchungsausschüsse haben gerichtsähnliche Befugnisse und gelten als „schärfstes Schwert“ der Opposition. Zeugen können geladen und Regierungsakten ausgewertet werden. Der Ausschuss dürfte stark in den bevorstehenden Landtagswahlkampf hineinwirken.